Zusammenfassung: Die therapeutische Hypothermie (TH) wird in vielen Kliniken nach außerklinischer kardiopulmonaler Reanimation (CPR) wegen Kreislaufstillstands routinemäßig eingesetzt. Behandelt werden Patienten mit anhaltender Bewusstlosigkeit nach Wiedereinsetzen des Kreislaufs. Dieses Vorgehen gründet sich auf die günstigeren Ergebnisse mehrerer Studien und die Empfehlungen des International Liaison Committee on Resuscitation (ILCOR), der American Heart Association und des European Resuscitation Councils (4). Allerdings sind wichtige Fragen bisher noch nicht definitiv beantwortet. Hierzu gehören: der optimale Zeitpunkt des Beginns der TH, damit verbunden die beste Methode, die ideale Zieltemperatur, die günstigste Dauer, die Geschwindigkeit des Wiederaufwärmens und nicht zuletzt die genauere Charakterisierung der Patienten, die von der TH nicht profitieren.
Als TH wird das Konzept verstanden, nach primär erfolgreicher kardiopulmonaler Reanimation (CPR) die Körpertemperatur zunächst noch bewusstloser Patienten gezielt auf 32º-34ºC für 12-24 Std. zu senken. Zunächst wurde eine gezielte Hypothermie eingesetzt, um den Metabolismus maligner Tumoren zu hemmen und später, um Organschäden bei Transplantationen und bei Operationen am offenen Herzen zu reduzieren. Als Wirkungsmechanismus wird anhand tierexperimenteller Untersuchungen die Verhinderung postischämischer Reperfusionsschäden durch mitochondriale Produktion freier O2-Radikale mit konsekutiver Apoptose diskutiert (1). Die Ergebnisse zweier randomisierter klinischer Studien haben gezeigt, dass das Konzept der TH auf die Situation nach CPR übertragbar ist: Sowohl die Überlebensrate als auch das neurologische Defizit nach prähospitaler CPR konnten signifikant verbessert werden (2, 3).
In der kleinen australischen Studie (2) wurden 77 Patienten mit CPR nach Kammerflimmern (KF) bereits vor Eintreffen im Krankenhaus mit Hilfe von Kühlpads am Körper gekühlt. Nach stationärer Aufnahme wurde diese Therapie intensiviert und mit dem Ziel fortgesetzt, eine Kerntemperatur von 33ºC über 12 Std. zu halten. Bei Zeichen eines akuten Myokardinfarkts wurde eine Thrombolyse durchgeführt. 49% der Patienten mit TH überlebten in gutem neurologischen Zustand im Vergleich zu nur 26% ohne TH (p = 0,05).
In der größeren europäischen Studie (3) wurden 275 Patienten nach CPR bei initialem KF mit Hilfe einer maschinellen Oberflächenkühlung für 24 Std. auf 32º-33ºC gekühlt bzw. konventionell ohne TH versorgt. Mit TH starben 41% der Patienten (56 von 137), ohne TH 55% (76 von 138; p = 0,02). 55% der überlebenden Patienten mit TH erreichten einen gutem neurologischen Zustand im Vergleich zu nur 39% ohne TH (p = 0,009). Auffällig ist in dieser Studie das lange Zeitintervall zwischen Wiedererreichen des Spontankreislaufs (ROSC = Return Of Spontaneous Circulation) und dem Beginn der TH von im Mittel acht Stunden.
Namhafte Gesellschaften wie das „International Liaison Committee on Resuscitation“ (ILCOR), die American Heart Association und der European Resuscitation Council (4) haben nach Publikation dieser Studien die TH in ihre Therapieempfehlungen übernommen: Alle Patienten mit persistierender Bewusstlosigkeit nach CPR sollen so rasch wie möglich auf 32º-34ºC über 12-24 Std. gekühlt werden. Für Patienten mit initial nicht defibrillierbaren Herzrhythmusstörungen (vgl. 20) liegen allerdings nur wenige aussagekräftige Daten vor.
In einer kürzlich publizierten Studie wurde der Frage nach der optimalen Zieltemperatur bei milder TH nachgegangen (5). In die Untersuchung wurden 950 bewusstlose Patienten nach primär erfolgreicher CPR bei vermutlich kardial bedingtem Kreislaufstillstand eingeschlossen (80% KF, 20% andere Arrhythmien). Im Krankenhaus wurden die Patienten möglichst rasch entweder auf eine Zieltemperatur von 33ºC gekühlt (n = 473) oder aktiv bei einer Temperatur von 36ºC gehalten (n = 466). Es wurde ein Zeitfenster von vier Stunden vom ROSC bis zum Beginn der TH akzeptiert. Wichtig war, dass vor Studienbeginn Kriterien für einen Abbruch der Kühlung festgelegt wurden. Sie führten bei 247 Patienten zu einem vorzeitigen Ende der HT. 50% der Gruppe mit Zieltemperatur 33ºC und 48% der Gruppe mit Ziel 36ºC hatten am Ende der Studie nach 180 Tagen überlebt, jeweils 48% in den günstigen neurologischen „Cerebral Perfomance Categories“ 1 oder 2. In den Kommentaren und Leserbriefen zu dieser Studie werden als Ursache für den fehlenden Unterschied der beiden Kollektive neben der insgesamt optimierten Nachsorge, die relativ lange Sedierung von 36 Stunden, ein zerebroprotektiver Effekt von dem zur Sedierung eingesetzten Propofol und eine zu rasche Wiedererwärmung vermutet. Die Autoren der Studie lehnen in ihrer Antwort auf die Leserbriefe besonders die Auffassung ab, die Studie zeige, dass allein das Vermeiden von Fieber beim Temperaturmanagement nach CPR ausreichend sei, um das neurologische Defizit zu begrenzen (6). Diese Studie hat zu heftigen Diskussionen und einer erheblichen Verunsicherung unter Notfall- und Intensivmedizinern geführt. Es muss aber berücksichtigt werden, dass sich die untersuchten Populationen in den einzelnen Studien erheblich unterscheiden. In der neueren Studie betrug der Anteil der Patienten mit Reanimation durch Laien > 70%, und der Beginn der Reanimationsmaßnahmen erfolgte im Median nach einer Minute! Auch stammten die Patienten überwiegend aus skandinavischen Ländern, wo die Reanimation durch Laien in den Medien thematisiert und in Schulen bereits geübt wird. Das ist ein Unterschied zu deutschen Verhältnissen. Aus der Studie lässt sich ableiten, dass die Kühlung auf 33°C offenbar keinen Schaden anrichtet. Die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) empfiehlt deshalb bis weitere Studienergebnisse vorliegen, bewusstlose Erwachsene mit ROSC nach Kammerflimmern, das außerhalb eines Krankenhauses aufgetreten ist, nach wie vor für 12-24 Stunden auf 32-34°C zu kühlen. Bei anderen bewusstlosen Patienten nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand sollte eine Zieltemperatur von 36°C aktiv angestrebt werden. Erhöhte Temperaturen sind in jedem Fall zu vermeiden (21).
Theoretische Überlegungen und Tierexperimente legen es nahe, die TH so früh wie möglich zu beginnen, eventuell sogar bereits während der CPR (7). Entsprechend wurde in der Studie von Bernard et al. (2) bereits vor Erreichen des Krankenhauses mit der TH begonnen. Allerdings waren die Ergebnisse in dieser Studie nicht besser als die der HACA-Studie (3) mit Beginn der Hypothermie im Mittel acht Stunden nach ROSC. Bernard et al. hatten bereits 2010 gezeigt (8), dass die prähospitale Infusion kalter Hartmann-Lösung keine Vorteile bringt. Die TH bereits am Notfallort unmittelbar nach ROSC durch Infusion kalter NaCl-Lösung zu beginnen, hat sich dennoch in der täglichen Praxis breit durchgesetzt.
Das Konzept der frühen Infusion einer kalten Lösung wurde kürzlich erneut in einer randomisierten Studie (9) mit 1359 Patienten (583 Patienten mit KF, 776 Patienten mit anderen Rhythmusstörungen) im Vergleich zum Standardvorgehen (Oberflächenkühlung bzw. invasives Vorgehen bei Krankenhausaufnahme) geprüft. Mit der frühen und raschen Infusion von bis zu 2000 ml (!) NaCl-Lösung wurde die Temperatur zwar um 1,2ºC bei Aufnahme gesenkt und die Zieltemperatur von < 34ºC eine Stunde früher als in der Vergleichsgruppe erreicht. Jedoch wurde mit der Frühtherapie weder bei Patienten mit KF noch bei anderen Arrhythmien eine höhere Überlebensquote oder ein besseres neurologisches Ergebnis erzielt. Im Gegenteil, es gab sogar beträchtliche Nachteile: Nach dieser relativ großen Menge kalter Infusionslösung kam es zu mehr erneuten Kreislaufstillständen vor Erreichen des Krankenhauses und zu mehr Lungenödemen, bzw. erhöhtem Diuretikabedarf. Obwohl diese Ergebnisse klar gegen die prähospitale Infusion kalter NaCl-Lösung in dieser Menge sprechen, bleiben wichtige Fragen unbeantwortet: Wurde die Zieltemperatur zu spät erreicht, um einen Unterschied zu erzielen? Kam es zwischenzeitlich in der Infusionsgruppe unbemerkt zum erneuten Anstieg der Temperatur? Sind andere Kühlmethoden für die Frühtherapie besser geeignet, vor allem solche, die nicht zwangsläufig mit der Infusion eines so großen Volumens verbunden sind, z.B. Kühlpads, mit denen auch eine effektivere Temperatursenkung von 3º-3,5ºC/Std. zu erreichen ist?
Eine noch konsequentere Vorverlagerung des Therapiebeginns ist das „intra-arrest cooling“. Man hofft, damit bereits die Initialschäden bei einem Kreislaufstillstand zu vermeiden (1). In eine randomisierte Studie (10) wurden insgesamt 200 Patienten einbezogen: 96 Patienten erhielten „intra-arrest cooling“, davon 29% mit KF sowie 104 „Kontrollen“, davon 31,7% mit KF. Bei dem benutzten „Rhino-Chill“-Kühlgerät wird über eine Nasensonde ein Gemisch aus O2 und einer beim Verdampfen Kälte erzeugenden Kühlflüssigkeit in die Nasenhöhle geblasen. Die Kälte wird rasch zunächst auf die basalen Hirnstrukturen übertragen. Die Insufflation wird bis zur Weiterführung der TH mit einem Standardverfahren im Krankenhaus fortgesetzt. Die tympanische Temperatur war in den Gruppen initial identisch, bei Krankenhausaufnahme mit 34,2ºC im Vergleich ohne Kühlung (35,5ºC) signifikant niedriger. Insgesamt ergab sich kein signifikanter Unterschied im Überleben (31% bei den Kontrollen, 43,8% bei nasalem Kühlen, bei initialem KF 47,6% bzw. 62,5%; p = 0,26). Wurde die Reanimation innerhalb von zehn Minuten nach Kollaps durch die Rettungskräfte aufgenommen, überlebten mit nasaler Kühlung 13 von 23 Patienten (56,5%), ohne Kühlung nur 10 von 34 (29,4%; p = 0,04). Gleich günstig war auch das neurologische Ergebnis in dieser Subgruppe. Zusätzliche Kosten entstehen durch zwei konsekutiv eingesetzte Kühlverfahren und Einsatz auch bei Patienten die keinen ROSC erreichen.
Ein besonderes Problem der TH ist, dass die Patienten zur Beatmung und um erhöhten Sauerstoffverbrauch durch Muskelzittern zu vermeiden, sediert werden müssen. Zur Sedierung wird bei instabilen Kreislaufverhältnissen bevorzugt Midazolam bzw. bei stabilen Patienten Propofol eingesetzt, kombiniert mit Fentanyl oder einem anderen Opioid. Ist wegen Muskelzitterns eine neuromuskuläre Blockade notwendig, werden Wirkstoffe wie Pancuronium injiziert. Dies ist vor allem initial sinnvoll, um rasch die Zieltemperatur zu erreichen (11).
Für die TH stehen verschiedene Techniken und Geräte zur Verfügung. Die Infusion kalter Lösungen bzw. das Rhino-Chill-System wurden bereits erwähnt. Die in der HACA-Studie (3) angewandte Oberflächenkühlung mit Kaltluft ist weitgehend verlassen. Üblich sind für die Oberflächenkühlung auf 9ºC vorgekühlte Pads mit hoher Wärmeleitfähigkeit oder mit Kühlwasser durchströmte Auflagen. Für das invasive Kühlen stehen großlumige Kathetersysteme zur Verfügung, die über die Vena femoralis eingeführt werden. Die vorgekühlten Pads haben den Vorteil, dass sie bereits vor Erreichen des Krankenhauses eingesetzt werden können, aber den Nachteil, dass die Temperatur schwieriger zu kontrollieren ist. Die übrigen Verfahren haben den Vorteil einer präzisen Temperatursteuerung durch Rückkopplung mit einem Temperatursensor, der es ermöglicht, die Zieltemperatur einzuhalten und die Aufwärmphase exakt zu lenken (Temperaturanstieg 0,25 bis max. 0,5ºC/Std.; 5). Allerdings ist der optimale Ort zur Temperaturmessung (Harnblase, Ösophagus, Pulmonaliskatheter) nicht abschließend geklärt, und Temperaturabweichungen von 0,2ºC sind möglich.
Nebenwirkungen der TH sind selten (11, 12). Es besteht ein gering erhöhtes Risiko für schwere Infektionen (Sepsis, Pneumonien). Elektrolyt- und Gerinnungskontrollen sind notwendig. Kontraindikationen für die TH sind schwere Infektionen und vorbestehende Koagulopathien, nicht jedoch eine Fibrinolysetherapie.
Die neurologische Beurteilung der Patienten während der Hypothermie ist schwierig, auch wegen des verlangsamten Abbaus der Sedativa unter Kühlung. Grundsätzlich ist eine sichere Beurteilung erst nach Wiedererwärmung möglich, am besten erst ca. 72 Stunden nach Erreichen der Normothermie (13). Unter Hypothermie sind praktisch alle Untersuchungsverfahren unzuverlässig mit Ausnahme der sensorisch evozierten Potentiale.
Ausblick: Die TH (keinesfalls die Fiebervermeidung allein) sollte bis zum Beweis des Gegenteils weiterhin der Standard sein in der Nachbehandlung bewusstloser Patienten nach CPR mit vermutlich kardialer Ursache des Kreislaufstillstands (14, 21). Dies gilt auch für Patienten mit Asystolie bzw. pulsloser elektrischer Aktivität, obwohl die Daten für diese Gruppen unzureichend sind (15). Künftige Studien müssen Antworten auf dringliche Fragen geben, z.B. fehlen Methodenvergleiche und Kosten-Nutzen-Analysen. Besonders ist zu klären, wann und wie schnell welche Zieltemperatur erreicht werden sollte. Da experimentelle Daten das Konzept „je früher, desto besser“ stützen, ist das „intra-arrest cooling“ besonders interessant. Größere Untersuchungen sind hierzu unterwegs. Schließlich wird zunehmend diskutiert, die TH auf weitere medizinische Notsituationen auszuweiten. Dazu gehören der Schlaganfall (16), die traumatische Hirnschädigung bei Erwachsenen (17), die perinatale Asphyxie (18) und nicht zuletzt der dem Kreislaufstillstand häufig zu Grunde liegende Myokardinfarkt (19).
Literatur
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