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Perkutane koronare Intervention bei akutem Koronarsyndrom (NSTEMI): Vorbehandlung mit Prasugrel ja oder nein?

Die duale Hemmung der Thrombozytenaggregation ist ein fester Bestandteil der Behandlung des akuten Herzinfarkts mit und ohne Hebung der ST-Strecke im EKG (STEMI/NSTEMI). Als Kombinationspartner von ASS stehen Clopidogrel (CLO), Prasugrel (PRA) und Ticagrelor (TIC) zur Verfügung. In vielen Studien wurden Effektivität und Blutungshäufigkeit bei Therapie mit diesen Wirkstoffen untersucht (1-4). Daraus ergab sich – vorläufig – deren Stellenwert, der auch in die Leitlinien eingearbeitet wurde (z.B. 5). Es fehlen jedoch Bestätigungen, vor allem aber Untersuchungen von Untergruppen und Behandlungsabläufen. Zum Beispiel ist bisher nicht geklärt, ob Wirkung und Blutungshäufigkeit vom Intervall zwischen Therapiebeginn mit Thrombozytenaggregationshemmern (TAH) und perkutaner koronarer Intervention (PCI) abhängig sind. Jetzt gibt es die erste Untersuchung zu dieser Frage mit PRA (6, 7). Aber zunächst folgt eine kurze Übersicht über die wichtigsten von uns bisher besprochenen Vergleichsstudien. Sie zeigt, dass offenbar das Therapieintervall beim Vergleich der verschiedenen TAH nicht berücksichtigt worden ist.

Die Überlegenheit der Kombination von CLO plus ASS im Vergleich mit ASS allein wurde in der CURE-Studie überzeugend gezeigt (1). Zehn Tage vor der Intervention (!) wurde eine Loading dose CLO von 300 mg gegeben dann 75 mg/d als Dauertherapie. Der kombinierte Endpunkt (Infarkt, akute Revaskularisation, kardiovaskulärer Tod) wurde während der acht folgenden Monate signifikant seltener erreicht (CLO plus ASS: 6% vs. ASS: 8%). Blutungen waren nicht häufiger.

TIC wirkt rascher, kürzer und intensiver. In der großen (18.624 Patienten) randomisierten Vergleichsstudie mit CLO wurden, trotz unterschiedlicher Pharmakokinetik, beide TAH sowohl früh gegeben, d.h. sofort nach klinischer Diagnose als auch unmittelbar vor der Intervention (PLATO; 2). Das Intervall betrug im Mittel etwa vier Stunden. Der kombinierte Endpunkt (kardiovaskuläre Letalität, Schlaganfall, Herzinfarkt) war nach zwölf Monaten mit TIC seltener (TIC: 9,8% vs. CLO: 11,7%), Blutungen waren allerdings häufiger (TIC: 16,1% vs. CLO: 14,6%).

Auch PRA wurde in einer Megastudie mit CLO verglichen (13.608 Patienten; TRITON TIMI 38; 3). Beide TAH wurden ohne Vorbehandlung, d.h. nur unmittelbar vor der koronaren Intervention gegeben. Der kombinierte Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Myokardinfarkt und Schlaganfall) wurde während 14,5 Monaten Behandlung mit PRA signifikant seltener erreicht als mit CLO (PRA: 9,6% vs. CLO: 12,1%), aber schwere spontane Blutungen waren häufiger (PRA: 2,4% vs. CLO: 1,8%). Vielleicht wäre der Vorteil von PRA geringer ausgefallen, wenn die beiden Wirkstoffe nicht gleichzeitig gegeben worden wären, sondern CLO entsprechend seiner längeren Latenzzeit deutlich früher.

Insgesamt also ist der Stellenwert von PRA noch nicht klar (4). Soll PRA sofort nach der klinischen Diagnose NSTEMI gegeben werden oder, wie in der TIMI-38-Studie, erst unmittelbar vor der PCI? Eine entsprechende Untersuchung wurde jetzt im N. Engl. J. Med zusammen mit einem Editorial veröffentlicht (5, 6). Die Studie wurde von Daiichi Sankyo/Ely Lilly finanziell unterstützt. Vier der zwanzig Autoren waren Angestellte des pharmazeutischen Unternehmens und vierzehn hatten zum Teil erhebliche Interessenkonflikte.

Methodik: Nach der klinischen Diagnose und vor der diagnostischen Angiographie wurden 4033 Patienten in zwei Gruppen randomisiert. Die Gruppe der „Frühbehandelten“ erhielt 30 mg PRA nach der Diagnose, die andere (Kontrollen) zu diesem Zeitpunkt nur Plazebo. Die Frühbehandelten erhielten danach – im Mittel ca. vier Stunden später – unmittelbar vor einer dann gegebenenfalls geplanten PCI erneut 30 mg PRA, die Kontroll-Gruppe, die ohne Vorbehandlung geblieben war, 60 mg PRA. Der kombinierte Endpunkt war kardiovaskuläre Letalität, Herzinfarkt, Schlaganfall, akute ACVB-Operation oder notwendige Nachbehandlung mit einem Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-Antagonisten. Weitere Endpunkte waren die verschiedenen Blutungen.

Die Ergebnisse (s. Tab. 1) sind in beiden Gruppen deutlich unterschiedlich. Zwar wurde in beiden Gruppen der kombinierte Endpunkt gleich häufig erreicht, aber Blutungen sind bei Frühbehandlung mit PRA signifikant häufiger. Weit über 90% der Ereignisse treten in den ersten fünf Stunden ein. Nach 30 Tagen hatten sich die Zahlen nicht wesentlich verändert.

Diskussion: Die frühe Gabe von CLO (= Loading dose), d.h. lange vor einer Intervention, wurde in der CURE-Studie (1) mit der langen Latenzzeit des Wirkstoffs begründet. Dieser Gedanke wurde bei der Konzeption anderer Vergleichsstudien oft nicht berücksichtigt, ist aber in einigen kardiologischen Zentren ohne systematische Untersuchungen übertragen worden auf PRA und TIC. Durch die frühe Gabe der kurzwirksamen modernen TAH will man in der Wartezeit zwischen Diagnose und Intervention vor thromboembolischen Komplikationen schützen. Die Patienten ohne Frühbehandlung sind in dieser Studie immerhin etwa vier Stunden (!) ohne duale TAH geblieben. Trotzdem waren die kardiovaskulären Endpunkte nicht häufiger. Andererseits sind die Patienten, die früh PRA erhielten und bei denen sich während der Angiographie aus der Anatomie der Koronarien ergab, dass sie keine duale TAH brauchen, unnötig einem Blutungsrisiko ausgesetzt worden. Die Blutungskomplikationen sind ohne frühe Behandlung mit PRA statistisch signifikant seltener. Die absoluten Zahlen sind allerdings klein. Daher muss abgewartet werden, ob sich die Unterschiede auch in unabhängigen Studien bestätigen.

Fazit: In den Studien zum Vergleich der Thrombozytenaggregationshemmer beim akuten Koronarsyndrom wurden mögliche Auswirkungen der Latenzzeit zwischen Therapiebeginn und koronarer Intervention auf Effektivität und Blutungshäufigkeit zu wenig beachtet. Alle bisherigen Ergebnisse sind daher vorläufig. Für Prasugrel ist jetzt erstmals erwiesen, dass die Effektivität bei Einnahme unmittelbar vor der Intervention gleich gut ist wie bei früher Gabe, d.h. sofort nach der klinischen Diagnose. Die Blutungshäufigkeit ist vielleicht sogar geringer.

Literatur

  1. Mehta, S.R., et al. (PCI-CURE = PercutaneousCoronary Intervention – Clopidogrel in Unstableangina to prevent Recurrent Events): Lancet 2001, 358, 527. Link zur Quelle AMB 2001, 35,83. Link zur Quelle
  2. Wallentin,L., et al. (PLATO = PLATelet inhibition and patient Outcomes): N.Engl. J. Med. 2009, 361, 1045. Link zur Quelle AMB2010, 44, 19. Link zur Quelle
  3. Wiviott, S.D.,et al. (TRITON-TIMI 38 = TRial to assess Improvement in TherapeuticOutcomes by optimizing platelet InhibitioN with prasugrel-ThrombolysisIn Myocardial Infarction 38): N. Engl. J. Med. 2007, 357,2001. Link zur Quelle AMB 2008, 42, 05. Link zur Quelle AMB 2009, 43,73. Link zur Quelle
  4. Roe, M.T., etal. (TRILOGY ACS = TaRgeted platelet Inhibition to cLarifythe Optimal strateGy to medicallY manage Acute CoronarySyndromes): N. Engl. J. Med. 2012, 367, 1297. Link zur Quelle AMB2012, 46, 81. Link zur Quelle
  5. Hamm, C.W.,et al.: Eur. Heart J.2011, 32, 2999. Link zur Quelle
  6. Montalescot,G., et al. (ACCOAST = A Commparsionof prasugrel at the time of percutaneous COronary intervention or Aspretreatment at the time of diagnosis in patients with non ST Elevationmyocardial infarction): N. Engl. J. Med. 2013, 369, 999. Link zur Quelle
  7. Keaney, J.F.: N. Engl. J. Med. 2013, 369,1056. Link zur Quelle

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