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Glukokortikosteroide reduzieren die Sterblichkeit bei Patienten mit schwerem Verlauf von COVID-19 – eine prospektive Metaanalyse

Seitdem erkannt wurde, dass die schweren Verläufe von COVID-19 mehr durch Immunreaktionen als durch das Virus direkt bestimmt werden (1), sind mehrere Studien zur Wirksamkeit von Glukokortikosteroiden bei schwerem Verlauf dieser Infektion initiiert worden; bis zum 24. Juli 2020 waren 55 Studien zu dieser medikamentösen Behandlung registriert. Während ein Protokoll für eine prospektive Metaanalyse zu dieser Frage von der WHO entwickelt wurde (2, 3), wurden bereits die Ergebnisse einer großen in Großbritannien durchgeführten Studie publiziert (RECOVERY; 4). Es wurde von 6.426 Patienten mit COVID-19 berichtet, die entweder 6 mg/d Dexamethason erhielten oder die Standardtherapie allein. Dabei konnte zum ersten Mal eine günstige Wirkung eines Medikaments auf die Sterblichkeit bei COVID-19 belegt werden. Die Mortalität wurde insgesamt um 2,8% gesenkt; in der Gruppe der schwer Erkrankten (intubierte Patienten) war der Effekt sogar deutlich größer: 12,1% (29,3% vs. 41,4%; Rate Ratio: 0,64; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,51-0,81). Die Publikation dieses Ergebnisses führte dazu, dass die meisten anderen Studien abgebrochen wurden. Um die Evidenz für therapeutische Empfehlungen zu erhöhen, wurde dann von der WHO die hier zu besprechende Metaanalyse durchgeführt (9). Dazu waren Kooperation und Organisation des Chefredakteurs von JAMA gefragt, denn in die Metaanalyse sollten zusätzlich die Daten von 3 bisher noch nicht publizierten Studien aufgenommen werden (5-7), was auch die Einwilligung der jeweiligen Studienleiter erforderte. Diese waren am Ende einverstanden, dass zeitgleich mit den Daten der 3 Studien auch eine Metaanalyse durchgeführt und publiziert wurde. Außerdem wurde zu dieser Metaanalyse noch ein lesenswertes Editorial publiziert (8).

Methodik: Die Hauptfrage dieser prospektiven Metaanalyse (9) war: Ist die Behandlung mit einem Glukokortikosteroid bei kritisch kranken Patienten mit COVID-19 mit einer geringeren Sterblichkeit am Tag 28 assoziiert? Dazu wurden die Daten aus 7 randomisierten Studien ausgewertet, deren Studienleiter bereit waren, die Ergebnisse zur Verfügung zu stellen. Es wurden vom 26. Februar bis 9. Juni 2020 insgesamt 1.703 kritisch kranke Patienten (alle auf Intensivstation, die meisten intubiert, sonst > 10 Liter Sauerstoff pro Minute und/oder katecholaminpflichtig) aus 12 Ländern eingeschlossen. Die letzte Nachverfolgung war am 6. Juli 2020. Die Daten der einzelnen Studien wurden zusammen ausgewertet. Auch prädefinierte Untergruppen wurden analysiert. Das Risiko für eventuelle Verzerrungen der Ergebnisse wurde mit dem „Cochrane Risk of Bias Assessment Tool“ (10) und Inkonsistenzen zwischen den Studien wurden mittels I2-Statistik untersucht. Die primäre Analyse war auf die Gesamtmortalität hinsichtlich der Intervention ausgelegt. Weitere aufwändige statistische Verfahren wurden eingesetzt, um die Verlässlichkeit des Effekts zu überprüfen. Die Patienten (n = 678) erhielten systemisch zusätzlich zur Standardtherapie entweder Glukokortikosteroide (Dexamethason, Hydrokortison oder Methylprednisolon) oder die Standardtherapie plus Plazebo (n = 1.025).

Ergebnisse: Die Patienten waren im Median 60 Jahre (IQR: 52-68 Jahre) alt, 488 waren Frauen (29%). Das Risiko für einen Bias war in 6 der 7 Studien gering; bei einer Studie gab es Bedenken wegen der für die Randomisierung gewählten Methode. Fünf Studien berichteten über die Mortalität nach 28, eine nach 21 und eine nach 30 Tagen. Unter der Therapie mit Glukokortikosteroiden starben 222 Patienten von 678 Patienten und 425 von 1.025 Patienten unter Plazebo-Standard-Therapie (Odds Ratio = OR: 0,66; CI: 0,53-0,82; p < 0 ,001). Die Inkonsistenz-Analyse ergab kaum Unterschiede, wenn die Studien einzeln betrachtetet wurden. Eine getrennte Auswertung der verschiedenen Glukokortikosteroide ergab keinen nennenswerten Unterschied, und auch die verwendeten Dosierungen waren nicht entscheidend. Die Wirksamkeit ist somit wohl ein Klasseneffekt. In 6 der 7 Studien wurden Nebenwirkungen erfasst, und bei 64 von 354 Patienten in den Glukokortikosteroid- und bei 80 von 342 Patienten in den Plazebo-Gruppen beobachtet.

In dem begleitenden Editorial (8) werden diese Ergebnisse, speziell bei schwerkranken Patienten, als ermutigend beurteilt. Diese Therapie sei zudem preisgünstig und überall verfügbar. Da es sich wohl um einen Klasseneffekt handelt, ist man bei der Wahl des Glukokortikosteroids nicht festgelegt. Die minimal wirksame Dosierung ist jedoch noch nicht ermittelt. Da 59% der Patienten in dieser Metaanalyse aus der RECOVERY-Studie (4) stammen, sind die verwendeten 6 mg/d Dexamethason oder eine entsprechende Äquivalenzdosis eines anderen Glukokortikosteroids vermutlich eine gute Option (vgl. 13). Zu beachten ist, dass die Wirksamkeit dieser Therapie bei milden oder moderaten Verlaufsformen nicht belegt ist. Offen ist außerdem die Frage, die in einem begleitenden Video diskutiert wird (11): Was ist zu tun, wenn ein Patient mit COVID-19 zunehmend mehr Sauerstoff braucht, die Infiltrate in der Lunge zunehmen und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass er in den nächsten Stunden intubiert werden muss? Spekulativ ist, dass in dieser Situation neben der supportiven Therapie spezifischere immunmodulatorische Wirkstoffe, beispielsweise mit anti-IL6- oder anti-IL-1-Aktivität, wirksam sein könnten. Die Antwort auf diese wichtige klinische Frage muss weiter geklärt werden.

Fazit: Aus den Ergebnissen dieser prospektiven Metaanalyse ergibt sich zum ersten Mal eine klare Indikation für eine Wirkstoffgruppe bei schwerkranken Patienten mit COVID-19. Glukokortikosteroide, systemisch gegeben (beispielsweise 6 mg/d Dexamethason), senken die Mortalität bei beatmeten Patienten mit einer NNT (Number Needed to Treat) von ca. 8 gegenüber der Standardtherapie und vermindern die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung. Das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) befürwortet diese Behandlung (12).

Literatur

  1. AMB 2020, 54, 25 Link zur Quelle . AMB 2020, 54, 37 Link zur Quelle . AMB 2020, 54, 48 Link zur Quelle. AMB 2020, 54, 72. Link zur Quelle
  2. Thomas, J., et al.: Chapter 22: prospective approaches to accumulating evidence. http://www.training.cochrane.org/handbook Link zur Quelle
  3. Sterne, J.A.C., et al.: Trials 2020, 21, 734. Link zur Quelle
  4. Horby, P., et al. (RECOVERY = Randomised Evaluation of COVID-19 thERapY): N. Engl. J. Med. 2020. Link zur Quelle Vgl. AMB 2020, 54, 56. Link zur Quelle
  5. Dequin, P.F., et al. (CAPE_COD = Community-Acquired Pneumonia: Evaluation of COrticosteroiDs): JAMA 2020. Link zur Quelle
  6. Angus, D.C., et al. (REMAP-CAP COVID-19 = Randomized, Embedded, Multifactorial Adaptive Platform trial for Community-Acquired Pneumonia): JAMA 2020. Link zur Quelle
  7. Tomazini, B.M., et al. (CoDEX = COVID-19-associated ARDS treated with DEXamethasone: Alliance Covid-19 Brasil III): JAMA 2020. Link zur Quelle
  8. Prescott, H.C, und Todd, W.R.: JAMA 2020. Link zur Quelle
  9. The WHO Rapid Evidence Appraisal for COVID-19 Therapies (REACT) Working Group: JAMA 2020. Link zur Quelle
  10. Sterne, J.A.C., et al.: BMJ 2019, 366, l4898. Link zur Quelle
  11. https://jamanetwork.com/journals/jama/pages/covid-19-interviews Link zur Quelle
  12. https://www.ema.europa.eu/ en/news/ema-endorses-use- dexamethasone-covid-19-patients- oxygen-mechanical-ventilation Link zur Quelle
  13. Mahase, E.: BMJ 2020, 369, m2422. Link zur Quelle