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Botox nun auch gegen Vorhofflimmern?

Kürzlich haben wir über die zweifelhafte Risiko-Nutzen-Relation der Radiofrequenzablation bei Vorhofflimmern (VHF) berichtet (1). Eine auf den ersten Blick skurrile Methode sorgt derzeit in der kardiologischen Fachwelt für Erstaunen: Die Injektion von Botulinumtoxin (BT) in epikardiales Fettgewebe soll VHF supprimieren. Der Effekt ist aus Tierversuchen bekannt und soll auf einer temporären Blockade vegetativer Nerven im Plexus cardiacus beruhen (2). Außerdem ist bekannt, dass das epikardiale Fett über die parakrine Sekretion inflammatorischer Mediatoren und Zytokine in Wechselwirkung mit dem (atrialen) Myokard steht (3).

In einer kleinen, prospektiven Pilotstudie aus zwei Zentren (USA und Russland) wurde erstmals bei Patienten die Effektivität und Sicherheit intraepikardialer Injektionen untersucht (4): Bei 60 Patienten mit zuvor bekanntem paroxysmalem VHF (pVHF), die wegen Koronarer Herzkrankheit (KHK) einen aortokoronaren Bypass (ACBP) erhielten, wurde randomisiert und doppelt verblindet während der Bypass-Operation entweder BT (n = 30) oder Plazebo (n = 30) in das epikardiale Fettgewebe injiziert. Dabei wurde jedes der vier größeren epikardialen „Fettkissen“ mit 3-5 Einzelinjektionen à 0,2-0,3 ml mittels einer konventionellen 1-ml-Spritze über die gesamte sichtbare Oberfläche infiltriert (insgesamt also viermal 1 ml BT 50 U/ml oder viermal 1 ml 0,9%ige Kochsalzlösung). Primärer Endpunkt war das Auftreten atrialer Tachyarrhythmien von > 30 Sekunden Dauer innerhalb von 30 Tagen postoperativ (ohne antiarrhythmische Begleitmedikation). Bei allen Patienten wurde standardmäßig einmal wöchentlich ein 12-Kanal-Ruhe-EKG und 24-Stunden-EKG aufgezeichnet – bei subjektiv wahrgenommenen Arrhythmien jederzeit. Postoperatives pVHF wurde so in der Verum-Gruppe bei zwei Patienten (7%) entdeckt, in der Plazebo-Gruppe bei neun Patienten (30%; p = 0,024). Die „VHF-Last“ im 24-Stunden-EKG lag bei 0,3% vs. 2,5% (p = 0,08). Die pVHF-Episoden unterschieden sich hinsichtlich ihrer mittleren Dauer nicht signifikant (0,94 ± 1,1 vs. 2,83 ± 6,6 Stunden; p = 0,17), auch nicht die sekundären Endpunkte: Zeit bis zur Extubation, postoperative Dauer auf der Intensivstation und Dauer des Krankenhausaufenthalts sowie Veränderungen der Kreatinkinase-MB-Konzentration.

Eine noch größere Überraschung ergab die Nachbeobachtung zwischen 30 Tagen und 12 Monaten mittels eines implantierbaren EKG-Recorders („Loop Recorder“), deren Ergebnisse auf dem Jahreskongress der US-Amerikanischen Heart Rhythm Society (HRS) im Mai 2015 präsentiert wurden (5): Während dieser Zeit trat in der Verum-Gruppe bei keinem der Patienten pVHF > 30 Sekunden auf, in der Plazebo-Gruppe hingegen bei sieben (27%; p = 0,002). Die pVHF-Last im 24-Stunden-EKG lag bei 0,07% vs. 1,5% (p < 0,001). Dies verwundert, denn die Wirkung einer Blockade durch BT nach diesem Zeitraum sollte nach bisherigem Wissen nicht mehr vorhanden sein. Die Erklärung für dieses Ergebnis fehlt. Auf dem HRS-Kongress nannte ein Autor der Studie in der Diskussion die Hypothesen, dass mit der BT-Injektion möglicherweise ein autonom ablaufender atrialer Remodellingprozess unterbrochen wird oder dass der BT-Effekt im vegetativen Plexus doch länger anhält als in anderen Nerven (6).

Ob diese Methode Zukunft hat, müssen weitere experimentelle und klinische Studien mit größeren Patientenzahlen erst zeigen. Allerdings ist dieses Vorgehen wohl nur im Rahmen kardiochirurgischer Eingriffe möglich – die sich dadurch übrigens im Mittel um elf Minuten verlängern. Bei pVHF wurde jedenfalls bisher weder durch Arzneimittel noch durch Ablationstechniken auch nur annähernd eine 100%ige Rezidivfreiheit über einen so langen Zeitraum erreicht.

Fazit: Einer kleinen randomisierten kontrollierten Pilotstudie zufolge lässt sich durch intraoperative Infiltration des epikardialen Fettgewebes mit Botulinumtoxin paroxysmales Vorhofflimmern nach aortokoronarer Bypass-Operation bis zwölf Monate postoperativ sehr wirksam unterdrücken. Sollte sich der Effekt in weiteren Studien bestätigen, wäre diese verblüffende, aber derzeit als experimentell anzusehende Methode allen Arzneimitteln und Ablationsverfahren deutlich überlegen.

Literatur

  1. AMB 2014, 48, 81. Link zur Quelle
  2. Oh, S., et al.: Circ.Arrhythm. Electrophysiology 2011, 4, 560. Link zur Quelle
  3. Hatem,S.M.: Arch. Cardiovasc. Dis. 2014, 107, 349. Link zur Quelle
  4. Pokushalov,E., et al. J.Am. Coll. Cadiol. 2014, 64, 628. Link zur Quelle
  5. Steinberg, J.S., et al.:Heart Rhythm Society 2015 Scientific Sessions; 14. Mai 2015; Boston, MA, USA. Link zur Quelle