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Kalifornien nimmt die Insulinproduktion selbst in die Hand

Die Entdeckung des Insulins, für die Frederick Grant Banting und John James Rickard Macleod im Jahr 1923 den Nobelpreis erhielten, ermöglichte die Entwicklung der ersten wirksamen Behandlung des Diabetes mellitus, der vorher innerhalb kurzer Zeit zum Tod geführt hatte [1]. „Insulin gehört nicht mir, es gehört der Welt“ – mit diesen Worten verkaufte Banting mit seinen Mitarbeitern die US-amerikanischen Patente zum Preis von je einem symbolischen Dollar an die Universität Toronto [2]. Insulin sollte für alle verfügbar sein, die es benötigen. Für die großtechnische Produktion wurde der pharmazeutische Unternehmer (pU) Eli Lilly & Company in Toronto einbezogen, der 1923 das erste kommerzielle Insulin „Iletin“ auf den Markt gebracht hatte. Im November desselben Jahres gelang es, durch eine Erhöhung der Produktion den Preis von 5 Cent auf 2 Cent pro Einheit zu senken.

Einhundert Jahre später sind die Preise für Insulin, insbesondere in den USA, dramatisch hoch. Menschen mit Diabetes sind dort teils mit hohen monatlichen Kosten belastet. Eine Umfrage der „US Centers for Disease Control and Prevention“ (= CDC) ergab 2021, dass 16,5% oder 1,3 Mio. von den ca. 7,4 Mio. Anwendern von Insulin in den USA im letzten Jahr schon einmal die Insulindosis vermindert, einzelne Injektionen ausgelassen oder den Kauf des Arzneimittels hinausgezögert haben, um Geld zu sparen [3]. Immer wieder wird auch von Todesfällen berichtet, weil Patienten sich Insulin nicht leisten konnten [4]. Ein Vergleich der Preise in den USA mit anderen Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2020 ergab, dass diese in den USA oft 5-10mal höher sind [5]. Als Ursache werden zwei Gründe angenommen: PU haben in den USA die Macht, ihre eigenen Preise festzulegen und ohne jegliche Einschränkungen zu erhöhen [6]. Außerdem mangelt es an Wettbewerb, da der Insulinmarkt in den USA von nur drei großen pU (Eli Lilly, Nordisk, Sanofi) kontrolliert wird. So wird Insulin, das in der Herstellung weniger als 10 US-Dollar kostet, teilweise für dreistellige Beträge vermarktet. Bemühungen verschiedener Bundesstaaten, den Preis zu senken, waren bislang nicht ausreichend erfolgreich, auch weil die pU sich juristisch wehrten.

Der Bundesstaat Kalifornien hat deswegen entschieden, selbst in die Produktion von Insulin einzusteigen [7][8]. Es wurden 100 Mio. US-Dollar bereitgestellt, um eigene, biosimilare Insuline zu entwickeln und eigene Produktionsstätten aufzubauen. Mit dem gemeinnützigen Generikahersteller Civica Rx wurde bereits ein Vertrag für die Herstellung von biosimilarem Insulin glargin, Insulin lispro und Insulin aspartat abgeschlossen. Sie sollen günstig angeboten werden für höchstens 30 US-$ pro 10 ml-Fläschchen und 55 US-$ für eine Schachtel mit fünf vorgefüllten 3-ml-Pens [9]. Civica Rx wurde 2018 von Krankenhäusern, Universitäten und verschiedenen anderen Einrichtungen im Gesundheitswesen gegründet, um Arzneimittelengpässe in den USA und die damit einhergehenden Preisspitzen zu vermeiden. Bereits die Ankündigung Kaliforniens, eigenes Insulin zu produzieren, hat möglicherweise dazu beigetragen, dass die pU ihre Preise für Insulin nun um bis zu 78% senken [10].

Kalifornien hat beschlossen, perspektivisch auch andere generische Arzneimittel produzieren zu lassen. Festgelegt wurde bereits, dass der Opioid-Antagonist Naloxon hergestellt werden soll, der wegen der Opioid-Krise in den USA eine besondere Bedeutung hat. So hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA beispielsweise empfohlen, Naloxon rezeptfrei verfügbar zu machen [11]. Bei Naloxon kommt es in den USA immer wieder zu Versorgungsengpässen, die im Jahr 2021 zu geschätzt 12.000-18.000 zusätzlichen Todesfällen geführt haben sollen [12].

In Deutschland sind die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel gesetzlich reguliert. Auch wenn sie deutlich niedriger sind als in den USA, so liegen sie im europäischen Vergleich doch im oberen Bereich [13]. Daneben ist die Zahl der Lieferengpässe bei Arzneimitteln in Deutschland trotz verschiedener gesetzlicher Maßnahmen weiter angestiegen [14]. Anfang März 2023 waren in der Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte 434 Lieferengpässe gelistet. Auch zu Insulin wurden wiederholt Lieferengpässe gemeldet. So hat Ende Dezember 2022 Sanofi einen Lieferengpass bei Fertigpens und Patronen von Insuman Rapid, Insuman Basal und Insuman Comb 25 bekannt gegeben [15]. Eine Rückkehr zur normalen Versorgung wird erst ab Juli 2023 erwartet.

Fazit

Kalifornien hat beschlossen, selbst Arzneimittel zu produzieren, um Engpässen und überteuerten Preisen zu begegnen. Kommentatoren sehen hier ein Beispiel für vorbildliches staatliches Handeln, dass Missstände auf dem Markt ausgleicht und sich gleichzeitig um seine bedürftigsten Bürger kümmert [8]. Ein Modell auch für Europa?

Literatur

  1. https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/1923/summary/ (Link zur Quelle)
  2. https://insulin100.utoronto.ca/about/ (Link zur Quelle)
  3. https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/M22-2477 (Link zur Quelle)
  4. https://rightcarealliance.org/activities/insulin/ (Link zur Quelle)
  5. https://www.rand.org/pubs/research_reports/RRA788-1.html (Link zur Quelle)
  6. https://www.statista.com/chart/23127/average-price-per-standard-unit-of-insulin/ (Link zur Quelle)
  7. https://calrx.ca.gov/ (Link zur Quelle)
  8. Sherkow, J.S., et al.: JAMA 2023, 329, 533. (Link zur Quelle)
  9. https://civicarx.org/ (Link zur Quelle)
  10. https://www.reuters.com/business/healthcare-pharmaceuticals/sanofi-cut-price-its-most-prescribed-insulin-by-78-us-2023-03-16/ (Link zur Quelle)
  11. https://www.fda.gov/news-events/press-announcements/fda-announces-preliminary-assessment-certain-naloxone-products-have-potential-be-safe-and-effective (Link zur Quelle)
  12. https://sph.unc.edu/sph-news/naloxone-shortage-is-over-says-co-founder-of-remedy-alliance/#:~:text=Interruptions%20to%20the%20supply%20of,deaths%20from%20overdose%20than%20expected (Link zur Quelle)
  13. https://www.commonwealthfund.org/blog/2019/how-drug-prices-are-negotiated-germany (Link zur Quelle)
  14. AMB 2023, 57, 17. (Link zur Quelle)
  15. https://www.bfarm.de/SharedDocs/Arzneimittelzulassung/Lieferengpaesse/DE/2023/info_insulin_human_20230103.html;jsessionid=B293F5ABB97DDAD5650D1468F97F427D.intranet672?nn=951018 (Link zur Quelle)