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Vorhofflimmern: Update zur therapeutischen Entscheidung Rhythmus- oder Frequenzkontrolle

Zusammenfassung: Erstmals konnte in einer Interventionsstudie bei frühem Vorhofflimmern (Vofli) ein kleiner klinischer Vorteil einer Rhythmus-erhaltenden gegenüber einer Frequenz-kontrollierenden Strategie nachgewiesen werden. Dem Nutzen beim kombinierten primären Endpunkt „kardiovaskulärer Tod, Schlaganfall oder Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz und akutem Koronarsyndrom“, der unseres Erachtens sehr störanfällig ist, steht jedoch ein deutlich höheres Risiko für unerwünschte, therapieassoziierte Ereignisse gegenüber: Number needed to treat (NNT) 91 vs. Number needed to harm (NNH) 29 über 2 Jahre. Die Indikation zur Rhythmuskontrolle sehen wir daher weiterhin vorrangig bei Jüngeren, Patienten mit bestimmten kardialen Komorbiditäten und/oder starkem Leidensdruck.

Bei Vofli empfiehlt die europäische Kardiologische Gesellschaft (ESC) in ihren neuen Leitlinien (1) den ABC-Zugang: Anticoagulation – Better symptom control – Cardiovascular risk factors: Detection and Management. Zur Symptomkontrolle gehört in erster Linie die Frage, ob der Sinusrhythmus (SR) wiederhergestellt und erhalten werden soll (Rhythmuskontrolle = RK) oder ob es ausreichend ist, die Herzfrequenz medikamentös zu kontrollieren (Frequenzkontrolle = FK). Die ESC-Leitlinien empfehlen eine medikamentöse FK mit Betablockern, Verapamil oder Diltiazem und Digitalisglykosiden bzw. deren Kombination bei allen Patienten mit Vofli als „background therapy“, also auch, wenn das Vofli nur sehr selten und kurz auftritt (einmal Vofli – immer Betablocker?). Die Evidenz für diese weitreichende Empfehlung wird in den Leitlinien nicht dargelegt. Die FK ist demnach auch erste Wahl bei Patienten mit geringeren („minor“) Symptomen (1).

Eine RK sollte nach den Leitlinien in erster Linie zur Reduktion der Vofli-bedingten Symptome und zur Verbesserung der Lebensqualität angestrebt werden. Im Zweifel wird ein Versuch zur Wiederherstellung des SR als rational angesehen. Die Behandlungsoptionen zur RK umfassen die Kardioversion, verschiedene Antiarrhythmika der Klassen I und III (Propafenon, Flecainid, Amiodaron, Dronedaron) und die Katheterablation. Diese Therapien können jedoch Nebenwirkungen und auch Krankenhausaufenthalte verursachen, was bei der Therapieentscheidung berücksichtigt und besprochen werden muss. Zudem sprechen die Leitlinien von einem „treatment burden“, einem Sammelbegriff, der alle von den Betroffenen wahrgenommenen Belastungen durch die Therapie umfasst. Diese therapiebedingten Belastungen können im Einzelfall bei einer RK sehr hoch sein, etwa durch wiederholte Kardioversionen und Ablationsbehandlungen. Die Wiederherstellung des SR ist also keinesfalls ein genereller Automatismus bei Patienten mit Vofli. Als Argumente für eine RK werden genannt: junges Lebensalter, eine erste Episode bzw. ein spezifischer Auslöser (z.B. Fieber), eine kurze Krankheitsdauer, tachykardiebedingte Herzinsuffizienz, ein nicht wesentlich erweiterter linker Vorhof und wenige kardiale Komorbiditäten sowie Schwierigkeiten mit der medikamentösen FK.

Zur Frage RK oder FK wurde vor 18 Jahren die AFFIRM-Studie mit 4.060 Patienten durchgeführt. Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass die RK der FK nicht überlegen ist, weder hinsichtlich harter Endpunkte (Mortalität, kardiale Dekompensationen, Schlaganfälle) noch hinsichtlich der Lebensqualität (vgl. 2). Seither gibt es neue Behandlungsstrategien (ABC-Ansatz), verbesserte Methoden (v.a. Katheterablation; vgl. 3) und neue Medikamente (z.B. Dronedaron, DOAK), deren konsequente Anwendung zu einer anderen Bewertung führen könnte. Die Frage FK oder RK wurde daher in einer europäischen Multizenter-Studie erneut gestellt. Die von den Autoren initiierte Studie trägt das Akronym EAST-AFNET 4 und wurde sowohl mit öffentlichen Geldern (u.a. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Deutschland) als auch mit Industriegeldern finanziert (4). Der Erstautor wird in einer Presseaussendung der ESC mit der Aussage zitiert, dass die Ergebnisse das Potenzial haben, die klinische Praxis bei frühen Formen des Vofli komplett zu Gunsten der RK zu verändern (5).

Eingeschlossen wurden Patienten mit „frühem Vofli“ (Erstdiagnose ≤ 1 Jahr) und 1. einem Alter > 75 Jahre oder Zustand nach transitorisch ischämischer Attacke (TIA) oder Schlaganfall oder 2. mit mindestens zwei der folgenden klinischen Merkmale oder Diagnosen: Alter > 65 Jahre, weibliches Geschlecht, Herzinsuffizienz, arterielle Hypertonie, Linksherzhypertrophie, Diabetes mellitus, koronare Herzkrankheit oder periphere Atherosklerose sowie chronische Niereninsuffizienz im Stadium 3/4.

Behandlung: Die kardiovaskulären Grunderkrankungen aller Patienten sollten gemäß den geltenden Leitlinien ausreichend behandelt sein und alle eine orale Antikoagulation und eine ausreichend gute FK haben (Ruhefrequenz 80-100/min). Patienten, die für eine RK randomisiert wurden (n = 1.395), sollten mit Antiarrhythmika, Kardioversion bzw. Ablation möglichst wieder in den SR gebracht werden. Die jeweilige Strategie war den lokalen Studienzentren überlassen. Die nachfolgende Rhythmus-Überwachung erfolgte mittels regelmäßiger (zweimal/Woche) und anlassbezogener telemetrischer EKG-Übertragungen. Bei erneuter Diagnose von Vofli wurden die Patienten einbestellt und ggf. eine Eskalation der Therapie veranlasst. Patienten, die für eine FK randomisiert wurden (n = 1.394), erhielten Betablocker oder Verapamil und/oder Digitalis mit dem Ziel einer Ruhefrequenz < 100/min. Eine Therapieeskalation (andere Antiarrhythmika, Kardioversion oder Ablation) sollte nur erfolgen, wenn dies klinisch erforderlich erschien. Regelmäßige EKG-Übertragungen fanden in diesem Behandlungsarm nicht statt.

Primärer Studienendpunkt war eine Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall oder Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz oder akutem Koronarsyndrom (ACS). Zu den sekundären Endpunkten zählten u.a. die Zahl der Nächte im Krankenhaus pro Jahr und die selbst eingeschätzte Lebensqualität. Die Nachbeobachtungszeit betrug mindestens 2 Jahre.

Ergebnisse: In den Jahren 2011-2016 wurden insgesamt 2.789 Patienten an 135 Zentren eingeschlossen. Das Vofli bestand im Median 36 Tage. Das mittlere Alter der Studienteilnehmer(innen) betrug 70,3 Jahre (Spanne 34-94 Jahre), 46,3% waren Frauen. Insgesamt hatten 38% nur einmal Vofli, bei 36% wurde die Diagnose paroxysmales und bei 27% persistierendes Vofli gestellt. Es hatten 40% der Patienten bereits einmal eine Kardioversion, 54% waren bei Studieneinschluss im SR und 30,5% waren hinsichtlich des Vofli symptomlos. Der mittlere CHA2DS2-VASc-Score betrug 3,4.

Die Studie wurde nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 5,1 Jahren und insgesamt 7.500 Patientenjahren wegen signifikanter Vorteile in der RK-Gruppe vorzeitig beendet. Zu diesem Zeitpunkt waren mehr Patienten aus dem RK-Arm ausgeschieden: 9,0% vs. 6,6% aus dem FK-Arm. Als häufigster Grund wird ein Widerruf der Einwilligung genannt (6,9% bzw. 4,5%).

Der primäre Endpunkt trat mit RK bei 249 Patienten auf (3,9% pro 100 Personenjahre) und bei 316 Patienten mit FK (5,0% pro 100 Patientenjahre). Die Hazard Ratio wurde mit 0,79 berechnet (95%-Konfidenzintervall: 0,66-0,94; p = 0,005), die berechnete „Number needed to treat“ (NNT) beträgt 91 über 2 Jahre und ist nicht besonders eindrucksvoll. Der Vorteil war bei allen 4 Komponenten des primären Endpunkts nachweisbar (s. Tab. 1). Die Zahl der Krankenhaustage war etwa gleich (5,8 vs. 5,1/Jahr), wobei hier – für uns unverständlich – nur die Nächte im Krankenhaus gezählt wurden und nicht die tagesklinischen Behandlungen. Die meisten Patienten hatten auch nach 3 Jahren hinsichtlich ihres Vofli keine Symptome, mit Vorteilen im RK-Arm (74,3% vs. 60,5%). Es fand sich aber kein Unterschied hinsichtlich der Lebensqualität. Die RK verursachte mehr schwerwiegende unerwünschte Wirkungen (4,9% vs. 1,4%; Number needed to Harm 29), insbesondere durch Nebenwirkungen von Antiarrhythmika (2% vs. 0,6%) und Komplikationen durch eine Ablationsbehandlung (0,71% vs. 0,14%).

Im zugehörigen Editorial weisen T.J. Bunch und B.A. Steinberg aus Salt Lake City darauf hin, dass die Ereignisrate insgesamt niedrig war, was auf die große Bedeutung der Basistherapie hinweist (ABC s.o.) – wahrscheinlich besonders auf die konsequente orale Antikoagulation (6). Sie kritisieren, dass die verwendeten Therapien im RK-Arm „sehr breit“ und nur ungenau berichtet werden (z.B. keine Angaben zur Häufigkeit von Kardioversionen). Die Häufigkeit von Vofli werde aufgrund der verwendeten Detektionsmethode unterschätzt und die ungleiche Dropout-Rate in den beiden Behandlungsarmen könnte das Ergebnis zugunsten der RK beeinflusst haben.

Diesen Kritikpunkten kann noch hinzugefügt werden, dass die Ergebnisse der gewählten Endpunkte „Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz und ACS“ bei einer unverblindeten Studie statistisch sehr störanfällig sind. Es ist auch unverständlich, warum in der Publikation keine Angaben über die Häufigkeit tagesklinischer Behandlungen gemacht werden, da dies die „treatment burden“ erheblich beeinflussen dürfte. Diese Informationen wären auch wichtig für gesundheitsökonomische Analysen. Da die Ablationsrate und die Verwendung von Dronedaron im RK-Arm gering waren, können die Ergebnisse der EAST-AFNET-4-Studie auch nicht als Argument für diese Therapieoptionen verwendet werden.

Literatur

  1. Hindricks, G., et al.: Eur. Heart J. 2020, ehaa612. Link zur Quelle
  2. AMB 2003, 37, 65. Link zur Quelle
  3. AMB 2018, 52, 19 Link zur Quelle . AMB 2017, 51, 14 Link zur Quelle . AMB 2014, 48, 81. Link zur Quelle
  4. Kirchhof, P., et al. (EAST-AFNET 4 = Early treatment of Atrial fibrillation for Stroke prevention Trial – Atrial Fibrillation NETwork 4): N. Engl. J. Med. 2020, published online August 29. Link zur Quelle
  5. https://www.escardio.org/ The-ESC/Press-Office/Press-releases/ Early-rhythm-control-therapy-improves-outcomes- in-patients-with-atrial-fibrillation Link zur Quelle
  6. Bunch, T.J., und Steinberg, B.A.: N. Engl. J. Med. 2020, published online August 29. Link zur Quelle

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