Artikel herunterladen

Pitavastatin zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen bei HIV-Infizierten [CME]

Die Lebenserwartung HIV-infizierter Personen hat sich durch die verfügbaren antiretroviralen Therapien deutlich verlängert. Dennoch bleibt das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, einschließlich Myokardinfarkt und Schlaganfall, trotz optimaler Virussuppression doppelt so hoch wie bei Personen, die nicht mit dem HIV infiziert sind [1]. Die Gründe hierfür sind nicht ganz klar, aber eine erhöhte Entzündungs- bzw. Immunaktivität könnten die Ursache sein [2], [3], [4]. In großen Kohorten wurde gezeigt, dass dieses Risiko vergleichsweise auch dann erhöht bleibt, wenn die klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren medikamentös unter Kontrolle sind [5], [6]. Obwohl dieses Risiko für HIV-Infizierte schon länger bekannt ist, gibt es bisher keine medikamentösen Empfehlungen zur speziellen Prävention für diese Patientengruppe, weil Ergebnisse aus klinischen Studien fehlen.

Nun wurde zu diesem Problem eine Phase-III-Studie (REPRIEVE) publiziert [7]. Für die Intervention wurde ein Statin (Pitavastatin) gewählt, da durch die Hemmung der HMG-CoA-Reduktase sowohl das Cholesterin als auch Entzündungsprozesse reduziert werden, beides mögliche kausale Faktoren für das erhöhte kardiovaskuläre Risiko HIV-infizierter Personen [8], [9], [10], [11], [12]. Speziell Pitavastatin wurde gewählt, weil es nicht mit der anti-HIV-Medikation interagiert [13]. Die Dosierung war mit 4 mg/d ausreichend hoch, wenn man vergleichsweise als Äquivalenzdosierungen 20 mg Atorvastatin, 10 mg Rosuvastatin bzw. 40 mg Simvastatin zugrunde legt.

Methodik: Die Studie wurde von den „National Institutes of Health“ (NIH) in den USA geplant. Der Hauptsponsor der Studie war ebenfalls das NIH, daneben aber auch noch diverse pharmazeutische Unternehmer. Insgesamt wurden 7.769 Personen mit HIV-Infektion eingeschlossen; davon 2.410 (31,1%) Frauen. Alle Teilnehmer sollten unter einer anti-HIV-Therapie gut eingestellt sein, also keine hohe Viruslast und eine normale Zahl von CD4-positiven T-Lymphozyten haben. Alle hatten ein niedriges (< 5%) bis moderates (5-7,4%) 10-Jahres-Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, berechnet nach dem ASCVD-Risikorechner der „American Heart Association“ und dem „American College of Cardiology“ [14]. Der mediane LDL-Cholesterinspiegel betrug 108 mg/dl („interquartile range“: 87-128 mg/dl) bzw. 2,79 mmol/l („interquartile range“: 2,25-3,31 mmol/l).

In die Pitavastatin-Gruppe wurden 3.888 Personen (4 mg/d) randomisiert, in die Plazebo-Gruppe 3.881. Der kombinierte primäre Endpunkt (größeres kardiovaskuläres Ereignis) war wie folgt definiert: Myokardinfarkt, Hospitalisierung wegen instabiler Angina pectoris, Schlaganfall, transitorisch ischämische Attacke (TIA), periphere arterielle Ischämie, nötige Revaskularisierungen, Tod aus unbekannter Ursache.

Ergebnisse: Das mediane Alter der Studienteilnehmer betrug 50 Jahre (40-75 Jahre) und die mediane CD4-Zellzahl 621/mm3 (ab 500/mm3 ist normal). Die HIV-RNA im Blut war unter der Nachweisgrenze bei 5.250 von 5.997 Personen (bei den anderen lagen hierzu keine Daten vor). Die Studie wurde nach einer medianen Dauer von 5,1 Jahren aufgrund einer geplanten Interimsanalyse frühzeitig gestoppt (interquartile Streuung 4,3-5,9 Jahre), da sich für die Statin-Gruppe ein signifikant besseres Ergebnis abzeichnete: Die Inzidenz eines größeren kardiovaskulären Ereignisses betrug 4,81 pro 1.000 Personenjahre in der Pitavastatin-Gruppe und 7,32 in der Plazebo-Gruppe (Hazard Ratio = HR: 0,65; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,48-0,90; p = 0,002). Die Ergebnisse waren auch in den Subgruppen (Raucher, Frauen, Altersgruppen etc.) ähnlich. Allerdings war in der Gruppe der Patienten mit Hypertonie der Effekt von Pitavastatin ausgeprägter als in allen anderen Gruppen.

Die Inzidenz eines größeren kardiovaskulären Ereignisses oder Tod aus jedweder Ursache betrug 9,8 pro 1.000 Patientenjahre in der Pitvastatin-Gruppe und 11,63 in der Plazebo-Gruppe (HR: 0,79; CI: 0,65-0,96). Tod durch nicht-kardiovaskuläre Ursachen trat bei 82 Teilnehmern in der Pitavastatin- und bei 81 in der Plazebo-Gruppe auf.

Auf die Muskulatur bezogene Nebenwirkungen traten bei 91 Teilnehmern (2,3%) in der Pitavastatin- und bei 53 (1,4%) in der Plazebo-Gruppe auf. Diabetes mellitus wurde bei 206 Teilnehmern (5,3%) in der Pitavastatin- und bei 155 (4,0%) in der Plazebo-Gruppe neu diagnostiziert.

In einem begleitenden Editorial wurde auf die Wichtigkeit weniger beachteter Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen hingewiesen, beispielsweise auf den Entzündungsparameter „hochsensitives CRP“ [15].

 

Fazit

In einer nordamerikanischen Studie hatten HIV-Patienten, die mit dem Statin Pitavastatin behandelt wurden, nach 5 Jahren ein niedrigeres Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis. Allerdings traten in der mit Pitavastatin behandelten Gruppe mehr muskuläre Nebenwirkungen und häufiger ein Diabetes auf.

Literatur

  1. Shah, A.S.V., et al.: Circulation 2018, 138, 1100. (Link zur Quelle)
  2. Zanni, M.V., et al.: Nat. Rev. Cardiol. 2014, 11, 728. (Link zur Quelle)
  3. Longenecker, C.T., et al.: Curr. Opin. HIV AIDS 2016, 11, 216. (Link zur Quelle)
  4. Feinstein, M.J., et al.: Curr. Cardiol. Rep. 2016, 18, 113. (Link zur Quelle)
  5. Triant, V.A., et al.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2007, 92, 2506. (Link zur Quelle)
  6. Freiberg, M.S., et al.: JAMA Intern. Med. 2013, 173, 614. (Link zur Quelle)
  7. Grinspoon, S.K., et al. (REPRIEVE = Evaluating the Use of Pitavastatin to Reduce the Risk of Cardiovascular Disease in HIV-Infected Adults): N. Engl. J. Med. 2023, 389, 687. (Link zur Quelle)
  8. Aberg, J.A., et al. (INTREPID = A 12-Week Study Comparing Pitavastatin 4 mg vs. Pravastatin 40 mg in HIV-Infected Subjects): Lancet HIV 2017, 4, e284. (Link zur Quelle)
  9. Eckard, A.R., et al. (SATURN-HIV = Stopping Atherosclerosis and Treating Unhealthy bone with RosuvastatiN in HIV): J. Infect. Dis. 2014, 209, 1156. (Link zur Quelle)
  10. Funderburg, N.T., et al. (SATURN-HIV = Stopping Atherosclerosis and Treating Unhealthy bone with RosuvastatiN in HIV): J. Acquir. Immune Defic. Syndr. 2015, 68, 396. (Link zur Quelle)
  11. Toribio, M., et al. (INTREPID = A 12-Week Study Comparing Pitavastatin 4 mg vs. Pravastatin 40 mg in HIV-Infected Subjects): AIDS 2017, 31, 797. (Link zur Quelle)
  12. Toribio, M., et al. (INTREPID = A 12-Week Study Comparing Pitavastatin 4 mg vs. Pravastatin 40 mg in HIV-Infected Subjects): EBioMedicine 2018, 35, 58. (Link zur Quelle)
  13. Malvestutto, C.D., et al.: J. Acquir. Immune Defic. Syndr. 2014, 67, 390. (Link zur Quelle)
  14. Goff, D.C. Jr., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2014, 63 25 Pt. B, 2935. (Link zur Quelle)
  15. Freiberg, M.S.: N. Engl. J. Med. 2023, 389, 760. (Link zur Quelle)