Zusammenfassung: Eine sehr kleine, kontrollierte, randomisierte und unverblindete Phase-II-Studie an 146 Teilnehmern hat Hinweise ergeben, dass eine Inhalationsbehandlung mit Budesonid-Pulver über wenige Tage bei Patienten mit leichten COVID-19-Symptomen (Husten, Fieber und/oder Anosmie) den Verlauf mildern und den Bedarf an Notfallmaßnahmen reduzieren kann (1). Diese Ergebnisse sind bisher nicht durch größere Studien bestätigt, haben aber bereits inadäquat große Resonanz gefunden, auch in der Laienpresse. Sollte sich die Wirksamkeit von Budesonid tatsächlich bestätigen, wäre diese einfache Behandlung als Fortschritt bei COVID-19 zu sehen. Wegen vieler ungeklärter Fragen raten wir derzeit von einer „off-label“-Anwendung ab.
Die Anfang April in Lancet Respiratory Medicine publizierte STOIC-Studie (1) hat potenziell positive Effekte einer inhalativen Anwendung von Budesonid-Pulver bei milden Verläufen von COVID-19 gezeigt. Der Wirkmechanismus dieses Therapieansatzes ist durchaus plausibel und verdient es, untersucht zu werden:
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Die Glukokortikosteroid-Inhalationstherapie (GIT) bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) reduziert die – häufig viral ausgelösten – Exazerbationen. In-vitro-Studien haben auch eine Reduktion der Replikation des SARS-CoV-2 und eine Herunter-Regulation des ACE-2-Rezeptor-Gens in Epithelzellen durch inhalative Glukokortikosteroide gezeigt.
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In mehreren Beobachtungsstudien aus den Anfängen der SARS-CoV-2-Pandemie in China, Italien und den USA waren COPD-Patienten wider Erwarten unterrepräsentiert bei COVID-19-Erkrankten. Hypothesen zufolge könnte dies auf die GIT zurückzuführen sein.
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Die Wirksamkeit einer systemischen Glukokortikosteroidtherapie (z.B. Dexamethason) bei sehr schweren COVID-Verläufen ist belegt (2).
Studiendesign: Die als „proof of principle“-Studie (Phase-II) angelegte STOIC-Studie der Universität Oxford (Sponsor: AstraZeneca) schloss Patienten > 18 Jahre ein, die in den 7 Tagen zuvor COVID-19-typische Symptome entwickelt hatten: Husten und Fieber und/oder Anosmie. Die Rekrutierung erfolgte über Einrichtungen der Primärversorgung, SARS-CoV-2-Testzentren und multimediale Aufrufe. Die Patienten wurden 1:1 randomisiert, die Interventionsgruppe erhielt zusätzlich zur üblichen rein symptomatischen Therapie (Antipyretika, NSAID, Honig als Antitussivum) unverblindet Budesonid-Trockeninhalationspulver 1.600 µg tgl. (zweimal 2 Hübe à 400 µg; Pulmicort Turbohaler; AstraZeneca). Es erfolgten neben täglichen Telefonvisiten auch Hausvisiten durch geschultes Personal an den Tagen 0 (= Randomisierung), 7 und 14 (an allen 3 Tagen mit Abholung von selbst durchgeführten nasopharyngealen Abstrichen für SARS-CoV-2-PCR-Tests) und am Tag 28 eine Abschlussuntersuchung im Studienzentrum mit Messung von SARS-CoV-2-Antikörpern. Jeder Teilnehmer erhielt ein Symptomtagebuch, ein kalibriertes Pulsoximeter und ein Thermometer für die tägliche Überwachung zuhause.
Primärer Endpunkt war jegliche Inanspruchnahme einer ambulanten oder stationären Notfallbehandlung. Nach vollständiger Besserung der Symptome – beurteilt durch die Patienten selbst – oder bei Erreichen des primären Endpunkts wurden sowohl die GIT als auch die Telefonvisiten beendet. Sekundäre Endpunkte waren die Dauer und die Intensität der Symptome (mit Hilfe von 2 validierten Fragebögen für Erkältungserkrankungen bzw. Influenza), Sauerstoffsättigung (SO2), Körpertemperatur und die SARS-CoV-2-Viruslast.
Ergebnisse: Von Juli bis Dezember 2020 wurden 146 Teilnehmer randomisiert für Budesonid vs. alleinige Standardtherapie („Intention-to-treat“-Analyse = ITT: 73:73; Per-protocol-Analyse = PPA: 70:69; alle folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die PPA). Das mittlere Alter der Gesamt-Studienpopulation lag um 45 Jahre, ca. 58% waren Frauen, der mittlere Body-Mass-Index betrug 27 kg/m2, die mittlere Zahl der Komorbiditäten lag bei 1. Die basalen Charakteristika waren in beiden Gruppen ähnlich. Bei 94% wurde mittels PCR eine SARS-CoV-2-Infektion bestätigt. Die Budesonid-Inhalation wurde im Mittel über 7 Tage durchgeführt.
Der primäre Endpunkt (Notfallbehandlung) wurde bei 1 (1%) vs. 10 (14%) Patienten erreicht (95%-Konfidenzintervall = CI: 0,043-0,218; p = 0,004). Vier Patienten aus der Kontrollgruppe wurden dabei allerdings aus Gründen vorstellig, die auch als nicht (direkt) COVID-bedingt angesehen werden können (diabetische Ketoazidose, akutes Nierenversagen, vermutete Lungenarterienembolie bzw. Rippenfraktur). Bei den sekundären Endpunkten zeigten sich signifikante Vorteile in der Budesonid-Gruppe hinsichtlich der Dauer der Symptome (7 vs. 8 Tage; p = 0,007), Intensität der Symptome (in beiden Fragebögen), bei der höchsten mittleren Körpertemperatur und dem Verbrauch von Antipyretika. Nicht signifikant unterschiedlich waren die gemessenen Werte der Sauerstoffsättigung und die mittels PCR (Cycle-Threshold) bestimmte SARS-CoV-2-Viruslast.
Die Budenosid-Inhalationstherapie war erwartungsgemäß gut verträglich: Fünf Teilnehmer (7%) berichteten über UAW, die spontan sistierten (vier über Halsschmerzen, einer über Schwindel).
Die Studie musste im Dezember 2020 vorzeitig abgebrochen werden, da aufgrund nationaler Maßnahmen zur Eindämmung einer 2. Pandemiewelle (Lockdown, Priorisierungen im Gesundheitswesen) und der anlaufenden Impfkampagne eine Fortführung der Patientenrekrutierung nicht mehr möglich war bzw. nicht mehr vertretbar erschien. Es wurde daher weit weniger als die Hälfe der ursprünglich geplanten Zahl von 398 Teilnehmern eingeschlossen. Die Autoren betonen, dass „eine unabhängige statistische Prüfung zu dem Schluss kam, dass sich das Studienergebnis durch den Einschluss weiterer Patienten nicht ändern würde“. Zur Bestätigung dieser Einschätzung führen sie eine Simulationsrechnung (Sensitivitätsanalyse) an, nach der trotz der kleinen Patientenzahlen „die statistische Power mehr als 99%“ beträgt. Wie ein in derselben Ausgabe des Journals erschienener Kommentar kritisiert, kann diese Computer-gestützte Simulation („in silico exercise“) die Studienhypothese allenfalls stützen, aber keinesfalls bestätigen (3).
Diskussion: Die von den Studienautoren errechnete Wirksamkeit der GIT mit Budesonid zur Verhinderung schwerer COVID-19-Verläufe liegt bei 91%. Das wäre im Bereich der Wirksamkeit von Impfungen und läge deutlich über der Wirksamkeit aller bisher untersuchten Therapien bei Patienten, die im Krankenhaus behandelt wurden. Die Ergebnisse müssen allerdings unter Berücksichtigung wesentlicher Einschränkungen interpretiert werden:
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Offenes Studiendesign ohne Plazebokontrolle.
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Der primäre Endpunkt „Inanspruchnahme von Notfallbehandlung“ ist bereits per se ein weicher und für verschiedene Arten von Bias anfälliger Endpunkt.
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Die Beurteilung der Endpunkte während des Studienverlaufs beruhte weitgehend auf Selbstbeobachtung, Selbsteinschätzung, Selbstmessungen (Sauerstoffsättigung, Körpertemperatur), Selbsttestung (Nasopharynx-Abstrich) und Selbstberichterstattung.
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Die Zahl der Studienteilnehmer war mit ca. 70:70 klein und lag aufgrund des erzwungenen frühzeitigen Abbruchs der Patientenrekrutierung deutlich unter der statistisch vorausberechneten Größe von ca. 200:200 (s.o.).
Die Ergebnisse künftiger Studien müssen daher abgewartet werden, bevor differenzierte Empfehlungen für eine GIT bei unterschiedlichen COVID-19-Verläufen formuliert werden können. Auch die Frage, ob es sich um einen spezifischen Effekt von Budesonid oder um einen Klassen-Effekt der GIT handelt, muss noch geklärt werden. Es laufen bereits Studien, die die Wirksamkeit einer GIT auch bei schwereren COVID-19-Verläufen und mit anderen Wirkstoffen als Budesonid untersuchen (4). Die potenziellen Vorteile einer „Kurzzeit-GIT“ in der Behandlung von COVID-19 liegen auf der Hand: Sie ist günstig, sicher, gut verträglich, einfach und fast überall verfügbar, was sie insbesondere auch für Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen interessant macht. Die Verhinderung schwerer, krankenhauspflichtiger Verläufe in einem frühen Krankheitsstadium wäre ein Fortschritt in der COVID-19-Therapie.
Vor undifferenzierten und voreiligen Empfehlungen für einen großzügigen „off-label“-Einsatz einer GIT bei mildem COVID-19-Verlauf oder gar nach positivem SARS-CoV-2-Nachweis ohne Symptome – die im Zuge des Medienhypes um die STOIC-Studie ausgesprochen wurden – muss jedoch aus heutiger Sicht nicht nur wegen der bislang unzureichenden Datenlage gewarnt werden: Österreichische Pulmologen wiesen bereits darauf hin, dass es zu Versorgungsengpässen von Budesonid für COPD- und Asthma-Patienten gekommen sei (5).
Bei einer breiteten ungerichteten (Selbst-)Medikation ist das – auch bei Inhalation durchaus gegebene – Nebenwirkungspotenzial von Glukokortikosteroiden nicht außer Acht zu lassen. Abhängig von Dosis und Anwendungsdauer ist mit Schleimhautreizungen (Heiserkeit, Husten) und Pilzinfektionen (Candida) im Mund-Rachen-Raum zu rechnen. Systemische Nebenwirkungen sind deutlich seltener, können aber abhängig von individuellen Faktoren auftreten, z.B. zusätzliche oder vorangegangene Therapie mit einem Glukokortikosteroid, Leberfunktionsstörungen und als Folge von Arzneimittelinteraktionen, z.B. mit Ketoconazol, Itraconazol, Ciclosporin, Ritonavir. Dies könnte bei Verschlechterung des COVID-19-Verlaufs zu weiteren Komplikationen prädisponieren.
Literatur
- Ramakrishnan, S., et al. (STOIC = STerOIds in COVID-19): Lancet Respir. Med. 2021; published online April 9, 2021. Link zur Quelle
- Siemieniuk, R.A.C., et al.: BMJ 2020, 370, m2980. Link zur Quelle
- Agusti, A., et al.: Lancet Respir. Med 2021; published online April 9, 2021. Link zur Quelle
- https://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04355637 Link zur Quelle ; https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04331054 Link zur Quelle
- https://www.pharmazeutische-zeitung.de/pneumologen- vorerst-gegen-budesonid-bei-covid-19-125307/ Link zur Quelle