Die aktuell publizierte plazebokontrollierte, randomisierte IAMI-Studie (1) untersuchte auf Initiative einer schwedischen Forschergruppe prognostische Effekte einer Influenzaimpfung nach Myokardinfarkt. Schon seit längerem gibt es Hinweise aus Registern, Fall-Kontroll-Studien und kleinen randomisierten kontrollierten Studien, dass sich eine Influenzaimpfung positiv auf künftige Ereignisse kardiovaskulärer Erkrankungen auswirkt (vgl. 2). Ein Cochrane-Review kam 2015 zu dem Schluss, dass eine Influenzaimpfung möglicherweise kardiovaskuläre Mortalität und Morbidität senkt, aber Verzerrungen und inkonsistente Ergebnisse dieser Studien eine Bestätigung durch weitere Studien erforderlich machen (3). Auch nach den Ergebnissen einer kürzlich publizierten Metaanalyse von randomisierten Studien und Beobachtungsstudien mit fast 240.000 Patienten geht die Influenzaimpfung mit einer signifikanten Reduktion von Gesamt- und kardiovaskulärer Mortalität einher, nicht jedoch von Myokardinfarkten innerhalb einer Nachbeobachtungszeit von 19,5 Monaten (4).
Methodik: In die IAMI-Studie (1) wurden überwiegend Patienten mit akutem Koronarsyndrom innerhalb von 72 Stunden nach einer Herzkatheteruntersuchung eingeschlossen. Die Randomisierung erfolgte 1:1 für eine Impfung mit einer jeweils empfohlenen Influenza-Vakzine vs. Plazebo (physiologische Kochsalzlösung). Primärer Endpunkt war eine Kombination aus Gesamtmortalität, Myokardinfarkt oder Stent-Thrombose nach 12 Monaten. Die Nachkontrollen erfolgten mittels Telefoninterviews.
Ergebnisse: Der Einschluss von Patienten wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie frühzeitig abgebrochen, so dass die als statistisch aussagekräftig vorausberechnete Zahl von ca. 4.400 Patienten nicht erreicht wurde. Von Oktober 2016 bis März 2020 wurden während der jeweiligen Grippesaison von 30 Zentren in 8 Ländern (Schweden, Dänemark, Norwegen, Lettland, Vereinigtes Königreich, Tschechische Republik, Bangladesch, Australien) 2.571 Patienten eingeschlossen (54,5% ST-Hebungsinfarkt; 45,2% Nicht-Hebungsinfarkt; 0,3% stabile Koronare Herzkrankheit (KHK) mit hohem Risiko für kardiale Ereignisse). Nach Randomisierung erhielten 1.290 Patienten die Influenzaimpfung und 1.281 Plazebo. Während der Nachbeobachtungszeit von 12 Monaten trat der primäre Endpunkt in der Verumgruppe signifikant seltener ein als in der Kontrollgruppe (5,3% vs. 7,2%; Hazard Ratio = HR: 0,72; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,52-0,99; p = 0,04); auch Gesamtmortalität (2,9% vs. 4,9%; HR: 0,59; CI: 0,39-0,89; p = 0,01) und kardiovaskuläre Mortalität (2,7% vs. 4,5%; HR: 0,59; CI: 0,39-0,90; p = 0,014) waren in der Gruppe, die die Influenzavakzine erhalten hatte, signifikant niedriger, nicht jedoch die Myokardinfarktrate (2,0% vs. 2,4%; HR: 0,86; CI: 0,50-1,46; p = 0,57). Nebenwirkungen traten lediglich in Form lokaler Reaktionen in der Verum-Gruppe signifikant häufiger auf.
Die Autoren ergänzten ihre Studienergebnisse mit Daten aus 3 ähnlichen, jedoch deutlich kleineren, randomisierten, kontrollierten Studien (Patientenzahlen: 301, 439 bzw. 658) und führten eine „explorative“ Metaanalyse durch. Aus diesen gepoolten Daten ergab sich eine hochsignifikante Reduktion der kardiovaskulären Mortalität durch die Influenzaimpfung (HR: 0,51; CI: 0,36-0,71; p = 0,0001).
Interessanterweise war der positive Effekt der Influenzaimpfung auf kardiovaskuläre Ereignisse in der IAMI-Studie besonders ausgeprägt in Saison 2017/2018 und 2019/2020, in denen auch die Effektivität der verfügbaren Vakzine gegen die jeweiligen Virenstämme besonders hoch war, während er der Saison 2016/2017 und 2018/2019 weniger deutlich war.
Diskussion: Die Ergebnisse der IAMI-Studie als bisher größte randomisierte kontrollierte Studie zu dieser Fragestellung decken sich mit den Daten bisheriger (kleinerer) Studien und Register. Zwei mögliche Wirkmechanismen werden diskutiert: 1. Im Rahmen von Influenzaerkrankungen ist die Inzidenz akuter kardiovaskulärer Ereignisse erhöht. Dies ist seit langem bekannt und wurde bereits in der Grippe-Pandemie der Jahre 1918-1920 beobachtet. Die Verhinderung bzw. Abschwächung einer Influenza sollte somit zu weniger kardiovaskulären Akuterkrankungen führen; 2. Die Influenzaimpfung hat möglicherweise einen direkten antiinflammatorischen und damit stabilisierenden Effekt auf atherosklerotische Plaques.
Auf die Frage, weshalb die Häufigkeit von Myokardinfarkten – so wie auch in der hier besprochenen Metaanalyse (4) – nicht signifikant positiv beeinflusst wird, gibt es bisher keine Antworten. Auch ist infolge des pandemiebedingten vorzeitigen Abbruchs der Studie die statistische Aussagekraft eingeschränkt. Somit kann die Frage, ob alle Patienten nach akuten Koronarsyndromen gegen Influenza geimpft werden sollten, noch nicht endgültig beantwortet werden. Die Autoren schlussfolgern jedoch, dass eine Influenzaimpfung nach Myokardinfarkt als Teil der Behandlung im Krankenhaus erwogen werden sollte.
Fazit: Die bislang größte randomisierte, plazebokontrollierte Studie bestätigt Ergebnisse früherer Untersuchungen, dass eine Influenzaimpfung nach akutem Koronarsyndrom weitere kardiovaskuläre Ereignisse vermindern kann: Bei Patienten nach Myokardinfarkt reduzierte diese Impfung signifikant die kardiovaskuläre und die Gesamtmortalität. Die Influenzaimpfung sollte daher dieser Patientengruppe besonders angeraten werden.
Literatur
- Frøbert, O., et al. (IAMI = Influenza vaccination After Myocardial Infarction study): Circulation 2021, Aug. 30. Link zur Quelle
- AMB 2014, 48, 06. Link zur Quelle
- Clar, C., et al.: Cochrane Database Syst Rev. 2015 May 5, CD005050. Link zur Quelle
- Yedlapati, S.H., et al.: J. Am. Heart Assoc. 2021, 10, e019636. Link zur Quelle