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Eine Supplementierung von Kalzium muss streng indiziert sein, besonders bei kardiovaskulären Risikopatienten [CME]

Wir haben 2008 über eine Metaanalyse zu oralen Kalzium-Supplementen im Rahmen der Osteoporosetherapie berichtet. Aus dieser ergaben sich Hinweise darauf, dass eine langdauernde Kalzium-Supplementierung mit einem höheren Risiko für Myokardinfarkte assoziiert ist. Wir schlussfolgerten damals: „Da diese Supplemente osteoporotische Frakturen allenfalls marginal verhindern und die erhöhte Letalität bei Osteoporose nicht gesenkt wird, muss diese „Basistherapie” – auch als Bestandteil einer kombinierten Therapie – unbedingt überprüft werden.“ (vgl. [1]).

Nun ist in der Zeitschrift Heart eine große retrospektive Studie erschienen, in der die Auswirkungen von Kalzium-Supplementen auf Patienten mit Aortenstenosen (AOS) untersucht wurden [2]. Es wird vermutet, dass AOS durch die gleichen Pathomechanismen mitverursacht und unterhalten werden wie atherosklerotische Gefäßerkrankungen: Endotheldysfunktion, Lipidablagerungen, Inflammation, Kalzifizierung. Entsprechend zählen zu den klinischen Risikofaktoren einer AOS-Progression höheres Lebensalter, männliches Geschlecht, fortgeschrittene Niereninsuffizienz, Hypercholesterinämie, hohes LDL-Cholesterin und Lipoprotein (a), Rauchen, Diabetes mellitus, metabolisches Syndrom – und Hyperkalziämie [3].

Methodik: Die Daten der Studie, die aus einem „unrestricted grant“ finanziert wurde, stammen aus der Cleveland Clinic Echocardiography Database. Die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben. Es wurden 2.567 Patienten identifiziert, die zum Zeitpunkt der Diagnosestellung in den Jahren 2008-2016 > 60 Jahre alt waren und die mindestens 2 Jahre lang nachbeobachtet wurden. In die retrospektiven Analysen wurden nur Personen eingeschlossen mit leichter oder mittelgradiger AOS nach den Kriterien der Echokardiografie („Aortic Valve Area“ = AVA zwischen 1 und 2 cm2).

Es wurden 3 Kohorten gebildet: Patienten ohne Einnahme von Kalzium-Supplementen und Vitamin D3 (-Ca/-VD; n = 1.292; 49% aller); Patienten die nur Vitamin D3 erhielten (+VD; n = 332; 12%) und Patienten die Kalzium-Supplemente mit oder ohne Vitamin D3 einnahmen (+Ca ± VD; n = 1.033; 39%). In der dritten Kohorte befanden sich 115 Personen, die nur Kalzium einnahmen. Das waren zu wenige für eine eigene Kohorte. Die Kalzium-Tagesdosen lagen zwischen 500 und 2000 mg; die mediane Einnahmedauer zu Beginn der Beobachtungsphase betrug für Kalzium und für Vitamin D3 > 5 Jahre. Alle Erhebungen erfolgten aus der elektronischen Patientenakte der Cleveland Clinic, d.h. ein direkter Patientenkontakt fand nicht statt. Gründliche Auswertungen zur Indikation der Kalzium- oder Vitamin D3-Supplementierung oder zu den Dosierungen waren nicht möglich.

Primäre Studienendpunkte waren Gesamt- und kardiovaskuläre Mortalität und die Notwendigkeit einer operativen Klappenkorrektur. Zudem wurden der echokardiografische und klinische Verlauf der AOS in den 3 Kohorten miteinander verglichen.

Ergebnisse: Das mittlere Alter der Patienten betrug 74,3 Jahre, 42% waren Frauen. Die durchschnittliche AVA betrug bei Studienbeginn 1,3 cm2, der Spitzengradient in der Dopplerflussmessung 30 mm Hg. Die 3 Kohorten unterschieden sich signifikant in ihrem Grundrisiko bei mehreren Faktoren, die auch zu den Risikofaktoren einer AOS-Progression zählen. So befanden sich zu Studienbeginn in der +VD-Kohorte mehr Männer und mehr Personen mit Diabetes mellitus, koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz und Vorhofflimmern und in der +Ca ± VD-Kohorte mehr Patienten mit fortgeschrittener Niereninsuffizienz, Dialysetherapie und Osteoporose. Auch bei den eingenommenen Medikamenten gab es wichtige Unterschiede: In der Kohorte -VD/-Ca wurden seltener Statine, Vitamin K-Antagonisten und ASS verordnet, in der +Ca ± VD-Kohorte mehr Bisphosphonate und Phosphatbinder.

Die mediane Nachbeobachtungsdauer betrug knapp 6 Jahre (48-100 Monate). In dieser Zeit gab es 540 Todesfälle (20,4%) und 774 operative Klappenkorrekturen (29,1%), davon 112 mittels kathetergestützter Verfahren (TAVI). Die Operationsquote war mit Abstand am höchsten bei den Patienten mit Kalzium-Supplementierung: 50% (+Ca ± VD) vs. 35% (+VD) vs. 11% (-Ca/-VD).

Auch die Gesamtmortalität war am höchsten bei den Patienten mit Kalzium-Supplementierung: 25% (+Ca ± VD) vs. 20% (+VD) vs. 17% (-VD/-Ca). Die berechneten Ereignisraten waren 43 vs. 32 vs. 26 pro 1.000 Personenjahre. Die Unterschiede von +VD und +Ca ± VD im Vergleich zu -VD/-Ca waren jeweils statistisch signifikant. Die kardiovaskuläre Mortalität zeigte ein ähnliches Verteilungsmuster (Ereignisraten: 13,7 vs. 9,6 vs. 5,8 pro 1.000 Personenjahre).

Da die Grundrisiken in den 3 Kohorten unterschiedlich waren, erfolgten univariate und multivariate Cox-Regressionsanalysen. Danach blieb nur für die Patienten mit Kalzium-Supplementierung ein erhöhtes Risiko bestehen für die Gesamtmortalität (Hazard Ratio = HR: 1,31; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,07-1,62) und die kardiovaskuläre Mortalität (HR: 2,0; CI: 1,31-3,07). Für die alleinige Einnahme von Vitamin D3 fand sich nach dieser statistischen Korrektur kein erhöhtes Risiko mehr.

In den univariaten Analysen wurde eine zur Interpretation der Ergebnisse noch wichtige Beobachtung gemacht: Patienten mit Kalzium-Supplementierung hatten auch eine höhere Sterbewahrscheinlichkeit, wenn sie eine Aortenklappenkorrektur erhielten. Im Vergleich mit Patienten ohne Vitamin D3 und ohne Kalzium betrug die HR für die Gesamtmortalität bei den nicht Operierten 1,75 und bei den Operierten 1,38. Dies wird von den Autoren als Hinweis darauf interpretiert, dass die schlechtere Prognose der Personen mit Kalzium-Supplementen nicht auf der Progression der AOS beruht, sondern andere Gründe hat.

Hierzu passt auch die Beobachtung, dass sich die echokardiografischen Merkmale der AOS in den 3 Kohorten im Verlauf nicht voneinander unterschieden. In allen 3 Kohorten entwickelte sich bei etwa einem Drittel eine schwere Aortenstenose nach echokardiografischen Kriterien. Am Ende der Nachbeobachtungszeit betrug die durchschnittliche AVA bei den Patienten mit Kalzium-Supplementen 0,84 cm2, in der +VD-Kohorte 0,82 cm2 und in der -VD/-Ca-Kohorte 0,74 cm2. Diese Unterschiede waren nicht signifikant. Auch die Zunahme der Spitzen- und mittleren Gradienten in der Dopplersonografie verlief in den 3 Kohorten parallel. Die Beobachtung, dass das Vitium bei Personen mit Kalzium-Supplementen trotzdem deutlich häufiger operiert wurde als in den beiden anderen Kohorten, könnte darin begründet sein, dass die Patienten mit Kalzium-Supplementen mehr kardiovaskuläre Komplikationen hatten, die von den behandelnden Ärzten der AOS zugeordnet wurden.

Die schlechtere Prognose von Personen mit Kalzium-Supplementen und AOS kann also nicht auf eine raschere Progredienz des Vitiums zurückgeführt werden. Andere Mechanismen sind wahrscheinlich. Die Autoren diskutieren zwei Möglichkeiten:

  1. Es besteht kein kausaler Zusammenhang. Die Kalzium-Einnahme ist nur ein Marker für Patienten mit einem höheren kardiovaskulären Risiko und einer höheren Vulnerabilität durch die Grunderkrankung (Osteoporose, Hypoparathyreoidismus);
  2. Es besteht ein kausaler Zusammenhang. Kalzium führt in höheren Dosierungen und über längere Zeit eingenommen zu Interaktionen mit dem Endothel und/oder dem Gerinnungssystem und zu vaskulären Kalzifizierungen mit der Folge von vermehrten kardiovaskulären Komplikationen.

Die Autoren schlussfolgern, dass eine Verordnung von Kalzium-Supplementen wegen der vielen Hinweise für schädigende Effekte auf das Herz-Kreislaufsystem und der geringen Evidenz für den Nutzen dieser Intervention bei Osteoporose nur im begründeten Einzelfall erfolgen sollte.

In einem begleitenden Editorial („Calcium, vitamin D and aortic valve calcification: to the bone or to the heart?“) weist Jutta Bergler-Klein von der Medizinischen Universität Wien darauf hin, dass ein fehlregulierter Kalzium-Phosphat-Stoffwechsel ein wichtiger Faktor bei der Entwicklung von Sklerose und Verkalkung der Aortensegel ist. Eine Kalzium-Supplementierung müsse sorgfältig und sehr individuell erfolgen, unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden kardiovaskulären Risikofaktoren und anderer Erkrankungen. Sie schlägt vor, dass eine Quantifizierung von Gefäßverkalkungen in die Osteoporose-Diagnostik aufgenommen werden sollte.

Fazit

Nach einer großen retrospektiven longitudinalen Kohortenstudie aus Cleveland ist eine langfristige kontinuierliche Kalzium-Supplementierung mit oder ohne Vitamin D3 bei Patienten mit kalzifizierter Aortenstenose mit einer signifikant höheren Gesamt- und kardiovaskulären Mortalität assoziiert sowie mit einer höheren Rate operativer Korrekturen der Aortenklappe. Der Grund für die schlechtere Prognose mit Kalzium-Supplementen liegt nicht in einem schnelleren Fortschreiten des Vitiums, sondern wahrscheinlich in vermehrten kardiovaskulären Komplikationen. Diese Beobachtung ist zwar nicht neu, jedoch häufen sich die Indizien für einen kausalen Zusammenhang mit der Kalziumeinnahme. Solange die Zusammenhänge noch nicht vollständig geklärt sind, sollte eine Kalzium-Supplementierung nur bei eindeutiger Indikation, z.B. bei Erkrankungen mit manifestem Kalziummangel, und nicht bei zweifelhaften Indikationen erfolgen, insbesondere nicht bei kardiovaskulären Risikopatienten.

Literatur

  1. AMB 2010, 44, 59. (Link zur Quelle)
  2. Kassis, N., et al.: Heart 2022, 108, 964. (Link zur Quelle)
  3. Freeman, R.V., und Otto, C.M.: Circulation 2005, 111, 3316. (Link zur Quelle)