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ACCORD-BP- und ACCORD-Lipid-Studie: Intensiver heißt nicht immer erfolgreicher behandeln

Über die Ergebnisse der ACCORD-Studie bei Patienten mit unterschiedlich strenger Blutzuckereinstellung bei Diabetes mellitus Typ 2 (DM2) haben wir 2008 berichtet (1, 2). Die Studie wurde nach einer medianen Beobachtungsdauer von 3,4 Jahren vorzeitig beendet, da die Sterblichkeit der intensiver behandelten Patienten (Ziel-HbA1c: < 6%) gegenüber der Standardbehandlung (Ziel-HbA1c: 7-7,9%) signifikant höher war.

ACCORD ist eine Studie, in der neben dem Einfluss einer unterschiedlichen Blutzuckersenkung zusätzlich auch die Senkung von Blutdruck und Blutlipiden untersucht wurde. Nach einer mittleren Beobachtungsdauer von 4,7 Jahren wurden jetzt die Ergebnisse der ACCORD-BP-Studie und der ACCORD-Lipid-Studie zeitgleich auf der wissenschaftlichen Tagung des American College of Cardiology vorgestellt und im N. Engl. J. Med. veröffentlicht (3, 4).

Die ACCORD-Lipid-Studie verglich die Kombination Simvastatin plus Fenofibrat (K) mit einer Simvastatin-Monotherapie (M) bei Patienten mit DM2. Die Simvastatin-Dosis wurde abhängig von der LDL-Cholesterinkonzentration im Serum und vom kardiovaskulären Erkrankungsstatus festgelegt. Nach mehrmaliger Änderung des Studienprotokolls erhielten etwa 80% der Teilnehmer 20-40 mg/d. In der K-Gruppe bekamen etwa 80% das Fibrat in voller oder reduzierter Dosis (160 mg/d oder 54 mg/d). Der Grund für die reduzierte Dosis und dafür, dass ein Teil der Patienten kein Fibrat erhielt, war eine eingeschränkte oder abnehmende Nierenfunktion.

Primärer Endpunkt war das erste Ereignis eines nicht-tödlichen Myokardinfarkts, eines nicht-tödlichen Schlaganfalls oder kardiovaskulärer Tod. Das Behandlungsergebnis war in beiden Gruppen fast identisch. Auch bei den sekundären Endpunkten (u.a. nicht-tödlicher Myokardinfarkt, Apoplex und Gesamtletalität) fand sich kein signifikanter Unterschied (s. Tab. 1).

In der K-Gruppe stieg die mittlere Serum-Kreatinin-Konzentration signifikant stärker an als in der M-Gruppe. Wegen der Abnahme der Nierenfunktion wurde die Studienmedikation (Fenofibrat oder Plazebo) bei 2,4% der Patienten in der K-Gruppe und bei 1,1% in der M-Gruppe beendet.

Bereits im Protokoll definierte Subgruppen zeigten insgesamt bei Männern unter Fenofibrat bessere Ergebnisse als bei Frauen und einen Hinweis (p = 0,06) auf einen Vorteil für Patienten mit HDL-Cholesterin ≤ 24 mg/dl und Triglyzeriden ≥ 204 mg/dl. Eine Interaktion zur Blutzuckersenkung fand sich nicht.

Für die unverblindete ACCORD-BP-Studie waren die Einschlusskriterien ein systolischer Blutdruck zwischen 130 und 180 mm Hg (unter bis zu drei Antihypertensiva) und eine Protein-Ausscheidung < 1 g/d. Die Randomisierung erfolgte entweder zu einer Gruppe mit systolischem Zielblutdruck < 120 mm Hg (Intensivtherapie = I) oder < 140 mm Hg (Standardtherapie = S). Das antihypertensive Therapieregime war nicht vorgegeben. Die am häufigsten verwendeten Antihypertensiva zum Ende der Studie waren ACE-Hemmer oder Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker (etwa 85%), Diuretika (80% bei I bzw. 56% bei S) und Betarezeptoren-Blocker (61% bei I bzw. ca. 43% bei S). Die mediane Zahl der Antihypertensiva war drei bei I und zwei bei S.

Auch hier waren die Behandlungsergebnisse in beiden Gruppen nicht wesentlich unterschiedlich. Zwar wurden in der I-Gruppe pro Jahr 0,2% weniger Schlaganfälle registriert (s. Tab. 2), und diese geringe Differenz ist statistisch signifikant, aber sie ist nicht relevant. Auch die Inzidenz der Makroalbuminurie war in der I-Gruppe signifikant geringer, ansonsten ergaben sich Nachteile der intensiveren Therapie, hauptsächlich hinsichtlich Hypotonie, Hyper-/Hypokaliämie, Bradykardie/Arrhythmie, und Verschlechterung der Nierenfunktion. Patienten, bei denen ein HbA1c von 7,0-7,9% (Standard-Arm in der Blutzucker-Studie; s. 1, 2) angestrebt wurde, profitierten eher von einer intensiven Blutdrucksenkung.

Fazit: Im bereits zuvor publizierten Teil der ACCORD-Studie fand sich keine Reduktion des primären Endpunkts durch eine strengere Blutzuckereinstellung, sondern eine erhöhte Letalität (s. 1, 2). Auch bei strengerer Blutdruckeinstellung (Ziel < 120 mm Hg vs. < 140 mm Hg) und intensiverer Therapie der Lipidwerte zeigte sich keine positive Beeinflussung des primären Endpunkts. Bei Patienten mit DM2 bedeutet also „intensiver behandelt” oder „niedriger eingestellt” nicht unbedingt „auf lange Sicht erfolgreicher” behandelt. Solche Ergebnisse, die therapeutische Indikationen präzisieren, d.h. auch gelegentlich einschränken, sind wichtig. Therapiekritische Arbeiten werden aber nur selten veröffentlicht.

Literatur

  1. AMB 2008, 42, 27. Link zur Quelle
  2. AMB 2008, 42, 59. Link zur Quelle
  3. Ginsberg, H.N., et al. (ACCORD Lipid = Action to Control CardiOvascular Risk in Diabetes Lipid): N. Engl. J. Med. 2010, 362, 1563 Link zur Quelle . Erratum: N. Engl. J. Med. 2010, 362, 1748.
  4. Cushman, W.C., et al. (ACCORD BP = Action to Control CardiOvascular Risk in Diabetes Blood Pressure): N. Engl. J. Med. 2010, 362, 1575. Link zur Quelle

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