Da bei alten Menschen kardiovaskuläre Komplikationen infolge einer Hypertonie häufiger auftreten als bei jüngeren, ist die absolute Risikoreduktion für solche Ereignisse durch eine wirksame antihypertensive Therapie bei älteren Menschen besonders deutlich. Unklar war die Datenlage zur Effektivität dieser Therapie bisher bei sehr alten Menschen (> 80 Jahre). Unter Federführung von Kollegen des Imperial College London plante deshalb eine Studiengruppe die HYVET-Studie, deren Protokoll 2001 veröffentlicht wurde (1). Im N. Engl. J. Med. wurden jetzt die Ergebnisse publiziert (2).
In die Studie wurden 3845 Patient(inn)en (ca. 60% Frauen) über 80 Jahre (im Mittel 83,6 Jahre) mit Blutdruckwerten im Sitzen (unter initialer Plazebo-Therapie) > 160 mm Hg systolisch eingeschlossen. Die initiale Begrenzung auf diastolische Werte > 90 mm Hg wurde später aufgegeben wegen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Patienten, so dass auch solche mit isoliert-systolischer Hypertonie behandelt wurden (vgl. 3). Die meisten Patienten kamen aus Osteuropa und China, wenige aus Westeuropa, Australien und Tunesien. Ausgeschlossen wurden Patienten mit akzelerierter oder sekundärer Hypertonie, mit einem Serum-Kreatinin über 1,7 mg/dl und besonders Pflegebedürftige. Der allgemeine Gesundheitszustand der Patienten wurde als überdurchschnittlich gut für ihr Alter eingestuft.
Nach einer Basisperiode mit mehreren Blutdruckmessungen im Sitzen und im Stehen wurden die Patienten randomisiert für eine doppeltblinde Behandlung mit 1,5 mg retardiertem Indapamid/d oder Plazebo. Es verwundert, dass die Ethikkommissionen einer Plazebo-Gruppe bei diesen Risikopatienten (hohes Lebensalter) mit Hypertonie zugestimmt haben. Indapamid hat einen Thiazid-ähnlichen diuretischen Wirkmechanismus am distalen Tubulus. In Deutschland ist Indapamid als Natrilix® SR 1,5 retard und als Generikum auf dem Markt. Wenn bei den Folgevisiten der Blutdruck noch über dem Zielwert von 150/80 mm Hg war, konnten 2 mg oder 4 mg Perindopril (Coversum® bzw. ein Plazebo) hinzugefügt werden. Die Plazebos wurden für Patient und Arzt verblindet für die einzelnen Patienten entsprechend der Randomisierung bereit gehalten. In der Verum-Gruppe nahmen am Ende 26% nur Indapamid, 24% zusätzlich 2 mg und die übrigen zusätzlich 4 mg Perindopril/d.
Der primäre Endpunkt der Studie war die Inzidenz tödlicher oder nicht-tödlicher Schlaganfälle (außer TIA). Sekundäre Endpunkte waren kardiovaskuläre und jegliche Todesfälle und Herzinsuffizienz. Die Studie wurde vorzeitig nach einer medianen Behandlungsdauer von 1,8 Jahren beendet, da man bei deutlich mehr Todesfällen in der Plazebo-Gruppe eine Fortsetzung für ethisch nicht vertretbar hielt.
Der durchschnittliche initiale Blutdruck war in beiden Gruppen 173/90,8 mm Hg im Sitzen. Nach zwei Jahren war der Blutdruck unter Verum 15/6,1 mm Hg niedriger als unter Plazebo, obwohl auch unter Plazebo der Blutdruck etwas gesunken war. Nach zwei Jahren hatten 19,9% der Patienten unter Plazebo und 48% unter Verum das Therapieziel eines Blutdrucks < 150/80 mm Hg erreicht. Nach einer Intention-to-treat-Analyse traten unter Verum 30% weniger nicht-tödliche Schlaganfälle und 39% weniger Schlaganfall-bedingte Todesfälle auf als unter Plazebo. Die Gesamtzahl der Todesfälle wurde durch Verum um 21%, kardiovaskuläre Todesfälle um 23% und die Inzidenz von Herzinsuffizienz um 64% reduziert. In absoluten Zahlen: Pro 1000 Patientenjahre wurde durch Verum die Zahl aller Schlaganfälle von 17,7 auf 12,4, und die Inzidenz von Herzinsuffizienz von 14,8 auf 5,3 reduziert. Die absoluten Zahlen scheinen für diese Altersgruppe recht niedrig zu sein. Kalium, Harnsäure, Kreatinin und Blutzucker änderten sich während der Studie sehr wenig und fast identisch in beiden Gruppen.
Die Daten dieser Studie sprechen eindeutig für eine antihypertensive Therapie auch bei sehr alten Menschen mit systolischen Blutdruckwerten > 160 mm Hg. So sieht es auch J.B. Kostis in seinem Editorial zu diesem Artikel (4). Ein preiswertes Therapieregime mit einem Diuretikum und einem ACE-Hemmer war offenbar sehr wirksam und arm an UAW. Die antihypertensive Therapie in dieser Altersgruppe muss vorsichtig erfolgen. Besonders ist auf orthostatische Hypotonie und Schwindel als UAW zu achten.
Fazit: Die HYVET-Studie bei Hypertonikern im Alter > 80 Jahre zeigt, dass auch in dieser Altersgruppe eine gut überwachte antihypertensive Therapie die kardiovaskuläre Morbidität, besonders Schlaganfälle, und die Letalität signifikant reduziert.
Literatur
- Bulpitt, C., et al. (HYVET= HYpertension in the Very Elderly Trial): Drugs Aging 2001, 18, 151. Link zur Quelle
- Beckett, N.S., et al. (HYVET = HYpertension in the Very Elderly Trial): N. Engl. J. Med. 2008, 358, 1887. Link zur Quelle
- AMB 2007, 41, 75. Link zur Quelle
- Kostis, J.B.: N. Engl. J. Med. 2008, 358, 1958. Link zur Quelle