Wir haben vor 4 Jahren über das erstaunliche und in der Folge viel diskutierte Ergebnis der REDUCE-IT-Studie ([1]) berichtet. In ihr wurde eine 25%ige Reduktion des relativen Risikos (RRR) für schwere kardiovaskuläre Ereignisse durch eine chemisch veränderte Omega-3-Fettsäure (Eicosapentaensäure-Ethylester = EPA) in hoher Dosierung (4 g/d) gefunden ([2]). Auf Basis dieser Daten ist seit März 2021 EPA auch in der EU zugelassen (Vazkepa®; Amarin).
Die überraschend hohe Wirksamkeit von EPA, die in der REDUCE-IT-Studie gefunden wurde, steht in deutlichem Widerspruch zu vorausgegangenen Ergebnissen mehrerer Studien und Metaanalysen zu verschiedenen Fischölen bzw. Fischöl-Extrakten, die letztlich keine signifikanten günstigen Wirkungen auf klinische Endpunkte zeigen konnten (vgl. [1]). Bei der Suche nach Erklärungen fiel rasch ein Verdacht auf die in REDUCE-IT als „Plazebo“ verwendete Vergleichssubstanz, ein Mineralöl. Mineralöle werden (in Lebensmittel- bzw. pharmazeutischer Qualität) weit verbreitet angewendet, so in der Lebensmittel-, Kosmetik- und Pharmaindustrie zur Vermeidung von Schaum- und Staubentwicklung in Lebensmitteln, für Lotionen, Cremes und Salben sowie in der Herstellung von Kapseln. Sie gelten als biologisch inert und sollen nach oraler Aufnahme unverändert über den Gastrointestinaltrakt ausgeschieden werden.
Eine aktuelle in Circulation publizierte REDUCE-IT-Biomarker-Substudie ([3]) erbringt nun Hinweise, dass möglicherweise maßgebliche negative Wirkungen des als Vergleichssubstanz verwendeten Mineralöls zu den positiven Ergebnissen von EPA beigetragen haben könnten. Eine Reihe von Biomarkern wurde bei den Studienteilnehmern (8.179 kardiovaskuläre Hochrisiko-Patienten; 1:1 randomisiert für EPA vs. Mineralöl) nach 12 und 24 Monaten sowie bei Studienende gemessen: Interleukin-1 beta, Interleukin-6, „high-sensitivity“-C-reaktives Protein, Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin, Cholesterin, Homocystein, Lipoprotein(a), Lipoprotein-assoziierte Phospholipase A2. Im Studienverlauf stiegen alle genannten Biomarker in der Mineralöl-Gruppe an, während unter EPA keine signifikanten bzw. nur kleine Veränderungen gefunden wurden.
Nach Einschätzung der Autoren der Biomarker-Substudie – von denen einige auch an der ursprünglichen REDUCE-IT-Studie beteiligt waren – ist „der Effekt dieser Befunde auf die Interpretation der Risikoreduktion klinischer Ereignisse in REDUCE-IT unklar“. Das Ausmaß der negativen Befunde bei den Biomarkern durch das Mineralöl-„Plazebo“ erkläre nicht hinreichend den ausgeprägten positiven Effekt von 25% RRR durch EPA. Außerdem gebe es keinen bekannten pharmakodynamischen Mechanismus, der eine negative Auswirkung des inerten Mineralöls auf klinische Endpunkte erklären würde (ein solcher fehlt allerdings auch für den positiven Effekt von EPA). In zahlreichen Kommentaren – u.a. von den renommierten Kardiologen Steve Nissen (Ceveland) und Harlan Krumholz (Yale), die sich seit Jahren für höhere ethische Standards in Medizin und Forschung einsetzen – wird dieser Einschätzung widersprochen und der Anstieg der Biomarker in der Mineralöl-Gruppe als starkes Indiz dafür gewertet, dass in REDUCE-IT nicht eine Risikoreduktion durch EPA, sondern eine Risikosteigerung durch das Mineralöl beobachtet wurde ([4]). In anderen kardiovaskulären Präventionsstudien wurden ähnliche Effekte auf Biomarker in den Plazebo-Gruppen nicht beobachtet (JUPITER, CIRT, CANTOS, SPIRE), insbesondere auch nicht in der STRENGTH-Studie, die ein negatives Ergebnis hatte und in der ein Fischölpräparat gegen ein Maiskeimöl als Plazebo verglichen wurde ([5]). Eine bisher unbekannte pro-inflammatorische Wirkung des Mineralöls kann also nicht ausgeschlossen werden, und die angestiegenen Biomarker in REDUCE-IT weisen möglicherweise als Surrogat-Marker darauf hin. Von den Kritikern werden daher weitere Studien mit anderen Vergleichssubstanzen gefordert. Dieselbe Schlussfolgerung zieht auch der Autor des begleitenden Editorials unter dem Titel „Trials and tribulations of randomized clinical trials“ in derselben Ausgabe von Circulation ([6]).
In Anbetracht der aktuellen Daten halten wir es für angezeigt, die Grundlagen der Marktzulassung von EPA zu überprüfen. Von den REDUCE-IT-Autoren wurde 2019 betont – wohl bereits mit Blick auf das Marketing – die positive Wirkung von reinem, hochdosiertem EPA sei keinesfalls auf andere Fischöl-Produkte übertragbar. Die meisten in der EU erhältlichen Fischöl-Kapseln sind Mischungen aus EPA, Docosahexaensäure, alpha-Tocopherol und verschiedenen Hilfsstoffen mit EPA-Mengen um 400 mg/d. Die Antwort auf unsere 2019 als Titel formulierte Frage „Ist Fischöl doch protektiv wirksam bei kardiovaskulären Erkrankungen?“ ([1]) muss wohl weiterhin „nein“ lauten – für alle pharmazeutischen Fischöl-Produkte. Die Ernährungsempfehlung, pro Woche mindestens ein bis zwei Portionen fettreichen Fisch zu essen, gilt jedoch weiterhin.
In Anbetracht der vorliegenden Daten sollte auch die Anwendung von Mineralöl in oralen Arznei- und Lebensmitteln dringend geprüft werden.