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Neu zugelassene onkologische Wirkstoffe – bei der Mehrzahl werden für Patienten relevante Endpunkte unzureichend untersucht

Zusammenfassung: Etwa zwei Drittel der zwischen 2008 und 2012 von der FDA erteilten Zulassungen für onkologische Wirkstoffe basieren auf Surrogatendpunkten, die meist nicht mit einer Verlängerung des Überlebens oder Verbesserung der Lebensqualität korrelieren. Deshalb wird zu Recht gefordert, dass nach der Zulassung konsequenter als bisher die Wirksamkeit neuer onkologischer Wirkstoffe unter Alltagsbedingungen in klinischen Studien weiter untersucht und ihre Sicherheit (z.B. im Rahmen von Risikomanagementprogrammen, Spontanmeldesystemen und/oder Registern) intensiver überwacht wird. Darüber hinaus muss aber auch verstärkt über Maßnahmen nachgedacht werden, wie der zunehmend unseriösen Preisbildung für onkologische Wirkstoffe durch pharmazeutische Unternehmer begegnet werden kann, vor allem bei Wirkstoffen, für die überzeugende Belege für eine Verlängerung des Überlebens bzw. Verbesserung der Lebensqualität vor und/oder nach der Zulassung fehlen.

Die für die Zulassung für Arzneimittel relevanten („pivotal“) klinischen Studien werden derzeit in der Onkologie fast ausschließlich von pharmazeutischen Unternehmern (pU) konzipiert, gesponsert, ausgewertet und mit Hilfe von kommerziellen Schreibagenturen publiziert (1). Sie verfolgen in erster Linie das Ziel, schnell die Marktzulassung für einen neuen, meist sehr teuren Wirkstoff zu erhalten. Verschiedene Untersuchungen haben in den letzten Jahren auf wesentliche Defizite in klinischen Studien hingewiesen, die von der US-amerikanischen (Food and Drug Administration = FDA) und/oder der europäischen Zulassungsbehörde (European Medicines Agency = EMA) zugelassene onkologische Arzneimittel betreffen. Kritisiert wurden vor allem:

  • das Studiendesign (meist Verwendung von Surrogaten wie Ansprechrate und progressionsfreies Überleben als primären Endpunkt),
  • die häufig zu restriktiv definierten Ein- und Ausschlusskriterien für Patienten,
  • der vorzeitige Abbruch der Studien mit Wechsel der Patienten aus der Kontrollgruppe in den experimentellen Arm,
  • die kurzen Zeiträume der Nachbeobachtung in klinischen Studien sowie
  • die starke Zunahme beschleunigter Zulassungsverfahren in der Onkologie (2-5).

Onkologen und Mitarbeiter des National Cancer Institute in den USA haben 2015 alle onkologischen Wirkstoffe analysiert, deren Zulassung durch die FDA im Zeitraum zwischen Januar 2008 und Dezember 2012 auf Surrogatendpunkten basierte. Ermittelt werden sollte, ob nach der Zulassung weitere klinische Studien publiziert wurden und eine Verlängerung des Überlebens durch die neuen Wirkstoffe gezeigt werden konnte (4). Zu diesem Zweck wurde eine systematische Literatursuche im August 2015 durchgeführt, in der 54 Zulassungen identifiziert wurden, von denen 36 onkologische Wirkstoffe (67%), basierend auf einem Surrogatendpunkt, zugelassen wurden – vorwiegend Ansprechrate (response rate = RR; 53%) bzw. progressionsfreies oder erkrankungsfreies Überleben (progression-free survival = PFS; disease-free survival = DFS; 47%). Nach einem medianen Zeitraum der Nachbeobachtung von 4,4 Jahren konnte in randomisierten kontrollierten Studien nur bei fünf der insgesamt 36 onkologischen Wirkstoffe eine Verlängerung des Gesamtüberlebens gezeigt werden. Bei allen beschleunigt zugelassenen (n = 15, 100%) und bei 21 von 39 regulär zugelassenen Onkologika (54%) basierte die Zulassung auf einem Surrogatendpunkt.

Bei den 18 onkologischen Wirkstoffen, für die in klinischen Studien keine Verlängerung des Gesamtüberlebens (Overall survival = OS) – ausgewertet als primärer oder sekundärer Endpunkt – nachgewiesen werden konnte, wurde jetzt von US-amerikanischen Wissenschaftlern des National Center for Health Research anhand einer Literatursuche in PubMed untersucht, ob diese Wirkstoffe zumindest die Lebensqualität der onkologischen Patienten positiv beeinflussten (6). Außerdem wurden für jeden Wirkstoff die jährlichen Therapiekosten für Medicare berechnet, die öffentliche und bundesstaatliche Krankenversicherung innerhalb des Gesundheitssystems der USA für ältere oder behinderte Bürger. Nur bei 31 von insgesamt 466 identifizierten Artikeln zu klinischen Studien mit diesen Wirkstoffen wurde das von den Autoren gewählte Einschlusskriterium – Verwendung einer validierten Methode zur Messung der Lebensqualität – erfüllt. Darüber hinaus wurden Zusammenfassungen der FDA in Zusammenhang mit der Zulassung ausgewertet, die für 15 der insgesamt 18 Arzneimittel öffentlich zugänglich waren. Von insgesamt 6 neu zugelassenen Wirkstoffen lagen Ergebnisse zur Lebensqualität im Vergleich zu einem anderen Wirkstoff vor, wobei nur für einen Wirkstoff (Crizotinib; 7) eine Verbesserung der Lebensqualität nachgewiesen werden konnte. Bei zwei Wirkstoffen fanden sich keine Unterschiede in der Lebensqualität im Vergleich zur Kontrollgruppe und bei drei Wirkstoffen waren die Ergebnisse nicht eindeutig (z.B. sowohl Verbesserung als auch Verschlechterung der Lebensqualität oder kein statistisch signifikanter Unterschied). Bei zwei der untersuchten Wirkstoffe (Peginterferon alfa-2b und Cabozantinib; 8), die in klinischen Studien mit Plazebo bzw. ausschließlich Beobachtung verglichen wurden, verschlechterte sich sogar die Lebensqualität.

Bei den 18 onkologischen Arzneimitteln ohne Verlängerung des OS variierten die geschätzten Jahrestherapiekosten zwischen 20.237 US-$ (Rituximab; vgl. 9) und bis zu 169.836 US-$ für Cabozantinib, wobei die Jahrestherapiekosten für 13 dieser Onkologika 100.000 US-$ überschritten. Der teuerste Wirkstoff (Cabozantinib) verlängerte nicht das Gesamtüberleben und verschlechterte in einer plazebokontrollierten Studie die Lebensqualität.

Ausgehend von diesen enttäuschenden Ergebnissen ihrer Analyse kritisieren die Autoren – aus unserer Sicht zu Recht – den sprunghaften Anstieg der Therapiekosten für onkologische Wirkstoffe, die häufig das Überleben nicht verlängerten und/oder die Lebensqualität nicht verbesserten.

Literatur

  1. Flacco, M.E., et al.: J. Clin.Epidemiol. 2015, 68, 811. Link zur Quelle
  2. Light,D.W., und Lexchin, J.: BMJ 2015, 350, h2068. Link zur Quelle
  3. Prasad, V., etal.: JAMA Intern. Med. 2015, 175, 1389. Link zur Quelle
  4. Kim, C., undPrasad, V.: JAMA Intern. Med. 2015, 175, 1992. Link zur Quelle
  5. Ludwig, W.-D.:Zulassungsverfahren für neue Arzneimittel in Europa. In: Schwabe, U., und Paffrath,D. (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2016. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg,2016. S.29.
  6. Rupp, T., undZuckerman, D.: JAMA Intern. Med., published online November 29, 2016. Link zur Quelle
  7. AMB2013, 47, 47 Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 72a Link zur Quelle . AMB2016, 50, 89. Link zur Quelle
  8. AMB2015, 49, 47. Link zur Quelle
  9. AMB2000, 34, 61b Link zur Quelle . AMB 2002, 36, 33 Link zur Quelleund 89a Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 36. Link zur Quelle