Rund ein Fünftel aller zugelassenen Arzneimittel können nach den Angaben ihrer Hersteller die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Dabei handelt es sich überwiegend um ZNS-wirksame Pharmaka wie Benzodiazepine, ältere Antihistaminika und andere Hypnotika, Antipsychotika und Antidepressiva. Besonders die Kombination solcher Arzneimittel oder die zusätzliche Einnahme von Alkohol beeinträchtigt die Fahrtüchtigkeit im Straßenverkehr. Das Ausmaß der individuellen Beeinträchtigung kann wegen starker Unterschiede oft nur abgeschätzt werden. Bei Neuverordnung kritischer Arzneimittel müssen Ärztinnen und Ärzte persönlich über mögliche Beeinträchtigungen im Straßenverkehr informieren. Es ist dringend zu empfehlen, diese Aufklärung in den Krankenunterlagen zu dokumentieren. Die Dosierung sollte zum Beginn der Therapie mit solchen kritischen Arzneimitteln eingeschlichen und zum Ende ausgeschlichen werden. Zu diesen Zeitpunkten ist eine Fahrpause zu empfehlen. Ärztinnen und Ärzte sollten offensichtlich fahruntüchtige Patienten anweisen, nicht mehr mit ihrem Fahrzeug weiterzufahren und sich dies quittieren lassen.
Rund 15-20% der zugelassenen Medikamente können nach den Angaben ihrer Hersteller die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen. Man geht heute davon aus, dass an der Entstehung jedes vierten Verkehrsunfalls ein Arzneimittel beteiligt ist und jeder zehnte Unfalltote unter dem Einfluss von Psychopharmaka stand. In einer Untersuchung aus den USA fanden sich bei 13% der Unfallverursacher Benzodiazepine im Blut (1, 2).
Eine Übersicht über die wichtigsten, die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Arzneimittel gibt Tab. 1. Dabei handelt es sich überwiegend um ZNS-wirksame Pharmaka und opiathaltige Schmerzmittel. Aber auch die in Schnupfenmitteln enthaltenen Ephedrin-Abkömmlinge oder Kodein im Hustensaft können die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen, insbesondere wenn sie in Kombination mit anderen kritischen Arzneimitteln oder Alkohol eingenommen werden.
Das Ausmaß der Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit durch ein Arzneimittel kann oft nur abgeschätzt werden, da es starke individuelle Wirkunterschiede geben kann. Die publizierten Untersuchungsdaten basieren meist auf wenigen Versuchsreihen an Gesunden und auf Einzeldosen. Solchen Daten aus den 90er Jahren liegen die Angaben über das relative Gefahrenpotenzial der verschiedenen Arzneimittelgruppen in Tab. 2 zu Grunde. Demnach haben Anticholinergika und Benzodiazepine das größte Gefahrenpotenzial.
Die auf Expertenkonsens beruhende ICADTS-Kategorisierung (International Council on Alcohol, Drugs and Traffic Safety) ist hilfreich zur Einschätzung des Gefahrenpotenzials psychoaktiver Arzneimittel (3). In dieser Systematik werden – basierend auf experimentellen Arbeiten in den Niederlanden mit Fahrtests unter verschiedenen Arzneimitteln – drei Gefahrenkategorien unterschieden und mit der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit unter verschiedenen Blutalkohol-Konzentrationen verglichen (Tab. 3).
Benzodiazepine/Hypnotika: Beim Fahren unter dem Einfluss von Benzodiazepinen muss – unabhängig von der eingenommenen Dosis – von einer Beeinträchtigung wie mit mindestens 0,5‰ Blutalkohol ausgegangen werden. Das Ausmaß der Beeinträchtigung hängt vom Einnahmezeitpunkt, der Dosis und der Halbwertszeit des Hypnotikums ab. Bei lang wirkenden Benzodiazepinen und Zopiclon (Ximovan® u.a.) können auch nach > 16 Stunden nach der Einnahme noch Effekte nachgewiesen werden, die einem Fahrverhalten mit > 0,5‰ Blutalkohol entsprechen. Dieser Aspekt ist besonders bei älteren Menschen zu beachten, denn die Halbwertszeiten sind bei ihnen generell länger.
Bei einer Auswertung von Verkehrsunfällen in den USA (3) zeigte sich, dass insbesondere Unfallfahrer mit mittel oder lang wirksamen Benzodiazepinen im Blut ein deutlich höheres Unfallrisiko hatten als Fahrer ohne bzw. Fahrer unter dem Einfluss kurz wirkender Benzodiazepine (OR: 1,6). Eine Gewöhnung scheint es nicht bzw. nur begrenzt zu geben. Auch nach einjähriger Einnahme ist das Unfallrisiko unter Benzodiazepinen mit langer Halbwertszeit noch signifikant erhöht (4). Zudem scheint die Langzeiteinnahme von Benzodiazepinen zu dauerhaften kognitiven Defiziten zu führen, die sich auch nach Absetzen nicht vollständig zurückbilden (5).
Aus diesen Gründen sollten Benzodiazepine prinzipiell Patienten, die am Straßenverkehr teilnehmen, nur sehr vorsichtig verordnet werden und wenn, dann möglichst nur kurzwirksame, z.B. Triazolam = Halcion®, Cinolazepam = Gerodorm®, Oxazepam = Adumbram® u.a. Nach abendlicher Einnahme der ähnlich wie Benzodiazepine am GABA-Rezeptor wirkenden Hypnotika Zolpidem (Bikalm®, Stilnox® u.a.) und Zaleplon (Sonata®) konnten am nächsten Morgen keine die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Residualeffekte mehr gefunden werden (6).
Antihistaminika: Antihistaminika haben als frei verkäufliche Schlafmittel eine gewisse Bedeutung. Vor allem Antihistaminika der ersten Generation (Diphenhydramin = Vivinox® u.a.) wirken sich schon nach einmaliger Einnahme negativ auf die Fahrtüchtigkeit aus. Unbedenklicher in Bezug auf die Fahrtüchtigkeit, sowohl nach einmaliger als auch nach mehrmaliger Einnahme, scheinen Antihistaminika der sog. dritten Generation zu sein (7). Vom IACDTS werden beispielsweise Levocetirizin (Xusal®), Terfenadin (Generika), Loratadin (Lisino® u.a.) und Desloratadin (Aerius®) als unbedenklich im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit eingestuft (Kategorie I). Sie haben jedoch andere z.T. bedenkliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Interaktionen, die zu beachten sind (z.B. Terfenadin, Loratadin: bedrohliche Herzrhythmusstörungen (8).
Antidepressiva: Antidepressiva haben ein unterschiedlich großes Potenzial, die Verkehrstüchtigkeit zu beeinträchtigen. Die sedierenden trizyklischen und tetrazyklischen Antidepressiva sind wesentlich kritischer einzuschätzen als Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI), Selektive Serotonin- und Noradrenalin- Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI) oder Noradrenerge und spezifisch serotonerge Antidepressiva (NaSSA; s. Tab. 1). Bei älteren Autofahrern, die mit Trizyklika behandelt wurden, konnte ein mehr als zweifach erhöhtes Verkehrsunfallrisiko nachgewiesen werden. Die Einnahme von Amitriptylin (Saroten® u.a.) mit einer Tagesdosis von ≥ 125 mg steigerte das Risiko sogar sechsfach (9).
Auch die neueren Antidepressiva können psychomotorische und kognitive Fähigkeiten beeinträchtigen. Trotzdem schätzt die IACDTS z.B. Fluoxetin (Fluctin® u.a.), Paroxetin (Seroxat®, Tagonis® u.a.), Venlafaxin (Trevilor®) und Moclobemid (Aurorix®) als unbedenklich ein (Kategorie I). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Fahrtüchtigkeit von Patienten, die erfolgreich mit Antidepressiva behandelt sind, als besser einzuschätzen ist als die von unbehandelten (10).
Antipsychotika: Die Wirkstoffe dieser ebenfalls sehr heterogenen Arzneimittelgruppe sind nahezu alle stark sedierend und führen durch die Blockade zentraler Rezeptoren zu motorischen Defiziten. Diese Effekte sind insbesondere zu Therapiebeginn und bei höheren Dosen stark ausgeprägt. Immerhin bestanden aber in einer Studie 84 von 100 psychotischen Patienten nach Einstellung auf ein Antipsychotikum vor ihrer Krankenhausentlassung einen etablierten Fahrtüchtigkeitstest (11).
Ältere Substanzen wie Chlorpromazin (Propaphenin®), aber auch neuere wie Clozapin (Leponex® u.a.), Olanzapin (Zyprexa®) und Quetiapin (Seroquel®) sind stärker sedierend und sollten bei Verkehrsteilnehmern eher vermieden werden. Aripiprazol (Abilify®), Risperidon (Risperdal®) und Ziprasidon (Zeldox®) gelten als weniger sedierend. Tendenziell zeigen sich unter atypischen Antipsychotika am Fahrsimulator bessere Ergebnisse als unter konventionellen Neuroleptika (12). Bei den sehr unterschiedlichen psychomotorischen Leistungen dieser Patienten ist eine individuelle Bewertung der Verkehrssicherheit notwendig.
Opiate: In der Anfangsphase einer Opiattherapie sind die kognitiven Leistungen eingeschränkt und die Sedierung ist dosisabhängig stark ausgeprägt. Relativ schnell setzt dann aber eine Neuroadaptation ein, so dass man davon ausgehen kann, dass Patienten, die stabil auf ein Opiat eingestellt sind, wahrscheinlich kein erhöhtes Unfallrisiko mehr haben. Allerdings könnten Nachtfahrten ein Problem sein, weil die anhaltende Miosis unter Opiaten die Fernsicht und das Gesichtsfeld einschränken.
Kombinationen mehrerer psychoaktiver Substanzen: Bei Einnahme mehrerer Arzneimittel, die die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigen können, ist mit additiven bzw. potenzierenden Wirkungen zu rechnen. Sie sind aber nur schwer vorauszusagen. Daher sollten solche Kombinationen bei Verkehrsteilnehmern möglichst vermieden werden. Sind Mehrfachkombinationen jedoch unvermeidlich, ist eine freiwillige Testung der Fahrtauglichkeit zu empfehlen. Auf die gleichzeitige Einnahme von Alkohol ist selbstverständlich ganz zu verzichten (Null Promille bei Patienten mit beeinträchtigenden Arzneimitteln!).
Allgemeine und juristische Aspekte: Im Gegensatz zu Alkohol kann es für Arzneimittel keine „Promille-Lösung” geben, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, dass bei bestimmten Erkrankungen, wie Epilepsie oder Diabetes, Arzneimittel die Verkehrstüchtigkeit verbessern bzw. erst herstellen können.
Bei Neuverordnung kritischer Medikamente muss der Arzt fragen, ob sein Patient gegenwärtig ein Kraftfahrzeug führt und ihn über mögliche Beeinträchtigungen informieren. Der Hinweis auf die Packungsbeilage ist zwingend. Bestehen mehrere, therapeutisch gleichwertige Optionen, sollte das Präparat mit dem geringsten Gefahrenpotenzial gewählt werden. Die Dosierung sollte zu Beginn der Therapie eingeschlichen und zum Ende ausgeschlichen werden. Zu Beginn der Therapie mit kritischen Arzneimitteln muss der Patient eindeutig darauf hingewiesen werden, dass er eine Fahrpause einzulegen hat, mindestens für die Dauer einer Halbwertszeit. Bei der Wiedervorstellung sollte der Patient nach Fahrunsicherheiten gefragt werden.
Grundsätzlich ist jeder Teilnehmer am Straßenverkehr selbst dafür verantwortlich, dass er durch körperliche oder geistige Mängel nicht andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. In Deutschland ist es darüber hinaus bereits strafbar, ein Fahrzeug zu führen, wenn der betreffende Fahrer durch die Einnahme eines beeinträchtigenden Arzneimittels nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen (13). Dies gilt insbesondere, wenn der Fahrer Fahrfehler begeht und hierdurch Leib oder Leben anderer Personen oder Sachen von bedeutendem Wert gefährdet (14). In Österreich erfolgt eine Bestrafung von Verkehrsteilnehmern, die unter Einfluss beeinträchtigender Arzneimittel fahren nur, wenn gleichzeitig ein Verkehrsdelikt vorliegt. Fahrauffällige Verkehrsteilnehmer ohne Nachweis von Alkohol werden jedoch polizeiärztlich begutachtet, und es kann, wenn Fahruntüchtigkeit festgestellt wurde, vorübergehend die Fahrerlaubnis entzogen werden. Der Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Arzneimitteleinnahme und Fahruntüchtigkeit kann jedoch sehr schwierig bzw. unmöglich sein. Messungen von Arzneimittelkonzentrationen im Blut sind in Deutschland und in Österreich derzeit nicht üblich.
Es wäre generell zu überlegen, ob nicht zur Absicherung der Patienten mit komplexer Arzneimitteltherapie ein freiwilliger Test zur Überprüfung der Verkehrstüchtigkeit erfolgen sollte, der dann auch von den Krankenkassen bezahlt werden sollte.
Vor diesem Hintergrund, aber auch wegen möglicher straf- und zivilrechtlicher Konsequenzen ist die Aufklärungspflicht des Arztes von wesentlicher Bedeutung. Die Aufklärung muss grundsätzlich durch den Arzt mündlich und persönlich und nicht nur mit einem Verweis auf die Packungsbeilage erfolgen. Da der Arzt bei Schadensersatzforderungen unter Umständen nachweisen muss, dass er adäquat aufgeklärt hat, ist eine entsprechende Dokumentation in den Krankenunterlagen dringend anzuraten. Bei offensichtlich fahruntüchtigen und uneinsichtigen Patienten sollten Ärzte die Patienten anweisen, nicht mehr mit ihrem Fahrzeug weiterzufahren und sich dies sogar quittieren lassen. Es empfiehlt sich aus juristischen Gründen, nur im Ausnahmefall und bei schwerwiegender Gefahr, z.B. für die Sicherheit des Straßenverkehrs, die ärztliche Schweigepflicht zu brechen und die Exekutive zu informieren. In diesem Fall kann sich der Arzt auf den rechtfertigenden Notstand berufen.
Literatur
- Brunnauer, A., et al.: J. Neurol. Neurochir. Psych. 2008, 9, 31.
- Currie, D., et al.: Occup. >Med. (Lond.) 1995, 45, 323. Link zur Quelle
- Verster, J.C., und Mets, M.A.: Int. J. Environ. Res. Public Health 2009, 6, 1041. Link zur Quelle
- www.icadts.nl/reports/medicinaldrugs1.pdf Link zur Quelle
- Dubois, S., et al.: Traffic Inj. Prev. 2008, 9, 404. Link zur Quelle
- Hemmelgarn, B., et al.: JAMA 1997, 278, 27. Link zur Quelle
- Barker, M.J., et al.: CNS Drugs 2004, 18, 37. Link zur Quelle
- AMB 1997, 31, 32a Link zur Quelle und AMB 2002, 36, 79c. Link zur Quelle
- Verster, J.C., et al.: Sleep Med. Rev. 2004, 8, 309. Link zur Quelle
- Verster, J.C., und Volkerts, E.R.: Ann. Allergy Asthma Immunol. 2004, 92, 294. Link zur Quelle Errata: ibid. 2004, 92, 675 und 2005, 94, 409.
- Ray, W.A., et al.: Am. J. Epidemiol. 1992, 136, 873. Link zur Quelle
- Brunnauer, A., et al.: Psychopharmakotherapie 2007, 14, 157.
- Berghaus, G., et al.: Dtsch. Arztebl. 2006, 103, A 2104. Link zur Quelle
- Brunnauer, A., et al.: J. Clin. Psychiatry 2006, 67, 1776. Link zur Quelle
- Soyka, M., et al.: J. Psychiatry Res. 2005, 39, 101. Link zur Quelle