Seit der Erstveröffentlichung der UK Prospective Diabetes Study 34 (UKPDS 34; 1) galt bis vor kurzem Metformin als das einzige orale Antidiabetikum (OA), das die kardiovaskulären Risiken (KVR) von Typ-2-Diabetikern (DM2) langfristig zu reduzieren schien. Inzwischen gibt es auch Hinweise für eine Reduzierung der KVR durch das Glucagon-like-peptide-1(GLP-1)-Analogon Liraglutid und die SGLT2-Hemmer Empagliflozin und Canagliflozin (vgl. 2).
Im BMJ erschien jetzt eine Untersuchung über die KVR bei Diabetikern, denen nach längerer Monotherapie mit Metformin zusätzlich (= add on) oder statt des Metformin ein Sulfonylharnstoff-(SH)-Präparat (= switch) verordnet worden war (3). Die Studie basiert auf dem UK Clinical Practice Research Datalink (CPRD) des britischen National Health Service. An der Auswertung dieser riesigen Datenbanken waren Epidemiologen der McGill-Universität in Kanada und der Berliner Charité beteiligt. SH-Präparate werden heute nur noch als second line-Medikamente bei DM2 empfohlen, d.h. nach Metformin (4).
Der CPRD enthält Daten von ca. 14 Mio. Personen aus 680 Allgemeinpraxen mit Informationen zu Patientenmerkmalen, Diagnosen, fortgeschriebenen Verordnungen von Medikamenten, Krankenhausaufenthalten, Neuerkrankungen und Todesfällen. Zunächst wurde eine Basiskohorte definiert, die alle Patienten (> 40 Jahre) enthielt, denen zwischen 1.4.1998 und 31.3.2013 erstmals Metformin wegen eines DM2 verordnet worden war. Patienten, denen früher ein anderes Antidiabetikum verordnet worden war, Frauen mit polyzystischem Ovarialsyndrom, nicht aber Patienten mit manifesten kardiovaskulären Erkrankungen wurden von der Untersuchung ausgeschlossen. Die Studienkohorte bestand aus allen Patienten, denen zu irgendeinem Zeitpunkt ein SH zusätzlich zum Metformin oder statt des Metformins verordnet worden war. Für jeden dieser Patienten wurde ein epidemiologisch passender Vergleichspartner aus der Basiskohorte ausgewählt, der die Monotherapie mit Metformin beibehielt. Hierfür wurde die „high dimensional propensity score“-Methode verwandt. Alle primären Endpunkte der Studie (Krankenhausaufnahme wegen Myokardinfarkt oder Schlaganfall, Tod aus allen Ursachen, kardiovaskulär verursachter Tod, schwere Hypoglykämie) wurden bis zum 31.3.2014, d.h. bis zu einem Jahr nach Ende der Rekrutierung, in der Studien- und der Vergleichs-Kohorte erfasst. Die Methodik des Gruppenvergleichs wurde mehreren Zusatzanalysen unterworfen, um die Zahl und Intensität von Störfaktoren zu minimieren.
Ergebnisse: Die Basiskohorte umfasste 77.138 Patienten, von denen zu irgendeinem Zeitpunkt vor März 2013 insgesamt 25.699 entweder einen SH zusätzlich erhalten hatten oder auf einen SH umgestellt worden waren. Trotz propensity matching fällt auf, dass die SH-Patienten in vielen Merkmalen (Anamnese, Medikamente, Diabeteskomplikationen) etwas kränker waren als die Kontrollen. HbA1c war bei Einschluss in den Vergleich bei SH-Patienten im Mittel 8,7% ± 1,7% versus 8,4% ± 1,5% bei den Metformin-Kontrollen. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 1,1 Jahre, d.h. auch die schon z.B. vor 10 Jahren auf einen SH umgesetzten Patienten wurden nur für ca. ein Jahr beobachtet. Die kombinierte Zahl der Ereignisse nach Zusatz eines SH plus Umstellung auf einen SH im Vergleich mit Metformin als weitergeführte Monotherapie ist der Tab. 1 zu entnehmen.
Verglichen wurden auch die Ereignisse nach Umstellung auf einen SH mit Zusatz eines SH. Das Risiko für Myokardinfarkt war nach Umstellung mit einer Hazard Ratio (HR) von 1,51 (95%-Konfidenzintervall = CI: 1,03-2,24) signifikant höher als nach zusätzlichem SH, ebenso das Risiko für Tod aus allen Ursachen: HR: 1,23 (CI: 1,0-1,5). Das Risiko für schwere Hypoglykämien war nach Zusatz eines SH deutlich geringer als nach Umstellung auf einen SH.
Diskussion: Die Autoren erörtern eine Tendenz zur Gewichtszunahme unter SH sowie Herzrhythmusstörungen und Myokardischämien im Rahmen von Hypoglykämien als potenzielle Mechanismen der ermittelten erhöhten KVR nach Umstellung auf SH. Beide Risiken würden bei der SH-Zusatz-Therapie durch den Effekt von Metformin abgeschwächt. Da eine Gewichtszunahme innerhalb der Beobachtungszeit von ca. 1,1 Jahr als Ursache des höheren KVR wenig wahrscheinlich ist, scheinen Hypoglykämien (auch weniger schwere) eine wichtige Rolle zu spielen. Es sei also empfehlenswert, im Rahmen einer second line-Therapie mit einem SH die ursprüngliche Medikation mit Metformin beizubehalten, was allerdings bei Metformin-Unverträglichkeit kaum möglich ist. Eine Schwäche dieser Studie ist das Fehlen von Angaben zu den Gründen der Therapieänderung. Da bei etwa 30% der Studienkohorte das HbA1c zur Zeit der Umstellung zwischen 7,1% und 8% lag, wird Metformin-Unverträglichkeit wohl oft eine Rolle gespielt haben. Auch konnten unterschiedliche Dosierungen von SH sowie Unterschiede zwischen SH der ersten, zweiten und dritten Generation nicht berücksichtigt werden. Dass SH, anders als Metformin, mit einem Hypoglykämie-Risiko assoziiert sind, ist bekannt. Die Abschwächung dieses Risikos durch Metformin bei Zusatz-Therapie mit einem SH ist ein für die Praxis wichtiger, wenn auch nicht neuer Befund. Aufgrund der kurzen Beobachtungszeit (im Mittel 1,1 Jahre) nach Umstellung auf SH oder Zugabe von SH erfasst die Studie keine Langzeitrisiken dieser therapeutischen Entscheidungen.
SH sind weiterhin wegen des niedrigen Preises wichtige OA, besonders in Ländern mit niedrigem Bruttosozialprodukt und dementsprechend begrenzten ökonomischen Ressourcen für Arzneimittel (5). Selbst in den USA sind SH immer noch eine häufige second line-Therapie (6). SH als Zusatz zu Metformin ist, wenn möglich, einer Umstellung auf einen SH vorzuziehen. In den nächsten Jahren müssen randomisierte kontrollierte Studien zeigen, welchen Stellenwert die SH älterer und neuer Generation neben GLP1-Analoga, DPP4- und SGLT2-Inhibitoren in der second line-Therapie des DM2 einnehmen können (7, 8).
Fazit: Eine auf umfangreichen Datenbanken des britischen National Health Service basierende Studie (3) ergab, dass bei Typ-2-Diabetikern das Umsetzen der Therapie von Metformin auf einen Sulfonylharnstoff (SH) oder einer zusätzlichen Verordnung eines SH innerhalb eines Jahres das Risiko für Myokardinfarkte und für Tod (aus allen Ursachen) signifikant zunahm. Das Risiko für schwere Hypoglykämien nahm um den Faktor 7 zu. Das Risiko für Schlaganfall und kardiovaskulär verursachten Tod erhöhte sich gering (nicht signifikant). Alle Risiken waren deutlich geringer (auch für Hypoglykämien), wenn der SH der Metformin-Therapie hinzugefügt wurde statt von Metformin auf einen SH umzusetzen. Nach der Verordnung eines SH ist es durch Schulung der Patienten und Vereinbarung realistischer Therapieziele (z.B. Höhe des HbA1c) dringend geboten, schwere Hypoglykämien zu vermeiden.
Literatur
- UKPDS 34 = UK Prospective Diabetes Study 34: Lancet 1998, 352, 854. Link zur Quelle Erratum: Lancet 1998, 352, 1558. Vgl. AMB 1998, 32, 81 Link zur Quelle , AMB 2002, 36, 73 Link zur Quelle , AMB 2003, 37, 30 Link zur Quelle , AMB 2008, 42, 94. Link zur Quelle
- AMB 2017, 51, 75. Link zur Quelle
- Douros, A., et al.: BMJ 2018, 362, k2693. Link zur Quelle
- American Diabetes Association: 7. Approaches to Glycemic Treatment. Diabetes Care 2016, 39 Suppl. 1, S52. Link zur Quelle
- Assaad-Khalil, S.H., et al.: Int. J. Clin. Pract. 2013, 67, 1144. Link zur Quelle
- Montvida, O., et al.: Diabetes Care 2018, 41, 69. Link zur Quelle
- Anagnostis, P., et al.: Hormones (Athens) 2018, 17, 83. Link zur Quelle
- Asche, C.V., et al.: Pharmacoeconomics 2014, 32, 15. Link zur Quelle