Artikel herunterladen

Zulassung neuer Arzneimittel durch die FDA – ist die Evidenz aus den klinischen Studien ausreichend?

„Opening the FDA Black Box“, so titelte im Januar 2014 ein Editorial im JAMA zu drei Publikationen. Sie wurden erst möglich durch die inzwischen größere Transparenz bei der Food and Drug Administration (FDA), der weltweit führenden regulatorischen Behörde (1). Diese Publikationen untersuchten die Qualität der Evidenz in zulassungsrelevanten klinischen Studien zu neuen Arzneimitteln (2) oder Medizinprodukten in den USA (3) und analysierten die Gründe, weshalb die FDA die Marktzulassung neuer Arzneimittel gelegentlich verzögerte oder sogar ablehnte (4).

N.S. Downing et al. aus der Yale Universität in New Haven werteten alle FDA-Dokumente aus für neue, zwischen 2005 und 2012 zugelassene Wirkstoffe. Das Ergebnis ist für unsere Leser interessant (2). Die Auswertung basiert auf Dokumenten zu insgesamt 188 neuen Wirkstoffen – darunter 154 (81,9%) „Standard-Arzneimittel“ und 34 (18,1%) Biopharmazeutika. Alle Dokumente waren über Drugs@FDA auf der Webseite der FDA öffentlich zugänglich.

Von den neuen Wirkstoffen hatten 31 (16,5%) einen „Orphan drug“(OD)-Status, und 22 (11,7%) wurden in beschleunigten Verfahren („accelerated approval“) zugelassen. Etwa 20% waren für die Behandlung von Krebserkrankungen, 14% für infektive Erkrankungen und 11% zur Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen, des Diabetes mellitus oder von Fettstoffwechselstörungen. Besonderes Augenmerk galt der Patientenzahl, dem Design, der Dauer und den Endpunkten in den für die Zulassung relevanten („pivotal“) klinischen Studien (1, 5). Für die 188 Arzneimittel wurden insgesamt 448 zulassungsrelevante Studien identifiziert. Von ihnen waren 400 (89,3%) randomisiert und 356 (79,5%) doppelblind durchgeführt wurden. Mehr als die Hälfte aller Studien (246 = 55,1%) verglichen den neuen Wirkstoff mit einem Plazebo, nur 143 (31,9%) Studien mit einem aktiven Wirkstoff, und 58 (12,9%) Studien wurden ohne Kontroll-Gruppe durchgeführt.

Auch in Europa ist es beim zentralen Zulassungsverfahren nicht erforderlich, dass Informationen aus Studien mit aktiver Kontrolle vorliegen. Eine retrospektive Auswertung durch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) von Europäischen Bewertungsberichten der European Medicines Agency (EMA) der Jahre 2009 und 2010 ergab, dass die 39 neuen Arzneimittel mit Erstzulassung oder Indikationserweiterung nur in 46% mit einer aktiven Kontrolle verglichen wurden (6). Als primärer Endpunkt wurde von der FDA ein Surrogat in 219 (48,9%) Studien akzeptiert, ein für Patienten relevanter Endpunkt (z.B. Tod, Notwendigkeit der Behandlung im Krankenhaus) in 130 (29%) und eine klinische Gradeinteilung (z.B. Aktivitätsindex bei M. Crohn oder eine visuelle Skala zur Erfassung der Schmerzintensität) in 99 (22,1%) Studien. Die Zahl der Patienten lag in den zulassungsrelevanten Studien im Median bei 446, davon befanden sich 271 in der Interventionsgruppe. Die mediane Studiendauer betrug 14 Wochen, wobei nur 113 klinische Studien (25,2%) länger als sechs Monate dauerten. Demgegenüber betrafen mehr als die Hälfte (n =108; 52,4%) der insgesamt 206 Anwendungsgebiete Indikationen, die eine chronische Behandlung erforderten, und nur 40 (19,4%) solche für eine akute Behandlung. Die klinischen Studien, die für die Zulassung neuer Arzneimittel durch die EMA in den Jahren 2000-2010 entscheidend waren, haben Defizite. Auf diese haben wir kürzlich hingewiesen (7). Zu geringe Patientenzahlen und zu kurze Studiendauer führen dazu, dass viele Risiken vor der Zulassung übersehen werden und Aussagen zur langfristigen Wirksamkeit und Sicherheit, besonders wichtig bei chronischer Behandlung, häufig nicht möglich sind.

Die Auswertung der FDA-Daten von N.S. Downing et al. ergab, dass sich die Merkmale der für die Zulassung relevanten klinischen Studien je nach Wirkstoff und Anwendungsgebiet unterscheiden. Eine Randomisierung erfolgte in nur 47,3% der klinischen Studien zu neuen Wirkstoffen zur Behandlung von Krebserkrankungen, und nur 27,3% der Studien wurden doppelblind durchgeführt. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Untersuchungen (8, 9) und einer aktuellen Auswertung der Europäischen Bewertungsberichte durch die AkdÄ (10). Ein aktiver Wirkstoff wurde naturgemäß signifikant häufiger verabreicht in klinischen Studien zur Behandlung infektiver Erkrankungen als in Studien für andere Anwendungsgebiete. Als primäre Endpunkte werden sehr häufig Surrogate gewählt mit dem Ziel einer beschleunigten Zulassung oder auch bei seltenen Erkrankungen – entsprechend den regulatorischen Anforderungen. Die durchschnittliche Zahl der rekrutierten Patienten ist in diesen Studien häufig geringer als bei der regulären Zulassung. Für fast alle Wirkstoffe (95%) mit beschleunigter Zulassung durch die FDA wurden Surrogate als Endpunkte verwendet, und die mediane Zahl der Patienten im Interventionsarm betrug bei Arzneimitteln mit OD-Status 98 und bei solchen mit beschleunigter Zulassung 142. Dies ist bei seltenen Krankheiten mit keinen bzw. wenigen Therapiealternativen oder bei lebensbedrohlichen Erkrankungen grundsätzlich akzeptabel, erfordert aber die Bereitschaft des pharmazeutischen Unternehmers (pU), nach der Zulassung rasch weitere Evidenz für den klinischen Nutzen des neuen Wirkstoffs zu liefern (11). Das geschieht leider viel zu selten. Die Zulassung der meisten neuen onkologischen Wirkstoffe durch die FDA basierte auf den Ergebnissen einer einzigen klinischen Studie, wohingegen für die Zulassung von Arzneimitteln für kardiovaskuläre Erkrankungen, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie oder psychiatrische Indikationen in der Regel mindestens drei von den pU vorgelegt wurden.

Häufig sind bei Arzneimitteln, die neu auf den Markt kommen, die Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit unzureichend – vor allem im Vergleich mit bereits zugelassenen. Deshalb wurde bereits vor einigen Jahren vom Institute of Medicine (USA) in einem Bericht gefordert (12), dass die FDA nicht nur bei der Zulassung, sondern während des gesamten Lebenszyklus eines Arzneimittels Nutzen und Risiken kontinuierlich überwacht („life-cycle approach“). Dies erfordert detaillierte Auflagen der regulatorischen Behörden (FDA, EMA) zur Durchführung weiterer klinischer Studien zu Nutzen und Sicherheit neuer Arzneimittel nach der Zulassung, vor allem aber auch eine konsequente strenge Kontrolle, dass diese Auflagen tatsächlich umgesetzt werden.

Fazit: Eine gründliche Auswertung aller öffentlich zugänglichen FDA-Dokumente der Jahre 2005 bis 2012 verdeutlicht: die Qualität der Evidenz in den für die Zulassung relevanten Studien, die der FDA als Basis für die Zulassung neuer Wirkstoffe dienten, war sehr unterschiedlich. Sie variierte sehr stark in Abhängigkeit vom untersuchten Wirkstoff und der Indikation. Aufgrund der Defizite in diesen Studien – vor allem hinsichtlich Zahl der untersuchten Patienten, ausgewählten Endpunkten sowie Design und Dauer – bleiben viele Fragen unbeantwortet, die wichtig sind für die rationale und sichere Verordnung von Arzneimitteln nach der Zulassung. Downing et al. schlagen deshalb vor, dass die FDA auch die Qualität der Evidenz der klinischen Studien bewertet, die zur Zulassung geführt haben, und eventuell sogar benotet, um solche mit robuster von solchen mit schwächerer Evidenz unterscheiden zu können (2). Eine ähnliche Einschätzung ermöglicht in Deutschland die seit 2011 durchgeführte (frühe) Nutzenbewertung (13). Durch die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses zum Zusatznutzen neuer Arzneimittel erhalten Ärztinnen und Ärzte wichtige unabhängige Informationen zur Wirksamkeit und Sicherheit neuer Arzneimittel bereits kurz nach ihrer Zulassung im Vergleich zu den verfügbaren Therapiealternativen (14).

Literatur

  1. Goodman, S.N., und Redberg, R.F.:JAMA 2014, 311, 361.
  2. Downing,N.S., et al.: JAMA 2014, 311, 368.
  3. Rome,B.N., et al.: JAMA 2014, 311, 385.
  4. Sacks,L.V., et al.: JAMA 2014, 311, 378.
  5. McCarthy,M.: BMJ 2014, 348, g1075.
  6. Ujeyl,M., et al.: Dtsch. Arztebl.Int. 2012, 109,117. Link zur Quelle
  7. AMB2013, 47, 54. Link zur Quelle
  8. Bertele,V., et al.: Eur. J. Clin. Pharmacol. 2007, 63, 713.
  9. Kesselheim, A.S., et al.:JAMA 2011, 305, 2320.
  10. Ludwig, W.-D., und Schott, G.: Onkologie 2013, 36 Suppl.2, 17.
  11. McKee, A.E., et al.: Oncologist 2010, 15Suppl. 1, 13.
  12. Institute of Medicine. The Future ofDrug Safety: Promoting and Protecting the Health of the Public. Washington, DC:National Academic Press, 2006.
  13. AMB 2010, 44, 25 Link zur Quelle. AMB 2010, 44, 89. Link zur Quelle
  14. http://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung/Link zur Quelle