Der „Hype“ um die Agonisten des „Glucagon-like peptide 1 receptor“ (GLP-1-A, Inkretinmimetika) ist ungebrochen, und die Aktienkurse der pharmazeutischen Unternehmer (pU) von Semaglutid, Liraglutid u.a. steigen unaufhörlich. Über den möglichen Nutzen der GLP-1-A ist mit direkter und indirekter Unterstützung der pU überall viel zu hören und zu lesen (vgl. [1]) – über die möglichen Risiken (s.u.) weniger. Daher ist bei einer Bewertung derzeit Vorsicht geboten (vgl. [2]).
GLP-1-A sind bekanntermaßen wirksam in der Behandlung des Typ-2-Diabetes und der Adipositas (vgl. [3]). Viele weitere Indikationen werden in klinischen Studien derzeit geprüft. Dazu zählen: polyzystisches Ovarialsyndrom, Kurzdarm-Syndrom, Prader-Willi-Syndrom, Adipositas-assoziierte Lungenerkrankungen (COPD, Asthma bronchiale und Lungenembolie), Fettstoffwechselstörungen mit erhöhtem Lipoprotein (a), Osteoporose, Depressionen und bestimmte Essstörungen („binge eating“), metabolische Störungen unter Therapie mit Antipsychotika, Alkohol- und Kokainmissbrauch, nichtalkoholische Fettleber, chronische Niereninsuffizienz, Rückenmarkverletzungen, Psoriasis, u.a. ([4]). Auch in der Herz-Kreislauf-Medizin werden neue Indikationen für die GLP-1-A gesehen: Hypertonie, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Schlaganfall, Arrhythmien bei Übergewicht und Herzinsuffizienz.
Im September wurde im N. Engl. J. Med. die STEP-HFpEF-Studie veröffentlicht, in der der GLP-1-A Semaglutid bei Herzinsuffizienz (HI) mit erhaltener linksventrikulärer Pumpfunktion (HFpEF) geprüft wurde ([5]).
Studiendesign: Die randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Studie wurde an 96 Zentren auf 3 Kontinenten (Asien, Europa, Nord- und Südamerika) durchgeführt. Der Sponsor Novo-Nordisk hat die Studie maßgeblich geplant und durchgeführt und ist auch hauptverantwortlich für die wissenschaftlichen Publikationen.
Zu den Einschlusskriterien zählten u.a. ein Body-Mass-Index (BMI) von ≥ 30 kg/m2, eine symptomatische HI (nach „New York Heart Association“ NYHA-Klasse ≥ II) und eine linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF) ≥ 45%. Außerdem musste mindestens eine der folgenden Befundkonstellationen vorliegen:
- erhöhter NT-proBNP-Spiegel plus pathologische echokardiographische Befunde,
- Krankenhausaufenthalt wegen HI in den 12 Monaten zuvor plus eine fortlaufende Behandlung mit Diuretika oder pathologische echokardiographische Befunde,
- invasiv gemessene, erhöhte linksventrikuläre Füllungsdrücke.
Zu den Ausschlusskriterien zählten u.a. ein Diabetes mellitus bzw. ein HbA1c ≥ 6,5%, eine Änderung des Körpergewichts von > 5 kg in den 3 Monaten zuvor und eine Vorgeschichte mit Pankreatitis.
Die Teilnehmer erhielten über 52 Wochen wöchentlich einmal subkutan Semaglutid oder Plazebo. Semaglutid wurde langsam aufdosiert, beginnend mit 0,25 mg einmal wöchentlich bis zur Erhaltungsdosis von 2,4 mg ab Woche 16.
Es gab zwei primäre Studienendpunkte: 1. Veränderungen auf dem „Kansas City Cardiomyopathy Questionnaire clinical summary score“ (KCCQ-CSS), einem etablierten Instrument zur Selbstevaluation von Symptomen, körperlichen und sozialen Funktionen und der Lebensqualität bei HI (Gesamtscore 0-100, wobei höhere Werte auf weniger Symptome und körperliche Einschränkungen hinweisen) und 2. die Änderung des Körpergewichts bis zur 52. Woche. Zu den sekundären Endpunkten zählten u.a. die Änderungen der 6-Minuten-Gehstrecke und bei den Werten des C-reaktiven Proteins (CRP) sowie auch ein kombinierter klinischer Endpunkt. Die Effektivität der Verblindung, die bei subjektiven Endpunkten wie dem KCCQ-CSS ja eine große Rolle spielt, wurde nicht geprüft.
Ergebnisse: Während eines Jahres (2021-2022) wurden 529 Personen randomisiert, davon waren 56% Frauen und 95% weiß. Das Durchschnittsalter betrug 69 Jahre, das mittlere Körpergewicht 105,1 kg und der mittlere BMI 37 kg/m2. Die LVEF betrug durchschnittlich 57%, der NT-proBNP-Wert 450 pg/ml (bei Adipositas sind die NT-proBNP-Spiegel niedriger). Der KCCQ-CSS betrug bei Studienbeginn 58 Punkte und die 6-Minuten-Gehstrecke 320 m (jeweils Mittelwerte). Die meisten Patienten waren ausreichend gut medikamentös hinsichtlich der HI behandelt, jedoch erhielten nur 3,6% einen Natrium-Glukose-Cotransporter-2 (SGLT2)-Inhibitor. Diese Arzneimittelgruppe zählte bei Studienbeginn noch nicht zu den empfohlenen Medikamenten bei HI.
Von den randomisierten Teilnehmern beendeten 96% die Studie, und ihre Daten standen zur Auswertung zur Verfügung. In jedem Behandlungsarm brachen 42 Personen (16%) die Behandlung ab. Die Ergebnisse wurden nach „Intention to treat“ ausgewertet.
Das Körpergewicht sank mit Semaglutid nach 52 Wochen um 13,3% und mit Plazebo um 2,6% (Differenz: -10,7 Prozentpunkte; 95%-Konfidenzintervall = CI: -11,9 bis -9,4; p < 0,001). Mit Semaglutid nahmen 43% der Teilnehmer ≥ 15% ihres Körpergewichts ab, wobei sich in den veröffentlichten Verlaufskurven kein Nadir abzeichnete.
Der KCCQ-CSS stieg nach 52 Wochen Therapie mit Semaglutid um 16,6 Punkte an und mit Plazebo um 8,7 Punkte (Differenz: 7,8 Punkte; CI: 4,8-10,9; p < 0,001). Mit Semaglutid hatten 63% eine Verbesserung um ≥ 10 Punkte, ein Anstieg, der als klinisch bedeutsam eingeschätzt wird ([6]). Zum Vergleich: In früheren Studien zur HFpEF führten Wirkstoffe, wie SGLT2-Inhibitoren, Sacubitril-Valsartan oder Spironolacton, nur zu Verbesserungen des KCCQ-CSS im Bereich von 0,5-2,3 Punkten. In Form der „Number Needed to Treat“ (NNT) lässt sich das Ergebnis wie folgt ausdrücken: Etwa 9 Patienten mit HFpEF müssen ein Jahr lang mit Semaglutid behandelt werden, damit sich einer besser fühlt ([7]). Auffällig ist jedoch, dass auch etwa zwei Drittel der Patienten im Plazebo-Arm einen Anstieg um ≥ 5 Punkte im KCCQ-CSS hatten; das weist auf einen bedeutsamen Plazeboeffekt bei hoher Erwartungshaltung hin. Auf den ebenfalls zu beachtenden und wahrscheinlich über die Zeit zunehmenden Entblindungs-Bias haben wir bereits hingewiesen.
Die 6-Minuten-Gehstrecke verlängerte sich mit Semaglutid um 21,5 Meter vs. 1,2 Meter mit Plazebo (signifikant). Der Bauchumfang nahm um 11,7 cm vs. 2,7 cm ab (signifikant) und der systolische Blutdruck um 4,9 mm Hg vs. 2,0 mm Hg. Unter Semaglutid sank nach 52 Wochen auch der CRP-Spiegel (Ausgangswert im Mittel 3,8 mg/l) um 43,5% vs. 7,3% mit Plazebo (signifikant), ebenso der NT-proBNP-Spiegel um 20,9% vs. 5,3% (signifikant).
Auch beim kombinierten klinischen Endpunkt zeigte sich ein signifikanter Vorteil für Semaglutid (Odds Ratio: 1,72; CI: 1,37-2,15; p < 0,001). Dies ergab sich in erster Linie durch weniger Intensivierungen der Therapie und weniger Krankenhausaufenthalte wegen HI (n = 1 vs. 12). Die Zahlen sind jedoch klein und die Studie war für klinische Ereignisse nicht konzipiert.
Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse (UAE) wurden im Semaglutid-Arm bei 35 (13,3%) und im Plazebo-Arm bei 71 Teilnehmern (26,7%) berichtet. Die Zahl der Studienabbrüche wegen UAE war unter Semaglutid jedoch höher (n = 35 vs. 14). Der Grund hierfür waren überwiegend gastrointestinale UAE. Eine Pankreatitis wurde nicht gemeldet. Während der Studie starben 7 Personen: 3 in der Semaglutid-Gruppe und 4 in der Plazebo-Gruppe. Eine der Todesursachen im Plazebo-Arm wurde als kardiovaskulär bewertet, die übrigen als nicht-kardiovaskulär (z.B. im Rahmen einer COVID-19-Erkrankung).
Im begleitenden Editorial wird die interessante Frage aufgeworfen, ob es sich bei der HFpEF gar nicht um eine primäre Herzerkrankung handelt, sondern um eine Stoffwechselstörung mit ungünstigen Auswirkungen auf das Herz ([8]). Dies könnte erklären, warum klassische HI-Medikamente, wie ACE-Hemmer oder Spironolacton, bei HFpEF nicht wirksam sind (vgl. [9]), jedoch bestimmte „Antidiabetika“ günstig wirken, zumindest auf die Symptome bei HFpEF (vgl. [10]). Die naheliegende Vermutung, dass die beobachteten Effekte in erster Linie Folge der Gewichtsabnahme sind, sei schwer zu belegen, da in kleineren Studien mit anderen gewichtreduzierenden Arzneimitteln (wie z.B. Liraglutid) oder mit starker Kalorieneinschränkung keine Besserung der HI-Symptome beobachtet wurden. Der GLP-1-Agonismus bewirke u.a. eine Umverteilung des Körperfetts und verringere Entzündungen, was sich möglicherweise günstig auf das Herz auswirke. Die Tatsache, dass auf Herzmuskelzellen beim Menschen noch keine GLP-1-Rezeptoren identifiziert worden sind, spreche für indirekte Effekte.
Sicherheitsbedenken: Kanadische Forscher haben kürzlich neue Daten zur gastrointestinalen Sicherheit von GLP-1A vorgelegt ([11]). Sie extrahierten aus einer großen pharmazeutischen Datenbank in den USA (IQVIA) Personen mit der Diagnose „Adipositas“ aber ohne die Diagnose „Diabetes mellitus“, bei denen zwischen 2006 und 2020 erstmals Liraglutid (n = 4.144), Semaglutid (n = 613) oder ein Vergleichspräparat mit gleicher Indikation (Bupropion-Naltrexon, n = 654) verordnet worden war. Sie suchten dann nach bestimmten, im Verlauf neu kodierten gastrointestinalen Diagnosen. Es ergaben sich dabei Hinweise darauf, dass die GLP-1A mit einem geringen, aber signifikant höheren Risiko für Pankreatitis (Risiko-adjustierte Hazard Ratio = adjHR: 9,0), Darmverschluss (adjHR: 4,2) und Gastroparese (adjHR: 3,6) assoziiert sind, nicht jedoch für Erkrankungen der Gallenwege (adjHR: 1,5). Die Autoren warnen, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis für GLP-1A bei anderen Indikationen ungünstiger ausfallen könnte als beim Diabetes mellitus.
Aktuell läuft auch eine Sicherheitsüberprüfung der europäischen und US-amerikanischen Arzneimittel-Agenturen (EMA, FDA) hinsichtlich häufigerer Gedanken an Suizid oder Selbstverletzungen im Zusammenhang mit einer Behandlung mit GLP-1A ([12]).