Sergio Sismondo von der Queens Universität in Ontario/Kanada hat auf der diesjährigen Generalversammlung der International Society of Drug Bulletins (ISDB), der auch DER ARZNEIMITTELBRIEF angehört, auf ein ernsthaftes Problem im medizinischen Alltag hingewiesen: Die Beeinflussung unserer Gedankenwelt durch sogenannte „Key Opinion Leaders“ (KOL).
KOL sind respektierte medizinische Experten, deren Gedanken und Handlungen einen beträchtlichen Einfluss haben, z.B. auf die Einschätzung und Verbreitung neuer Ideen, neuer Produkte oder Verfahren. Die pharmazeutische Industrie setzt KOL gezielt als Verkaufspersonen ein. KOL sehen sich selbst freilich anders. Sie halten sich für überwiegend unabhängig und verkennen häufig das Marketing-Interesse der Industrie an ihrer Person und ihren beruflichen Leistungen.
Die Transformation eines Arztes zu einem KOL verläuft subtil und meist über Jahre. Hierbei haben die Pharmavertreter eine Schlüsselaufgabe, die darin besteht, einflussreiche Ärzte zu identifizieren und als Vortragsredner und Berater zu gewinnen. Danach gilt es, das Vertrauensverhältnis enger zu gestalten und die Verbindlichkeiten zwischen dem KOL und der Firma kontinuierlich zu steigern. Dieser Transformationsprozess beginnt mit kleinen Geschenken und endet bei manchem in einer engen, alles dominierenden Zusammenarbeit. So werden Karrieren mancher KOL von der Industrie geradezu gemacht. Sie sorgt dafür, dass ihr KOL in möglichst viele Multizenter-Studien und Expertengremien eingebunden wird. Sie organisiert für ihn auch gut dotierte Vorträge (500-1500 € Honorar). Oft muss der KOL dafür gar keinen eigenen inhaltlichen oder technischen Beitrag leisten, denn der Vortrag wird ihm von der Firma komplett zur Verfügung gestellt. In sog. „Communication Skills Programmes“ oder „Speakers Trainings“ wird am Charisma und der Glaubwürdigkeit des KOL gefeilt. Manche KOL halten über 100 Vorträge im Jahr und verdienen mit ihrer Vortragstätigkeit mehr als in ihrem eigentlichen Beruf. In ihren Vorträgen machen sie nur selten direkt Werbung für ein Arzneimittel. Für die Firma hat der KOL mehr die Funktion eines Anreißers. Er/Sie berichtet über vernachlässigte oder unterschätzte Krankheiten („Awareness“), über ihre zu späte Behandlung oder gar über ein generelles „Undertreatment“. „KOLs don’t sell drugs, KOLs sell diseases“. Wenn den zuhörenden Ärzt(inn) en nach dem Vortrag klar geworden ist, dass die Depression, die Osteoporose, die „Excessive Sleepiness“ oder was auch immer Thema war, sehr bedeutsame therapeutische Herausforderungen sind, dann kommen die Pharmavertreter und bieten ihnen eine Lösung ihrer Firma an.
Auf jedem Kongress stößt man auf KOL. Sie sind die Protagonisten jeder Konsensuskonferenz. Besonders in den sog. „Advisory Boards“ tummeln sie sich. Advisory Boards wurden praktisch von der Industrie für ihre KOL erschaffen und werden heute als das erste und einflussreichste Instrument zur sogenannten „Thought Leadership“ angesehen.
Wenn Sie sich nicht von der Industrie (ver)führen lassen und die Autonomie über Ihre Gedanken und Einschätzungen behalten wollen, dann sind Sie beim ARZNEIMITTELBRIEF richtig. Wir sind nämlich davon überzeugt, dass eine unabhängige Berichterstattung mit konsequenter kritischer Distanz zur Pharmaindustrie zur ärztlichen Gedankenfreiheit beträgt und auch im Interesse der Patienten ist.