DER ARZNEIMITTELBRIEF hat wiederholt auf die Bedeutung eines öffentlichen Zugangs zu allen Daten klinischer Studien mit neuen Arzneimitteln hingewiesen und die am 2.10.2014 – nach einigen Geburtswehen – verabschiedete Richtlinie zur Publikation klinischer Berichte als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz begrüßt (1). Diese Richtlinie („Policy 0070“; 2) war in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 verabschiedet worden, die in Artikel 80 regelt, dass „der Öffentlichkeit regulatorische, wissenschaftliche oder technische Informationen über die Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln, die nicht vertraulich sind, zur Verfügung gestellt werden“ (3). Im Rahmen dieser Richtlinie wird Wissenschaftlern, aber auch Mitarbeitern von Health Technology Assessment (HTA)-Einrichtungen, ermöglicht, klinische Berichte zu neuen Arzneimitteln, die vom pharmazeutischen Unternehmer (pU) während des Zulassungsverfahrens der European Medicines Agency (EMA) vorgelegt wurden, unabhängig auszuwerten. Die „Policy 0070“ umfasst zwei Phasen: Phase 1 ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten und regelt die Veröffentlichung klinischer Berichte, die klinische Auswertungen bzw. Zusammenfassungen und die klinischen Studienberichte („clinical study reports“) beinhalten, sowie Phase 2, die auch den öffentlichen Zugriff auf individuelle Patientendaten erlaubt und zu einem späteren (noch nicht festgelegten) Zeitpunkt in Kraft treten soll (2).
Am 19.10.2016 sind jetzt von der EMA die ersten klinischen Berichte zu Carfilzomib (Kyprolis®; 4) und Lesinurad (Zurampic®) auf der Website veröffentlicht worden (5). Im November und Dezember wurden weitere klinische Berichte zu vier neuen Wirkstoffen veröffentlicht, u.a. zu Idarucizumab (Praxbind®; 6) und einem Generikum des teuren Antimykotikums Caspofungin (Caspofungin Accord®; 7).
Die EMA ist somit die weltweit erste für die Zulassung von Arzneimitteln zuständige regulatorische Behörde, die einen öffentlichen Zugang und die unabhängige Analyse klinischer Studienberichte ermöglicht. Aus Sicht der EMA soll diese größere Transparenz sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse über neue Arzneimittel verbessern als auch Ärzten sowie Patienten bessere und vollständige Informationen über die Ergebnisse klinischer Studien zur Verfügung stellen. Auch pU wären Nutznießer, da sie aus den Erfahrungen anderer pU bei der Entwicklung neuer Wirkstoffe lernen und ihre eigenen Entwicklungsprogramme effizienter gestalten können (8).
Wie wichtig eine unabhängige Auswertung klinischer Studienberichte zu neuen Arzneimitteln ist, verdeutlichen inzwischen zahlreiche Untersuchungen (9). Aktuelle Untersuchungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) haben ergeben, dass im Vergleich zu den bereits verfügbaren öffentlichen Informationsquellen (European Public Assessment Report = EPAR, Publikationen in medizinischen Fachzeitschriften, Berichte in Studienregistern) – diese liefern meist nur unvollständige Informationen über neue Arzneimittel – die klinischen Studienberichte, die als Dossiers des pU im Rahmen der frühen Nutzenbewertung beim Gemeinsamen Bundesausschuss eingereicht werden müssen, wichtige und bis dato unbekannte Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit neuer Arzneimittel enthalten (10; vgl. 11).
Fazit: Die am 2.10.2014 verabschiedete und am 1. Januar 2015 in Kraft getretene Richtlinie („Policy 0070“) zur Publikation klinischer Daten zu neuen Arzneimitteln auf der Webseite der EMA ist sehr zu begrüßen. Seit Oktober 2016 sind erstmals klinische Berichte zu inzwischen sechs neu zugelassenen Arzneimitteln öffentlich zugänglich. Sie können beispielsweise von Wissenschaftlern und Mitarbeitern der HTA-Einrichtungen genutzt werden, um genaue Erkenntnisse zum therapeutischen Stellenwert neuer Arzneimittel zu erhalten und unabhängig das Nutzen-Risiko-Profil neuer Arzneimittel zu bewerten.
Literatur
- AMB 2012, 46, 49 Link zur Quelle. AMB 2014, 48, 79. Link zur Quelle
- http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
- http://ec.europa.eu/… Link zur Quelle
- AMB 2016, 50, 54 Link zur Quelle. AMB 2016, 50, 89. Link zur Quelle
- https://clinicaldata.ema.europa.eu/web/cdp/home Link zur Quelle
- AMB 2016, 50, 12. Link zur Quelle
- AMB 2003, 36, 14 Link zur Quelle. AMB 2007, 41, 33. Link zur Quelle
- Eichler, H.-G., et al.: N. Engl. J.Med. 2013, 369, 1577. Link zur Quelle
- AMB 2010, 44, 39a Link zur Quelle. AMB 2012, 46, 49 Link zur Quelle . AMB 2014, 48, 48DB01. Link zur Quelle
- Köhler, M., et al.: BMJ 2015, 350, h796. Link zur Quelle
- AMB 2016, 50, 96DB01. Link zur Quelle