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Diabetiker mit Koronarer Herzkrankheit: aortokoronare Bypass-Operation, perkutane Koronarintervention oder „nur“ Arzneimittel?

Durch Optimierung von Material und Methoden ist die perkutane Koronarintervention (PCI) in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem komplikationsarmen und häufig durchgeführten Standardeingriff geworden. Aufgrund unterschiedlicher Faktoren (z.B. Abrechnungsmodalitäten, Verfügbarkeit) variieren die PCI-Zahlen sehr stark von Land zu Land. Deutschland hat seit vielen Jahren europaweit die höchste „Pro-Kopf-PCI-Rate“ (vgl. 1). Während die Effizienz der PCI bei allen Formen des Akuten Koronarsyndroms (ACS) gut durch Studiendaten belegt ist, ist dies für Patienten mit chronisch-stabiler Koronarer Herzkrankheit (KHK) bis heute nicht der Fall. Dies gilt insbesondere für den Vergleich mit der aortokoronaren Bypass-Operation (ACBP) bei Diabetikern, aber auch für den Vergleich mit der OMT (optimale medikamentöse Therapie).

Vor sechs Jahren haben wir über die COURAGE-Studie berichtet, in der prospektiv randomisiert die PCI mit der OMT verglichen wurde (2). Es zeigte sich bei einer mittleren Nachbeobachtungszeit von 4,6 Jahren kein signifikanter Vorteil hinsichtlich Tod, Myokardinfarkt und Hospitalisierung. Allerdings waren später in der OMT-Gruppe Koronarinterventionen hochsignifikant häufiger als in der PCI-Gruppe. Diese Resultate waren in den zunächst analysierten Subgruppen (auch bei Diabetikern) identisch. Die später publizierte COURAGE Nuclear substudy (3) zeigte speziell bei denjenigen Patienten, bei denen initial mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) eine relevante Myokardischämie (über > 10% des gesamten Myokardareals) nachgewiesen worden war, signifikant bessere Resultate (primärer Endpunkt: Ischämiereduktion; sekundärer Endpunkt: Tod, Myokardinfarkt) für die PCI mit OMT im Vergleich zur OMT allein (3). Eine konsistente hochsignifkante Reduktion klinischer Endpunkte fand sich auch in der FAME-Studie (4). Auf dieser Grundlage empfehlen die aktuellen Leitlinien der Europäischen kardiologischen Gesellschaft (ESC) zur Behandlung der stabilen KHK eine Revaskularisation nur bei signifikanter KHK mit nachgewiesener relevanter Ischämie unter OMT (5).

Vor vier Jahren haben wir über die SYNTAX-Studie berichtet, in der erstmals prospektiv und randomisiert die Ergebnisse von PCI und ACBP bei 1800 Patienten mit stabiler KHK unterschiedlicher Schweregrade verglichen wurden (6). Sie bestätigten Befunde aus Beobachtungen an wenigen Patienten und Registerdaten: Bei einer relativ kurzen Nachbeobachtungszeit von zwei Jahren fanden sich insgesamt keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Tod und Myokardinfarkt, allerdings signifikant häufiger Schlaganfälle in der ACBP-Gruppe und signifikant mehr spätere Koronarinterventionen in der PCI-Gruppe (6). Je höher der morphologisch-anatomische Komplexitätsgrad der KHK – quantifiziert nach dem für die Studie entwickelten und seither etablierten „SYNTAX-Score“ – und je geringer das Operationsrisiko, desto besser waren dabei die Resultate der ACBP. Dies traf insbesondere auch für die Subgruppe der Diabetiker zu.

Die vor einem Jahr publizierte FREEDOM-Studie (7) bestätigt diese Resultate erneut. Es wurden 1900 Patienten mit Diabetes und überwiegend komplexer KHK untersucht (mindestens zwei Koronargefäße betroffen, Hauptstamm ausgeschlossen). Sie wurden für ACBP (n = 947) oder PCI mit Drug-Eluting-Stents (DES; n = 953) randomisiert. Es handelt sich nach der SYNTAX-Studie erst um die zweite randomisierte Studie zu dieser Frage. Sponsor war das National Heart Blood and Lung Institute (NHLBI). Die Nachbeobachtungszeit war fünf Jahre, im Mittel 3,8 Jahre. Der primäre kombinierte Endpunkt umfasste Gesamtletalität, Myokardinfarkt und Schlaganfall. Er trat in der ACBP-Gruppe signifikant seltener auf als in der PCI-Gruppe (18,7% vs. 26,6%; p = 0,005), vor allem wegen hochsignifikant selteneren Myokardinfarkten (6,0% vs. 13,9%; p < 0,001). Auch die Letalität war in der ACBP-Gruppe niedriger (10,9% vs. 16,3%; p = 0,049). Schlaganfälle waren nach ACBP hingegen signifikant häufiger als nach PCI (5,2% vs. 2,4%; p = 0,03). Der Unterschied ergab sich in den ersten 30 Tagen postoperativ (10). Die nur als sekundärer Endpunkt erfassten erneuten Revaskularisationen waren nach einem Jahr in der PCI-Gruppe allerdings signifikant häufiger (12,6% vs. 4,8%; p < 0,001).

Kritisch anzumerken ist, dass die Autoren – wie auch die der SYNTAX-Studie – nicht näher auf die Indikation zur Revaskularisation eingehen – insbesondere auch nicht darauf, in welchem Umfang welche Methoden der Ischämiediagnostik im Rahmen der Vordiagnostik angewendet wurden. In den separat publizierten klinischen und angiographischen Charakteristika der Patienten wird lediglich in einem Satz erwähnt, dass „bei allen Patienten die Indikation zur Revaskularisation auf der anginösen Symptomatik oder einem objektiven Ischämienachweis basierte“ (8). Möglicherweise hätte eine konsequente (leitliniengerechte und evidenzbasierte) ischämiegesteuerte selektive Revaskularisation ein anderes Ergebnis gehabt. Eine andere von den Autoren selbst angeführte Einschränkung der FREEDOM-Studie besteht – wie bei allen randomisierten kontrollierten Studien – darin, dass die Patienten selektiert waren und die Resultate daher nicht unbedingt übertragbar sind. Der Autor des Editorials im selben Heft des N. Engl. J. Med., M.A. Hlatky von der Stanford University (10), hält die Ergebnisse aber insgesamt für überzeugend („compelling evidence“): Bei Diabetikern mit Angina pectoris und mehr als zwei befallenen Koronargefäßen ist die ACBP die überlegene Methode der Revaskularisation. Er glaubt, dass viele PCI zu rasch unmittelbar nach der diagnostischen Angiographie gemacht werden, ohne die Patienten in Ruhe von den Vor- und Nachteilen von ACBP und PCI zu informieren. Das muss bereits vor der Angiographie geschehen, nicht erst im Katheterraum.

Kürzlich wurde erneut eine Analyse der FREEDOM-Studienpopulation publiziert. Sie befasste sich mit dem Gesundheitsstatus aus Patientenperspektive („Health status, as assessed from the patient’s perspective“; 9). Dazu wurden aus einem standardisierten Fragebogen (Seattle Angina Questionnaire) die drei Komponenten Anginafrequenz, physische Einschränkungen und Lebensqualität (Scores jeweils von 1-100; höhere Werte sind günstiger) evaluiert. Beide Therapiestrategien besserten deutlich und anhaltend diese drei Komponenten: initial 71,4, 69,9 bzw. 49,2 und ab sechs Monaten nahezu gleichbleibend um 95, 85 bzw. 80. Es gab allerdings doch gewisse Unterschiede im zeitlichen Verlauf. In den ersten Monaten schnitt die PCI in den Kategorien physische Einschränkungen und Lebensqualität signifikant besser ab als die ACBP; ab sechs Monaten waren die Ergebnisse dann für die ACBP geringfügig besser, möglicherweise infolge der häufigeren Re-Interventionen in der PCI-Gruppe. Der Unterschied glich sich in den folgenden Jahren aber weitgehend aus. Die gemessenen Unterschiede waren generell klein – zum Teil deutlich geringer als in vergleichbaren Studien. Eine Subgruppenanalyse zeigte, dass Patienten mit intermediärer Komplexität der KHK (nach „SYNTAX-Score“) sowie Patienten mit initial häufiger Angina pectoris besonders von einer ACBP profitierten.

Fazit: Mit FREEDOM bestätigt eine zweite randomisierte kontrollierte Studie, dass die aortokoronare Bypass-Operation, verglichen mit der perkutanen Koronarintervention bei Diabetikern mit komplexer KHK, die wirksamere Therapieoption ist. Allerdings ist sie mit häufigeren perioperativen Schlaganfällen assoziiert. Bei speziellen Parametern der Lebensqualität hat allerdings die perkutane Koronarintervention vor allem in den ersten Monaten Vorteile, die sich aber langfristig ausgleichen. Unabhängig davon muss natürlich bei stabiler koronarer Herzkrankheit jede Revaskularisationsmaßnahme vom Nachweis einer relevanten Ischämie abhängig gemacht werden.

Literatur

  1. AMB 2002, 36, 54b.Link zur Quelle
  2. Boden, W.E., et al. (COURAGE = ClinicalOutcomes Utilizing Revascularization and AggressiveDruG Evaluation): N. Engl. J. Med. 2007, 356, 1503. Link zur Quelle AMB 2007, 41, 39. Link zur Quelle
  3. Shaw,L.J., et al. (COURAGE = Clinical Outcomes Utilizing Revascularizationand Aggressive DruG Evaluation nuclear substudy):Circulation 2008, 117, 1283. Link zur Quelle
  4. DeBruyne,B., et al. (FAME 2 = Fractional flow reserve versus Angiographyfor Multivessel Evaluation 2): N. Engl. J. Med. 2012, 367, 991 Link zur Quelle und Folgestudien
  5. Montalescot, G., et al.:Eur. Heart J. 2013, 34, 2949. Link zur Quelle
  6. Serruys, P.W., et al.(SYNTAX = SYNergy between percutaneouscoronary intervention with TAXus and cardiac surgery): N.Engl. J Med. 2009, 360, 961. Link zur Quelle Erratum: N. Engl. J. Med. 2013, 368, 584. AMB 2009, 43, 27a. Link zur Quelle
  7. Farkouh, M.E., et al. (FREEDOM = Future REvascularizationEvaluation in patients with Diabetes mellitus – Optimal Managementof multivessel disease): N. Engl. J. Med. 2012, 367, 2375. Link zur Quelle
  8. Bansilal, S., et al.:(FREEDOM = Future REvascularizationEvaluation in patients with Diabetes mellitus – Optimal Managementof multivessel disease): Am. Heart J. 2012, 164, 591. Link zur Quelle
  9. Abdallah, M.S., et al.(FREEDOM = Future REvascularizationEvaluation in patients with Diabetes mellitus – Optimal Managementof multivessel disease): JAMA 2013, 310, 1581. Link zur Quelle
  10. Hlatky, M.A.: N. Engl. J. Med. 2012,367, 2437. Link zur Quelle