Die Europäische Arzneimittel-Agentur (European Medicines Agency = EMA) hat in der Sitzung ihres Aufsichtsrats (Management Board = MB) am 2.10.2014 eine Richtlinie verabschiedet, die am 1. Januar 2015 in Kraft treten wird. Sie erlaubt Wissenschaftlern, aber auch beispielsweise HTA-Organisationen (Health Technology Assessment = HTA), alle Daten klinischer Studien zu neuen Arzneimitteln, die vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) während des Zulassungsverfahrens der EMA vorgelegt wurden, unabhängig von der EMA auszuwerten. Aus Sicht der EMA ergänzt diese Richtlinie in sinnvoller Weise die im Mai 2014 verabschiedete Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln (1) und erlaubt der Öffentlichkeit in Zukunft, Entscheidungsprozesse der EMA im Rahmen der Zulassung neuer Arzneimittel besser nachzuvollziehen (2). Außerdem erhofft sich die EMA von ihrer Richtlinie wichtige Impulse für die klinische Forschung zu neuen Wirkstoffen, aber auch die Vermeidung redundanter, ethisch nicht vertretbarer klinischer Studien (3). Wir haben wiederholt – auch anhand konkreter Beispiele – darauf hingewiesen, dass öffentlich zugängliche, detaillierte Berichte zu den Zulassungs-relevanten klinischen Studien unverzichtbar sind, um Wirksamkeit und Schäden neuer Arzneimittel ohne Bias bewerten zu können (1, 4).
Zielsetzung und Inhalte der Richtlinie zur Publikation klinischer Berichte zu humanen Arzneimitteln werden beschrieben in einer Pressemitteilung, der Richtlinie mit vier Anhängen und einem Papier mit Fragen und Antworten zu dieser Richtlinie (2). Grundsätzlich dürfen die auf dieser Richtlinie basierenden zugänglichen Daten nur für nicht-kommerzielle Zwecke verwendet werden. In Kapitel 3 der Richtlinie werden verschiedene Definitionen erläutert und die Inhalte der klinischen Berichte („clinical reports“) – in den Dossiers der pU auf verschiedene Module verteilt – dargestellt. Kapitel 4 beschreibt wesentliche Merkmale der Richtlinie. Hierzu zählen: Nutzungsbedingungen und Zugriff auf klinische Berichte, Umgang mit kommerziell vertraulichen Informationen, Schutz privater Daten und Implementierung der Richtlinie. Die Umsetzung der Richtlinie soll schrittweise erfolgen. In einer ersten Phase werden klinische Berichte zu neuen Arzneimitteln veröffentlicht, die der EMA nach dem 1.1.2015 im Rahmen des zentralen Zulassungsverfahrens vom pU vorgelegt wurden. Klinische Berichte zur Indikationsausweitung bereits zentral zugelassener Arzneimittel werden publiziert, wenn die Anträge hierfür nach dem 1.7.2015 bei der EMA gestellt wurden. Einen öffentlichen Zugriff auf Daten zu Arzneimitteln, die vor dem 1.1.2015 im zentralen Verfahren zugelassen wurden, gewährt diese Richtlinie nicht. Weiterhin Gültigkeit haben jedoch die Verordnung der Europäischen Kommission (EC) Nr. 1049/2001 und die für diese Verordnung im Dezember 2010 in Kraft getretene Richtlinie die EMA (5). Sie besagen, dass jede Person das Recht hat, relevante Dokumente in Zusammenhang mit der Zulassung von Arzneimitteln in Europa einzusehen. In einer zweiten Phase ist geplant, auch die individuellen Patientendaten (Rohdaten) zu veröffentlichen.
Der jetzt von der EMA verabschiedeten Richtlinie sind ein Workshop im November 2012 sowie mehrere Konsultationen vorausgegangen, an denen die wesentlichen Interessenvertreter (z.B. Verbraucher-/Patientenorganisationen, Gesundheitsberufe, HTA-Organisationen, medizinische Fachzeitschriften, Vertreter der EC, einschließlich ihrer Ombudsfrau) beteiligt waren. Vor allem die dreimonatige Konsultation (Juli-September 2013) zu einem ersten Entwurf dieser Richtlinie hat eine außergewöhnlich starke Resonanz gefunden. Insgesamt waren während dieses Konsultationsverfahrens 1138 Kommentare von 169 unterschiedlichen Organisationen oder Einzelpersonen eingegangen. Im Anschluss daran haben im Mai 2014 gezielte Gespräche der EMA, vor allem mit Patienten- und Verbraucherorganisationen, pharmazeutischer Industrie, Wissenschaftlern und Herausgebern wissenschaftlicher Zeitschriften stattgefunden. Während dieser Treffen war ein neuer Entwurf der EMA bekannt geworden, der im Unterschied zu dem ursprünglich in 2013 vorgelegten Entwurf den öffentlichen Zugang zu Daten klinischer Studien deutlich erschwert hätte. Scharf kritisiert wurde vor allem der eingeschränkte Zugriff auf die Berichte (z.B. 6, 7). Das Lesen der Berichte sollte ausschließlich am Bildschirm des Computers erfolgen, das heißt ohne die Möglichkeit, relevante Abschnitte zu markieren, auszudrucken oder zu speichern. Auch das intransparente Verfahren hinsichtlich des Redigierens angeblich kommerziell vertraulicher Informationen durch den pU stieß auf heftige Ablehnung (z.B. 6, 7). Als ein möglicher Grund für diese Kehrtwendung der EMA wurden die laufenden Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den USA genannt – vor allem aufgrund des durch Briefe und Dokumente belegten Versuchs einer Einflussnahme auf das Streben der EMA nach mehr Transparenz durch den Dachverband der pharmazeutischen Industrie in den USA (PhRMA) sowie eine eher negative Bewertung der EMA Transparenzinitiative durch die U.S. Chamber of Commerce (8).
Erfreulicherweise wurde aber bei der Sitzung des MB der EMA am 12.6.2014 eine revidierte, nutzerfreundliche Version der Richtlinie vorgelegt und in weiteren Diskussionen auch das Redigieren kommerziell vertraulicher Informationen durch pU und dessen Überprüfung durch die EMA eindeutig geregelt.
Fazit: Die Bereitschaft der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), ab 2015 der Öffentlichkeit schrittweise detaillierte Berichte klinischer Studien zu zentral zugelassenen neuen Arzneimitteln zugänglich zu machen, begrüßt DER ARZNEIMITTELBRIEF ausdrücklich. Die EMA nimmt mit dieser Richtlinie eine Vorreiterrolle unter den international agierenden Zulassungsbehörden ein. Die rasche, konsequente Umsetzung dieser Richtlinie ist unverzichtbar für alle Wissenschaftler und Institutionen, die an unabhängiger Bewertung des Nutzen-Risiko-Profils neuer Arzneimittel interessiert sind.
Literatur
- AMB 2012, 46,49. Link zur Quelle
- http://www.ema.europa.eu/ema … Link zur Quelle
- Eichler,H.-G., et al.: N. Engl. J. Med. 2013, 369, 1577. Link zur Quelle
- AMB 2014, 48,32DB01 Link zur Quelle . AMB 2014, 48, 48DB01. Link zur Quelle
- http://www.ema.europa.eu/…Link zur Quelle
- Groves, T., und Weber,W.: BMJ 2014, 348, g3561. Link zur Quelle
- http://www.isdbweb.org/en/publications/…Link zur Quelle
- http://www.theglobalipcenter.com/…Link zur Quelle