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Therapie der Hypertonie: Betablocker erhöhen bei älteren Patienten das Risiko für orthostatische Hypotension

Als orthostatische Hypotension (OH) wird ein signifikanter Blutdruckabfall nach dem Aufstehen bezeichnet. Die Betroffenen verspüren ein Schwarzwerden vor den Augen oder Schwindel und können stürzen bzw. eine Synkope erleiden. Die OH ist mit erhöhter Morbidität und Letalität verbunden (1, 2). Eine OH ist charakterisiert durch eine anhaltende Senkung des systolischen Blutdrucks (SBP) von ≥ 20 mm Hg oder des diastolischen Drucks (DBP) von ≥ 10 mm Hg. Dabei muss der Druckabfall innerhalb von 3 Min. nach dem Aufstehen auftreten (3). Die Diagnose wird mittels eines Stehtests gestellt (z.B. Schellong-Test). Nach 10 Min. Liegen in ruhiger Atmosphäre stehen die Probanden auf, und es wird das Blutdruckverhalten registriert. Neuere Messgeräte erlauben eine nicht-invasive kontinuierliche „beat-to-beat”-Blutdruckmessung.

Neben einem Volumenmangel können bestimmte Erkrankungen, üppige Mahlzeiten, Alkohol und viele Arzneimittel eine OH auslösen bzw. begünstigen (s. Tab. 1). Ältere Menschen sind besonders anfällig, wahrscheinlich in Folge einer neurodegenerativen Abschwächung des Baroreflexes. Ein therapeutisches Dilemma besteht bei älteren Hypertonie-Patienten. Sie müssen mit Antihypertensiva behandelt werden und leiden zugleich häufig unter OH. Dieses Phänomen wird auch als „supine hypertension – orthostatic hypotension” bezeichnet. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob bestimmte Antihypertensiva hinsichtlich einer OH gefährlicher sind als andere.

Eine irische Untersuchung ging dieser Frage nach (4). Grundlage waren Daten aus „The Irish Longitudinal Study on Ageing” (5). In dieser Altersstudie wird der Gesundheitszustand von über 8.000 Freiwilligen > 50 Jahren über viele Jahre verfolgt. Zur Basis-Evaluation der Kohorte gehört auch ein Stehtest, den 4.462 Teilnehmer absolviert hatten. Davon hatten 1.967 nach eigenen Angaben eine Hypertonie. 39,8% dieser Hypertoniker waren medikamentös unbehandelt, 27,2% nahmen ein Antihypertensivum und 32,9% mehrere Antihypertensiva ein.

Um den Einfluss einzelner Antihypertensiva auf die Prävalenz einer OH zu bestimmen, wurden die Ergebnisse des Stehtests bei Teilnehmern unter Monotherapie mit denen der unbehandelten Hypertoniker verglichen. Die mehrfach Behandelten wurden von der Analyse ausgeschlossen. So kamen 5 Gruppen zusammen: 783 unbehandelte Hypertoniker (Kontroll-Gruppe), 317 Hypertoniker mit einem Hemmstoff des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS-H), 89 mit einem Betablocker (BB), 89 mit einem Kalziumantagonisten (KA) und 41 mit einem Diuretikum. Die 5 Gruppen unterschieden sich in einigen klinischen Variablen. So waren die behandelten Hochdruck-Patienten älter als die unbehandelten Kontrollen (62,5-64,6 vs. 60,8 Jahre), der Frauenanteil schwankte zwischen 46 und 75%, der Anteil an Diabetikern zwischen 2,3-13,3% und die Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen lag zwischen 6-39,3%. Es gab auch bedeutsame Unterschiede in den Gruppen hinsichtlich der psychiatrischen Komedikation: die Einnahme von Antidepressiva lag zwischen 5-14,6% und der Benzodiazepingebrauch zwischen 3,3-10,1%.

Ergebnisse: Es gab drei Studienendpunkte: 1. Häufigkeit einer starken initialen OH (symptomatischer Abfall des SBP von ≥ 40 mm Hg oder des DBP von ≥ 20 mm Hg innerhalb von 15 Sek. nach dem Aufstehen); 2. Häufigkeit einer anhaltenden OH (Abfall des SBP von ≥ 20 mm Hg und/oder des DBP von ≥ 10 mm Hg zum Zeitpunkt 60, 70, 80, 90, 100 und 110 Sek. nach dem Aufstehen); 3. Häufigkeit einer eingeschränkten Blutdruckstabilisierung (Abfall des SBP von ≥ 20 mm Hg und/oder des DBP von ≥ 10 mm Hg zu irgendeinem der genannten Zeitpunkte). Bei allen drei Endpunkten schnitten BB mit Abstand am schlechtesten ab. So wurde eine starke initiale OH bei 26,7% der Patienten in der Kontroll-Gruppe und bei 42,7% mit BB gemessen (Odds ratio = OR: 2,05; 95%-Konfidenzintervall: 1,31-3,21). Die OH-Prävalenz in den anderen drei Kohorten lag jeweils im Bereich der Kontroll-Gruppe oder sogar niedriger (RAAS-H: OR: 1,06; KA: OR: 0,9; Diuretika: OR: 0,67).

Da sich der ungünstige Effekt der BB auf die OH-Prävalenz auch nach Adjustierung für die Einflussgrößen Ausgangs-Blutdruck und Vorliegen einer kardiovaskulären Grunderkrankung fand, sind die Autoren von einem spezifischen BB-Effekt überzeugt. Die Aussagekraft der Studie wird jedoch durch verschiedene Faktoren wesentlich eingeschränkt. Der wichtigste: es handelt sich um reine Studien-Messdaten. Klinische Informationen, etwa zum tatsächlichen Auftreten von OH-Symptomen im Alltag fehlen. Außerdem unterscheiden sich die Kohorten-Gruppen erheblich in ihrer Größe (n = 41-783) und ihren Grundrisiken (s.o.). Dies begünstigt Zufallsbefunde. Es hat zwar eine mathematische Risikoadjustierung stattgefunden, nicht aber für die wichtige Komedikation. Es fehlt auch eine Analyse der Art (selektiv vs. non-selektiv) und der Dosis der BB; auch die häufig übliche antihypertensive Mehrfachbehandlung ist unberücksichtigt.

Trotzdem erscheint diese Beobachtung plausibel und wird auch durch epidemiologische Daten gestützt. So zeigte eine Beobachtungsstudie aus den Niederlanden (B-PROOF; 2.400 Teilnehmer > 65 Jahre, 1.147 Stürze in 2 Jahren Nachbeobachtung), dass die Einnahme nicht-selektiver BB mit einem Sturzrisiko (HR: 1,41) assoziiert ist, das im Bereich von Antidepressiva (HR: 1,40) und Benzodiazepinen (HR: 1,32) liegt (6). Da BB im Vergleich zu anderen Antihypertensiva auch weniger vor Schlaganfällen schützen und die Manifestation eines Diabetes begünstigen (7), sollten sie bei alten Hypertonie-Patienten nicht erste Wahl sein und bei Orthostaseproblemen möglichst abgesetzt werden.

Fazit: Es gibt überzeugende Hinweise darauf, dass Betablocker bei älteren Patienten mit arterieller Hypertonie vermehrt zu orthostatischer Hypotonie und Stürzen führen. RAAS-Hemmer, Kalziumantagonisten und Diuretika scheinen diesbezüglich weniger problematisch zu sein. Betablocker sollten bei älteren Menschen als Antihypertensivum nicht erste Wahl sein.

Literatur

  1. Kaufmann, H., et al.:Mechanisms, causes, and evaluation of orthostatic hypotension. UpTo date (Topic5103 Version17.0).Zugriff am 27.2.2016.
  2. Ricci, F., et al.: Eur. Heart J. 2015, 36,1609. Link zur Quelle
  3. Freeman, R., et al.:Clin. Auton. Res. 2011, 21, 69. Link zur Quelle
  4. Canney, M., et al. (TILDA= The Irish LongituDinal study on Ageing): PLoS One 2016, 11, e0146156. Link zur Quelle
  5. Whelan, B.J., und Savva,G.M. (TILDA = The Irish LongituDinal study on Ageing):J. Am. Geriatr. Soc. 2013, 61 Suppl. 2, S265. Link zur Quelle
  6. Ham, A.C., et al.(B-PROOF = B-vitamins for the PReventionof OsteOporotic Fractures): Drugs Aging 2014, 31, 917. Link zur Quelle
  7. Wiysonge, C.S., et al.:Cochrane Database Syst. Rev. 2012, 11, CD002003. Link zur Quelle

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