Alle Leitlinien zur Primärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen empfehlen einen gesunden Lebensstil als Basis- und Begleitmaßnahme vor und zusätzlich zu einer Arzneimitteltherapie. Es ist jedoch wenig darüber bekannt, ob und gegebenenfalls wie sich diese beiden Therapiekonzepte gegenseitig beeinflussen. Eine große bevölkerungsbasierte Kohortenstudie aus Finnland untersuchte Assoziationen zwischen einer neu begonnenen primärpräventiven Arzneimitteltherapie zur Senkung hypertensiver Blutdruckwerte und erhöhter Serumlipide einerseits und der Änderung von körperlichen und Lebensstil-Faktoren andererseits (1). Dazu wurden Daten von 41.225 Personen ausgewertet (84% Frauen; Alter 52 ± 7Jahre). Die Ergebnisse der Kohortenstudie basieren auf Rezepteinlösungen aus Apotheken sowie den Ergebnissen von Fragebögen, die alle Teilnehmenden im Verlauf zumindest zweimal in Intervallen von 4 Jahren beantworten mussten. Es wurden 46.021 Personen ohne neu verordnete Medikamente mit 8.837 Personen verglichen, denen neu Antihypertensiva oder Statine verordnet worden waren. Die Analyse zeigte, dass der Body-Mass-Index (BMI) in der Gruppe mit Beginn einer Pharmakotherapie stärker anstieg (Differenz der Veränderung: 0,19; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,16-0,22) und die physische Aktivität stärker abnahm (-0,09 metabolisches Äquivalent in Stunden/Tag; CI: -0,16 bis -0,02).
Das Risiko, adipös oder physisch inaktiver zu werden, war also in der Gruppe mit dem Beginn einer medikamentösen antihypertensiven bzw. lipidsenkenden Therapie signifikant höher. Andererseits nahmen Alkohol- und Zigarettenkonsum ab.
Die Ursachen der Assoziation bei diesem Patientenkollektiv (überwiegend Frauen) bleiben unklar. Möglicherweise halten die Patienten eine Änderung eines ungesunden Lebensstils nach Beginn einer Pharmakotherapie nicht mehr für so wichtig – ein psychischer Effekt hinsichtlich der Risikobereitschaft, wie er ähnlich auch seit Etablierung der effizienten HIV-Behandlung beobachtet wird. Möglicherweise führen aber auch tatsächliche oder von Patienten im Sinne eines Nozebo-Effekts erwartete Nebenwirkungen (z.B. Muskelschmerzen, niedrigerer Blutdruck) zu einer geringeren körperlichen Aktivität. Der Anstieg des BMI könnte auch als Folge des geringeren Zigarettenkonsums gesehen werden. Die Autoren schließen aber ursächlich sowohl die Statin-Therapie als auch die Aufgabe des Rauchens – nach entsprechender statistischer Korrektur – weitgehend aus. Sie postulieren daher, dass in der kardiovaskulären Primärprävention bei Personen mit niedrigem kardiovaskulärem Risiko positive Effekte einer Arzneimitteltherapie durch negative Einflüsse auf günstige Lebensstilfaktoren möglicherweise aufgehoben werden. Eine diesbezügliche Beratung der Patienten ist daher von großer Bedeutung.
Fazit: Eine große finnische Kohortenstudie ergab, dass eine neu eingeleitete Arzneimitteltherapie zur kardiovaskulären Primärprävention mit Nachteilen hinsichtlich mancher Lebensstilfaktoren assoziiert war, wie höherer Body-Mass-Index und geringere physische Aktivität. Die Effekte waren nicht sehr groß, aber statistisch signifikant. Um einen optimalen präventiven Effekt zu erzielen, müssen Patienten angehalten werden, parallel zu einer (neu begonnenen) Pharmakotherapie die Optimierung eines „gesunden“ Lebensstils konsequent weiterzuführen.
Literatur
- Korhonen, M.J., et al. (FPS = Finnish Public Sector study): J. Am. Heart Assoc. 2020, 9, e014168. Link zur Quelle