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Obduktionsbefunde bei COVID-19-Patienten mit therapeutischen Konsequenzen

In den letzten Monaten ist sehr viel über Letalität und therapeutische Optionen bei COVID-19 spekuliert worden. Die Informationen zu dieser neuen Erkrankung waren verständlicherweise bisher unzureichend, und viele der publizierten Studien entsprachen nicht den üblichen wissenschaftlichen Standards (1). Mehr und mehr wird klar, dass sich die Letalität bei SARS-CoV-2-Infektion in Deutschland bisher nicht wesentlich von der einer schweren saisonalen Grippe unterscheidet, auch wenn viele der präventiv sinnvollen Maßnahmen spät kamen. Ob sie sogar überzogen waren oder noch sind, werden Analysen zu einem späteren Zeitpunkt verdeutlichen (2). Es ist derzeit auch nicht vorherzusagen, ob diese Infektion wieder ganz verschwinden wird, beispielsweise dadurch, dass SARS-CoV-2 sich an seinen neuen Wirt adaptiert und sich dadurch die Pathogenität abschwächt, oder ob eine zweite Infektionswelle kommen wird. Wichtig ist daher, sich an verlässliche wissenschaftliche Erkenntnisse zu halten, um daraus möglicherweise Konsequenzen für die künftige Behandlung bei schweren Verläufen von COVID-19 abzuleiten.

Die genauen Zahlen zur Häufigkeit asymptomatischer SARS-CoV-2-Infektionen müssen abgewartet werden. Klar ist, COVID-19 kann klinisch sehr unterschiedlich verlaufen. Die Analysen der Variabilität des ACE-2-Rezeptors in bestimmten Bevölkerungsgruppen werden möglicherweise auch Aufschluss darüber gegeben, warum bestimmte Menschen gar nicht erkranken. Bei symptomatischen Infektionen ist in der Regel die Lunge betroffen, aber auch dann sind die meisten Verläufe milde. Nur wenige Patienten entwickeln so schwere Pneumonien, dass sie mechanisch beatmet werden müssen, und von diesen Patienten stirbt etwa die Hälfte. Ursachen für fatale Verläufe sieht man neben dem Virus selbst, das fast alle anderen Organsysteme schädigen kann („Multiorganvirus“; 3, 4), auch in den üblichen Risiken der Intensivmedizin, wie beispielsweise nosokomiale Infektionen und Schädigungen der Lunge durch die mechanische Beatmung. Bei manchen Patienten kommt es zu massiven Entzündungsreaktionen mit Zytokinsturm und klinischen Zeichen einer Vaskulitis oder es entstehen venöse Thrombosen mit Lungenembolien und dadurch Rechtsherzbelastung bis hin zum Rechtsherzversagen. Die verschiedenen Manifestationen können sich auch vielfach überlagern. Im CT finden sich zu Beginn der Pneumonie meist in den Unterlappen ausgeprägte periphere milchglasartige Trübungen, die bei schwerem Verlauf konfluieren, sich dann verdichten und die gesamte Lunge betreffen können.

Kürzlich sind Obduktionsbefunde publiziert worden, die diese klinischen Beobachtungen bestätigen, aber auch neue Erkenntnisse liefern, von denen klinisch tätige Ärzte und Ärztinnen und somit auch die Patienten profitieren können. Wir konzentrieren uns auf wichtige Befunde von zwei Arbeitsgruppen aus Hamburg und Wuppertal, die hochrangig publiziert sind (5, 6).

Methodik: In der Hamburger Studie wurden 12 Patienten beschrieben, von denen 10 im Krankenhaus und 2 außerhalb des Krankenhauses gestorben waren. Bei allen wurde eine komplette Autopsie und eine CT-Untersuchung post mortem durchgeführt. Darüber hinaus wurden histopathologische und virologische Tests durchgeführt und mit den klinischen Verläufen korreliert. In der Wuppertaler Studie konzentrierte man sich auf die Lunge und verglich 7 Patienten mit fatalen COVID-19- mit 7 fatalen Influenza-Pneumonien; außerdem untersuchte man 10 altersgleiche Lungen ohne Pneumonie als Kontrolle. In dieser Studie wurden zusätzlich molekulare Methoden und elektronenmikroskopische Untersuchungen angewendet.

Ergebnisse: Die Patienten in der Hamburger Studie waren im Median 73 Jahre alt (52-87 Jahre). Die meisten hatten schwere Grunderkrankungen, wie Koronare Herzkrankheit, Asthma bronchiale oder COPD. Bei der Autopsie fanden sich bei 7 von 12 Patienten (58%) tiefe venöse Thrombosen mit Thromboembolien, die vor dem Tod klinisch nicht erkannt worden waren. Lungenembolien waren bei 4 dieser 12 Patienten sogar die direkte Todesursache (30%). Schwere alveoläre Schäden wurden bei 8 der 12 Patienten gefunden (60%). Bei allen Patienten wurden hohe Konzentrationen des Virus im Lungengewebe gefunden.

In der Wuppertaler Studie wurden fatale COVID-19-Pneumonien mit fatalen Influenza-Pneumonien verglichen. Bei beiden Formen kommt es durch die Infiltration von T-Lymphozyten zu alveolären Schäden, die am Ende zum respiratorischen Versagen führen können. Die durch Lymphozyten ausgelöste Entzündung steigert die Durchlässigkeit der alveolären Kapillaren („capillary leak“), wodurch Flüssigkeit in die Alveolen übertritt und den Gasaustausch behindert.

Die Lungen der COVID-19-Patienten zeigten aber zusätzliche Besonderheiten, die die Blutgefäße betrafen. Es fand sich eine schwere endotheliale Schädigung mit Nachweis von SARS-CoV-2 in den Endothelzellen sowie in den pulmonalen Gefäßen eine Mikroangiopathie mit Thrombosen. Mikrothrombi in den alveolären Kapillaren waren bei Patienten mit COVID-19 neunmal häufiger als bei Patienten mit Influenza (p < 0,001). Bei Patienten mit COVID-19 war auch die Zahl von Gefäßneubildungen um das ca. 3-fache höher als bei Patienten mit Influenza (p < 0,001).

ACE-2 ist das Membranantigen, welches zurzeit als Rezeptor für SARS-CoV-2 angesehen wird (7, 8). Die Daten der Wuppertaler Studie zeigten eine höhere Expression von ACE-2 in der Lunge von Patienten mit COVID-19 als in den Lungen von Influenza-Patienten oder Kontrollen. Der direkte Befall der Gefäßendothelzellen durch das SARS-CoV-2 könnte die starke Gefäßentzündung (Vaskulitis) erklären und auch den Zytokinsturm bei manchen Patienten mit sehr hohen Interleukin-6-Werten, ähnlich wie man sie von Vaskulitiden bei rheumatoider Arthritis kennt.

Fazit: Obduktionsbefunde zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der Patienten mit COVID-19-Pneumonie (unerkannte) venöse Thrombosen hatte und an Lungenembolien gestorben ist. Diese Befunde stützen die Möglichkeit, dass durch rechtzeitige adäquate Hemmung der Blutgerinnung (z.B. mittels Voll-Heparinisierung) tödliche embolische Ereignisse verringert werden könnten. Außerdem könnte eine frühzeitige entzündungshemmende Therapie mit Antagonisten gegen Interleukin-6 (z.B. Tocilizumab) oder Interleukin-1 (z.B. Anakinra) bei Patienten mit Zeichen einer schweren Gefäßentzündung bei COVID-19 die Letalität bei schweren Verläufen vermindern. Beide Ansätze müssen durch entsprechende klinische Studien validiert werden.

Literatur

  1. AMB 2020, 54, 37. Link zur Quelle
  2. Ioannidis, J.P.A., et al. 2020: Link zur Quelle
  3. Puelles, V.G., et al.: N. Engl. J. Med. 2020, May 13. Link zur Quelle
  4. Pei, G., et al.: J. Am. Soc. Nephrol. 2020, 31, 1157. Link zur Quelle
  5. Wichmann, D., et al.: Ann. Intern. Med. 2020. Link zur Quelle
  6. Ackermann, M., et al.: N. Engl. J. Med. 2020, May 21. Link zur Quelle
  7. Hoffmann, M., et al.: Link zur Quelle
  8. Yan, R., et al.: Science 2020, 367, 1444. Link zur Quelle