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Rivaroxaban ist keine Option zur Behandlung von Patienten nach ischämischem Schlaganfall bei unklarer Emboliequelle

Bei jedem vierten ischämischen Schlaganfall bleibt die Ursache unklar. Man geht davon aus, dass vielen dieser sog. kryptogenen Schlaganfälle eine Embolie aus einer bisher nicht erkannten Quelle als Ursache zugrunde liegt (vgl. 1). Im Jahr 2014 hat eine internationale Arbeitsgruppe empfohlen, kryptogene Schlaganfälle, bei denen man eine Embolie als Ursache annimmt, als eigene Entität zusammenzufassen (Embolic Stroke of Undetermined Source = ESUS; 2). Die Diagnose ESUS setzt voraus, dass eine umfangreiche Diagnostik durchgeführt wurde, um als Ursache des Schlaganfalls kardiale Erkrankungen mit hohem Embolierisiko auszuschließen, wie z.B. Vorhofflimmern, ein Hochrisiko-PFO (persistierendes Foramen ovale; vgl. 1) sowie eine fortgeschrittene Arteriosklerose der kleinen oder großen hirnversorgenden Gefäße (Mikroangiopathie oder Makroangiopathie).

Standardtherapie zur Sekundärprophylaxe bei Patienten nach kryptogenem ischämischem Schlaganfall ist ASS (3). Für Patienten mit ESUS sah die Arbeitsgruppe jedoch eine klare Indikation für eine Antikoagulation. Weil sie direkte orale Antikoagulantien (DOAK) für wirksamer und sicherer hielt als den Vitamin-K-Antagonisten Warfarin, forderte sie vergleichende Studien, bei denen ESUS-Patienten auf eine Therapie mit einem DOAK oder einem Thrombozytenfunktionshemmer randomisiert werden. Die meisten Autoren der Publikation der Arbeitsgruppe hatten enge finanzielle Beziehungen zu Herstellern von DOAK (2).

Nun wurden erstmals Ergebnisse einer dieser geforderten vergleichenden Studien veröffentlicht: In der randomisiert und doppelblind durchgeführten Studie NAVIGATE ESUS wurde die Wirksamkeit und Sicherheit des oralen Faktor-Xa-Hemmers Rivaroxaban (Xarelto®) mit ASS verglichen (4, vgl. 5). Die Studie wurde von Bayer und Janssen finanziert, die auch an der Planung und Durchführung beteiligt waren. Auch die Autoren dieser Publikation haben zahlreiche relevante finanzielle Interessenkonflikte.

In die Studie wurden an 459 Standorten in 31 europäischen, asiatischen und amerikanischen Ländern insgesamt 7.213 Patienten mit ESUS eingeschlossen. Zu den wichtigsten Einschlusskriterien gehörten der Nachweis eines nicht-lakunären Hirninfarkts (> 1,5 cm) mittels CT oder MRT 7 Tage bis 6 Monate vor Einschluss in die Studie und eine unklare Ätiologie in der nachfolgenden Diagnostik, d.h. der Ausschluss einer > 50%-igen extra- oder intrakraniellen arteriellen Stenose (z.B. mittels Dopplersonographie), Vorhofflimmern (mindestens 20 h-Langzeit-EKG-Ableitung notwendig), eines kardialen Thrombus (transthorakale Echokardiographie ausreichend) und kein Nachweis einer anderen Ursache, z.B. Arteriitis, Dissektion, Migräne, Vasospasmus, Drogenabusus (6). Zu den wichtigsten Ausschlusskriterien gehörten eine schwere Beeinträchtigung nach dem Schlaganfall (Modified Rankin Scale ≥ 4; vgl. 8), eine andere Indikation für eine dauerhafte Antikoagulation oder plättchenhemmende Medikation, eine chronische Niereninsuffizienz (eGFR < 30 ml/min/1,73m2) sowie der indizierte und geplante Verschluss eines PFO.

Die Patienten wurden im Median 37 Tage nach dem Schlaganfall randomisiert behandelt, entweder mit Rivaroxaban 15 mg/d (n = 3.609) oder ASS 100 mg/d (n = 3.604). Primärer Endpunkt zur Wirksamkeit war das erste Rezidiv eines Schlaganfalls (jeder Ursache) oder eine systemische Embolie. Zu den sekundären Endpunkten gehörte eine Kombination von Tod aus kardiovaskulärer Ursache, Schlaganfallrezidiv, systemische Embolie und Myokardinfarkt. Diese Endpunkte wurden auch separat analysiert. Der primäre Endpunkt zur Sicherheit waren schwere Blutungen.

Das Alter der Patienten betrug durchschnittlich 67 Jahre; 62% waren Männer. Bei 7% wurde ein PFO diagnostiziert. 15% der Patienten in der Rivaroxaban-Gruppe und 12% der Patienten in der ASS-Gruppe setzten die Medikation vor dem Eintreten des primären Endpunkts ab. Bei 80 Patienten in der Rivaroxaban-Gruppe und 75 in der ASS-Gruppe wurde im Verlauf der Studie nach im Median 5 Monaten ein Vorhofflimmern diagnostiziert, so dass sie protokollgemäß ausgeschlossen wurden.

Die Nachbeobachtung betrug im Median 11 Monate. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Studie nach einer geplanten Zwischenanalyse vorzeitig beendet: Unter Rivaroxaban ergab sich ein erhöhtes Blutungsrisiko bei fehlendem Vorteil hinsichtlich des Schlaganfallrisikos. Ein Schlaganfall (jeder Ursache) oder eine systemische Embolie (primärer Endpunkt) trat auf bei 172 Patienten in der Rivaroxaban-Gruppe (annualisierte Rate 5,1%) und bei 160 in der ASS-Gruppe (annualisierte Rate 4,8%; Hazard Ratio = HR: 1,07; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,87-1,33; p = 0,52). Während ischämische Schlaganfälle in beiden Gruppen gleich häufig vorkamen (annualisierte Rate 4,7%), waren hämorrhagische Schlaganfälle in der Rivaroxaban-Gruppe signifikant häufiger (HR: 6,50; CI: 1,47-28,8). Schwere Blutungen traten bei Patienten in der Rivaroxaban-Gruppe ebenfalls signifikant häufiger auf (HR: 2,72; CI: 1,68-4,39; p < 0,001), ebenso wie lebensbedrohliche und tödliche Blutungen.

In laufenden Studien werden auch Dabigatran und Apixaban zur Sekundärprävention von Schlaganfällen bei Patienten mit ESUS untersucht (7). Ergebnisse sind noch nicht veröffentlicht (Stand Mai 2018).

Fazit: In einer aktuellen Studie fanden sich bei Patienten mit Embolic Stroke of Undetermined Source (ESUS), einer Untergruppe der kryptogenen Schlaganfälle, unter Rivaroxaban im Vergleich zu ASS häufiger schwere Blutungen und kein Vorteil hinsichtlich Schlaganfallrezidiven. Die Studie wurde deshalb nach einer geplanten Zwischenanalyse vorzeitig abgebrochen. Rivaroxaban darf bei diesen Patienten daher nicht eingesetzt werden. Sie sollten weiter einen Thrombozytenfunktionshemmer erhalten.

Literatur

  1. AMB 2017, 51, 73. Link zur Quelle
  2. Hart, R.G., et al.: Lancet Neurol. 2014, 13, 429. Link zur Quelle
  3. http://www.degam.de/… Link zur Quelle
  4. Hart, R.G., et al. (NAVIGATE ESUS = New Approach RiVaroxaban Inhibition of Factor Xa in a Global trial versus ASA to prevenT Embolism in Embolic Stroke of Undetermined Source): N. Engl. J. Med. 2018. May 16. doi: 10.1056/NEJMoa1802686. Epub ahead of print. Link zur Quelle
  5. AMB 2018, 52, 21 Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 13 Link zur Quelle . AMB 2011, 45, 73 Link zur Quelle . AMB 2008, 42, 76. Link zur Quelle
  6. Hart, R., et al.: Eur. Stroke J. 2016, 1, 146. Link zur Quelle
  7. https://clinicaltrials.gov/… Link zur Quelle
  8. https://clinicaltrials.gov/… Link zur Quelle
  9. http://www.strokecenter.org/… Link zur Quelle