Artikel herunterladen

Verordnung über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln – ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz bei klinischen Studien

Unter der Überschrift „Clinical trials: clearer rules, better protection for patients“ informierte am 2. April 2014 das Europäische Parlament (EP) in einer Pressemitteilung (1) über die Zustimmung zu der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Verordnung des EP und des Rates über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln. Wesentliche Ziele dieser Verordnung (2) sind:

  • eine größere Transparenz im Bereich klinischer Prüfungen,
  • die Einreichung des Antragsdossiers zur Genehmigung klinischer Prüfungen über ein zentrales EU-Portal,
  • Vereinfachungen bei der Durchführung internationaler klinischer Prüfungen, beispielsweise bei seltenen Erkrankungen,
  • die Beseitigung von Mängeln in der Richtlinie 2001/20/EG über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln.

Die Verordnung wurde am 2. April 2014 mit großer Mehrheit von den Mitgliedern des EP angenommen (1). Der Termin für die als sicher geltende Verabschiedung der Verordnung durch den Rat der Europäischen Union (EU) ist noch nicht bkannt.

Die Verordnung umfasst 67 Seiten mit insgesamt 85 Gründen für dieses Gesetzgebungsverfahren, 99 Artikeln sowie 7 Anhängen (2). Nach Annahme der Verordnung durch den Rat der EU wird die Richtlinie 2001/20/EG aufgehoben, so dass für die Durchführung klinischer Prüfungen in der EU nur ein einziges Regelwerk vorliegt. Da die Verordnung voraussichtlich jedoch erst ab 2016 gilt – vor allem wegen der im Rahmen dieser Verordnung erforderlichen Etablierung einer aufwendigen IT-Infrastruktur (z.B. für das EU-Portal und die EU-Datenbank) –, wird während einer Übergangsfrist Sponsoren gestattet, klinische Prüfungen gemäß der Richtlinie 2001/20/EG zu beginnen und durchzuführen.

Im Mittelpunkt der mehrjährigen Konsultationen und Diskussionen zu dieser Verordnung standen Fragen zur Rolle der Ethikkommissionen, zu den Fristen für die Bewertungsverfahren durch die betroffenen Mitgliedsstaaten, zu den Beteiligungsrechten der Mitgliedsstaaten im Rahmen des „Opt-Out“, zum Schutz der Prüfungsteilnehmer sowie zur Einwilligung nach Aufklärung, insbesondere von vulnerablen Gruppen (z.B. Minderjährige, Nichteinwilligungsfähige). Im Verlauf der Gesetzgebung wurde die Verordnung in verschiedenen Passagen verändert, konkretisiert und internationalen Standards (z.B. Fassung 2008 der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes) angepasst. In den letzten beiden Jahren haben dann erfreulicherweise auch andere wichtige Aspekte der Verordnung stärkere Aufmerksamkeit gefunden. Hierzu zählen vor allem die Berichterstattung und Auswertung mutmaßlicher unerwarteter schwerwiegender unerwünschter Ereignisse („Suspected Unexpected Serious Adverse Reaction“, SUSAR) und von Nebenwirkungen, die Registrierung klinischer Prüfungen in einem neu zu etablierenden Register der EU und eine größere Transparenz hinsichtlich der Ergebnisse klinischer Prüfungen – sowohl für Angehörige der Gesundheitsberufe als auch für Laien. Auf die große Bedeutung öffentlich zugänglicher Register in Europa für klinische Prüfungen zu Arzneimitteln und den öffentlichen Zugang zu allen Daten dieser Prüfungen, einschließlich der klinischen Studienberichte („Clinical Study Reports“, CSRs; vgl. 3) wurde von uns wiederholt hingewiesen. Wir möchten deshalb im Folgenden anhand einiger Zitate aus den Gründen für die Verordnung kurz auf wesentliche Punkte in der Verordnung hinweisen, die sich mit der Verbesserung der Transparenz im Bereich klinischer Prüfungen beschäftigen (2).

In Grund 1 dieser Verordnung wird ausdrücklich betont, dass „in einer klinischen Prüfung die Rechte, die Sicherheit, die Würde und das Wohl der Prüfungsteilnehmer geschützt werden sollen, und die in ihrem Rahmen gewonnenen Daten zuverlässig und belastbar sein sollten. Dabei sollten Interessen der Prüfungsteilnehmer stets Vorrang vor sonstigen Interessen haben“. In den Gründen 13 und 14 wird gefordert, dass „die an einer klinischen Prüfung teilnehmenden Prüfungsteilnehmer repräsentativ sein sollten für die Bevölkerungsgruppen, z.B. die Geschlechter- und Altersgruppen, die voraussichtlich das in der klinischen Prüfung untersuchte Arzneimittel anwenden werden, sofern nicht der Prüfplan eine begründete andere Regelung enthält“. „Bei der Bewertung der Relevanz sollten verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, z.B. ob die klinische Prüfung von den für die Bewertung von Arzneimitteln und die Zulassung ihres Inverkehrbringens zuständigen Regulierungsbehörden empfohlen oder angeordnet wurde und ob die Surrogat-Endpunkte – sofern sie verwendet werden – gerechtfertigt sind“. Eine konsequente Beachtung und Umsetzung dieser Vorgaben, vor allem durch pharmazeutische Unternehmer (pU), würde eine wesentliche Qualitätssteigerung bei klinischen Prüfungen vor und nach der Zulassung von Arzneimitteln bewirken. Dies belegt auch die kürzlich publizierte Auswertung nordamerikanischer Experten zur häufig unzureichenden Evidenz zu Wirksamkeit und Sicherheit neuer Arzneimittel, die von der Food and Drug Administration in den letzten Jahren zugelassen wurden (4).

In den Empfehlungen zur größeren Transparenz bei klinischen Prüfungen heißt es in Grund 39: „Der Sponsor sollte eine Zusammenfassung der Ergebnisse der klinischen Prüfung zusammen mit einer für einen Laien verständlichen Zusammenfassung sowie gegebenenfalls den Bericht über die klinische Prüfung innerhalb der festgesetzten Fristen übermitteln“. Diese Empfehlung wird konkretisiert in Grund 67: „Damit bei den klinischen Prüfungen ein ausreichendes Maß an Transparenz besteht, sollten in der EU-Datenbank alle über das EU-Portal übermittelten relevanten Informationen zu klinischen Prüfungen erfasst werden. Die EU-Datenbank sollte öffentlich zugänglich sein und die Daten sollten in einem Format präsentiert werden, dass die Suche erleichtert. Verknüpft werden sollten beispielsweise die Zusammenfassung, die Zusammenfassung für die Laien, der Prüfplan und der Studienabschlussbericht (Anmerkung AMB: gemeint ist der CSR) einer klinischen Prüfung. Bevor eine klinische Prüfung begonnen wird, sollte sie in der EU-Datenbank erfasst werden“. In Anhang IV und V der Verordnung finden sich detaillierte Angaben zum Inhalt der Zusammenfassung der Ergebnisse der klinischen Prüfung für Gesundheitsberufe und für Laien. In diesem Zusammenhang von Bedeutung ist sicherlich, dass zukünftig medizinische Fachzeitschriften die Registrierung in der EU-Datenbank als Voraussetzung für die Publikation der Ergebnisse klinischer Prüfungen fordern (5) und hinsichtlich der nicht seltenen Diskrepanzen zwischen Einträgen in der Datenbank und Ergebnissen in der Publikation überprüfen (6). Wichtig ist auch der Hinweis in Grund 68, dass „für die Zwecke dieser Verordnung die in einem Studienabschlussbericht enthaltenen Daten grundsätzlich nicht mehr als vertrauliche geschäftliche Informationen gelten sollten, sobald eine Zulassung erteilt wurde, das Verfahren zur Erteilung einer Zulassung abgeschlossen ist oder der Antrag auf Zulassung zurückgezogen wurde“. Schließlich wird in Grund 81 darauf hingewiesen, dass „die Erfahrungen mit der Richtlinie 2001/20/EG gezeigt haben, dass ein großer Anteil der klinischen Prüfungen von nichtkommerziellen Sponsoren durchgeführt wird. Um den wertvollen Beitrag dieser nichtkommerziellen Sponsoren optimal zu nutzen und sie zu weiterer Forschung zu animieren, sollten die Mitgliedsstaaten Maßnahmen zur Förderung von klinischen Studien ergreifen, die von solchen Sponsoren durchgeführt werden; Zugeständnisse bei der Qualität der klinischen Prüfungen sollte es aber nicht geben“.

Die in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen zur Registrierung und Veröffentlichung von Ergebnissen klinischer Prüfungen in einer EU-Datenbank sind ein wichtiger, von vielen Institutionen im Gesundheitswesen seit langem geforderter Schritt auf dem Weg zu mehr Transparenz. Diese Vorgaben – vorausgesetzt sie werden ab 2016 konsequent umgesetzt – werden hoffentlich eine neue Epoche klinischer Forschung zu Arzneimitteln einleiten, in der eine nicht erfolgte Veröffentlichung – derzeit noch bei etwa 50% der klinischen Prüfungen –, oder selektive Veröffentlichung („Publication Bias“) von Studienergebnissen der Vergangenheit angehören (7). Widerstand von Seiten der pU, häufig mit fadenscheinigen Begründungen wie Problem des Datenschutzes, Integrität der regulatorischen Systeme und Schutz „vertraulicher kommerzieller Daten“, wird diese Entwicklung jetzt nicht mehr aufhalten können (8). Auf die eindeutige Positionierung der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) haben wir bereits hingewiesen (9): (kommerzielle oder akademische) Sponsoren klinischer Studien bzw. regulatorische Behörden sollten kein Monopol auf Analyse und Bewertung klinischer Prüfungen besitzen. Die Publikation und der Zugang zu Daten klinischer Prüfungen wurden zuletzt intensiv diskutiert in fünf von der EMA initiierten Beratungsausschüssen und einer öffentlichen Konsultation im Sommer 2013, auf die mehr als 1000 Kommentare eingingen, unter Anderem von Gesundheitsberufen, Patientenorganisationen und pU (10). Eine Festlegung der endgültigen Verfahrensweise und deren Implementierung durch die EMA erfolgt im Juni 2014. Als erster Schritt sind geplant die Publikation der CSRs, Anonymisierung der Patientendaten und die Etablierung eines standardisierten Formats für die Vorlage der Studienergebnisse.

DER ARZNEIMITTELBRIEF begrüßt ausdrücklich diese neue Transparenz bei klinischen Prüfungen. Sie ist unverzichtbar für alle, die an der Entwicklung, Zulassung, Verordnung und Nutzenbewertung von Arzneimitteln beteiligt sind. Die Probleme, die aus fehlenden oder falschen Informationen zum Nutzen-Risiko-Profil neuer, aber auch älterer Arzneimittel resultieren, sind bekannt (vgl. 11). Eine informierte Entscheidung von Patienten anhand dieser lückenhaften Erkenntnisse ist häufig nicht möglich. Die Vorgänge um Oseltamivir (Tamiflu®) gelten heute als Paradigma für die Bedeutung absoluter Transparenz klinischer Daten, auch bei Arzneimitteln, die bereits vor einigen Jahren zugelassen wurden. Die Konsequenzen unzureichender Transparenz wurden kürzlich ausführlich kommentiert in mehreren Editorials im BMJ (z.B. 12), die erschienen sind anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen Cochrane Review zum therapeutischen Stellenwert von Oseltamivir und Zanamivir (Relenza®) in der Prävention und Behandlung der Influenza bei gesunden Erwachsenen und Kindern (13, 14).

Literatur

  1. http://www.europarl.europa.eu/… Link zur Quelle
  2. http://www.europarl.europa.eu/… Link zur Quelle
  3. AMB 2011, 45, 54 Link zur Quelle. AMB 2012, 46, 49. Link zur Quelle
  4. AMB 2014, 48,16DB01. Link zur Quelle
  5. Wagner, E., und Williams, P.: BMJ2013, 347, f5248.
  6. Hartung, D.M., et al.: Ann. Intern. Med. 2014, 160,477.
  7. Ross, J.S., und Krumholz, H.M.: JAMA2013, 309, 1355.
  8. http://www.nzz.ch/meinung/debatte/der-trend-zur-oeffnung-ist-unbestritten-1.18154841Link zur Quelle
  9. AMB2012, 46, 49. Link zur Quelle
  10. http://www.ema.europa.eu/… Link zur Quelle
  11. AMB 2008, 42, 79 Link zur Quelle. AMB 2010, 44, 39. Link zur Quelle
  12. Krumholz, H.M., und Hines, H.H.: BMJ 2014, 348,g2548.
  13. Jefferson, T., et al.: BMJ2014, 348, g2545.
  14. Jefferson, T., et al.:Cochrane Database of Systematic Reviews, Issue 4. Art. No.: CD008965. DOI:10.1002/14651858.CD008965.pub4