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Der PCSK9-Hemmer Alirocumab: in Relation zur LDL-Senkung und zum Preis enttäuschende klinische Ergebnisse. Die ODYSSEY OUTCOMES-Studie

Alirocumab ist einer von zwei zugelassenen monoklonalen Antikörpern zur Senkung des Cholesterins. Die Zulassung umfasst die Behandlung einer primären Hypercholesterinämie oder einer gemischten Dyslipidämie, in Kombination mit einem Statin und/oder einem anderen lipidsenkenden Therapieprinzip, wenn trotz maximal verträglicher Statindosis die LDL-C-Zielwerte nicht erreichen werden, oder auch als Monotherapie oder in Kombination mit anderen lipidsenkenden Therapieprinzipien bei Patienten mit einer Statin-Unverträglichkeit. Anhand der vorliegenden Studienergebnisse wurde jedoch von mehreren Institutionen bislang kein hinreichender Beweis für einen patientenrelevanten Zusatznutzen gesehen (1).

Am 7. November 2018 wurden im N. Engl. J. Med. die Ergebnisse der ODYSSEY OUTCOMES-Studie veröffentlicht (2). Diese Studie sollte nun den lange erhofften Beweis für einen Nutzen auf harte Endpunkte bringen. Hierzu erfolgte eine intensive Senkung des LDL-Cholesterins (LDL-C) mit dem PCSK9-Hemmer Alirocumab (Praluent®; vgl. 3) bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten. Die Ergebnisse wurden bereits im Frühjahr 2018 auf dem Kongress der nordamerikanischen Herzgesellschaft (ACC) präsentiert und sehr euphorisch besprochen. Viele Kardiologen stellten sofort Überlegungen an, ob der bisherige Zielwert des LDL-C nach koronaren Ereignissen von 70 mg/dl überhaupt noch akzeptabel ist und nunmehr eine Senkung auf < 50 mg/dl zu fordern ist. Auch der Zugang der Patienten zu PCSK9-Hemmern solle erheblich verbessert werden (4).

ODYSSEY OUTCOMES ist eine große, vom Hersteller initiierte und finanzierte, multizentrische, doppelblinde, randomisierte, plazebokontrollierte Studie (RCT). Die Studiensponsoren Sanofi und Regeneron Pharmaceuticals beteiligten sich an der Auswahl der Studienorte, der Überwachung der Studie und der Datenerhebung. Das Duke Clinical Research Institute in North Carolina führte eine verblindete Bewertung der Endpunkte durch. Die insgesamt 22 Autoren deklarieren umfangreiche Interessenkonflikte mit den Studiensponsoren.

ODYSSEY OUTCOMES schloss an 1.315 Zentren in 57 Ländern Patienten ein, die 1-12 Monate zuvor ein Akutes Koronarsyndrom (Myokardinfarkt oder instabile Angina pectoris) erlitten hatten. Sie sollten unter intensivierter bzw. maximal tolerierter Statin-Therapie mit Atorvastatin (40-80 mg/d) oder Rosuvastatin (20-40 mg/d) noch LDL-C-Werte ≥ 70 mg/dl oder ein Gesamt-Non-HDL-Cholesterin ≥ 100 mg/dl oder ein Apolipoprotein-B ≥ 80 mg/dl aufweisen. Die Ausgangswerte wurden nach einer Run-in-Phase bestimmt, in der die Lipidsenker-Therapie optimiert werden sollte. Außer Statinen waren – bis auf Fibrate – auch andere Lipidsenker erlaubt, um die genannten Therapieziele zu erreichen. Ausgeschlossen von der Studie waren u.a. Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz, Nüchtern-TG-Werten > 400 mg/dl, mehr als dreifach erhöhten Transaminasen oder einer glomerulären Filtrationsrate < 30 ml/min.

Insgesamt wurden 35.437 Patienten gescreent, von denen 18.924 (53%) nach der Run-in-Phase 1:1 zu Alirocumab (einmal 75 mg subcutan alle 2 Wochen) oder Plazebo randomisiert wurden. Die übrige Medikation lief weiter wie zuvor. Therapieziel war ein LDL-C zwischen 25 und 50 mg/dl. Die Alirocumab-Dosis wurde zur Aufrechterhaltung der Verblindung durch das Studienzentrum nach einem zuvor definierten Dosisanpassungs-Algorithmus gesteuert: Bei LDL-C-Werten < 15 mg/dl erfolgten unter Beibehalten der Verblindung Plazebogaben, und bei > 50 mg/dl wurde die Dosis auf 150 mg verdoppelt.

Der primäre Endpunkt (PEP) war zusammengesetzt aus: Tod durch Koronare Herzkrankheit, nicht tödlicher Myokardinfarkt, ischämischer Schlaganfall und Krankenhausbehandlung wegen instabiler Angina pectoris (AP). Den Berechnungen der nötigen Fallzahl lag eine erwartete Ereignisrate für den PEP mit Plazebo von 11,4% nach 4 Jahren zu Grunde. Das Protokoll sah vor, dass die Studie bei Erreichen von 1.613 PEP geschlossen wird und alle Patienten eine mindestens 2-jährige Nachbeobachtung (NB) haben mussten. Auf Grund regulatorischer Probleme haben 614 Studienteilnehmer aus China sehr viel später mit der Studie begonnen und somit auch eine kürzere NB, was die Ergebnisse beeinflusst haben könnte.

Ergebnisse: Das Alter der Studienteilnehmer betrug 58,5 ± 9,3 Jahre, 25,2% waren Frauen. Die meisten Patienten kamen aus Zentral- und Osteuropa (28,7%), 22% waren Westeuropäer, 15,2% Nordamerikaner, 13,7% Lateinamerikaner und 12,2% Asiaten. Es wurden 92,1% wegen LDL-C-Werten ≥ 70 mg/dl eingeschlossen, 7,2% wegen erhöhter Non-HDL-C-Werte. Der LDL-C-Ausgangswert betrug 92 ± 31 mg/dl. Es erhielten 27,4% eine Hochdosis-, 61,5% eine moderat dosierte und 2,5% (wohl wegen Unverträglichkeit) keine Statin-Therapie. Ezetimib nahmen nur 2,9% der Teilnehmer ein, was nicht der Verordnungspraxis hierzulande entspricht.

Es kamen jeweils 9.462 Teilnehmer in den Alirocumab- und den Plazebo-Arm. Die Verteilung der Risiken war in beiden Armen gleich: 64% Hypertoniker, 29% Diabetiker, 24% aktive Raucher. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 2,8 Jahre; eine 4-jährige NB liegt nur bei 1.282 Patienten vor (14%). In der Verum-Gruppe beendeten 14,2%, in der Plazebo-Gruppe 15,8% die Studie vorzeitig. Die häufigsten Gründe waren: “Andere“ (Arztentscheidung, Ausschluss durch das Studienzentrum, Wegzug, Rücknahme der Einwilligung, Kontaktabbruch), unzureichende Compliance mit dem Studienprotokoll und unerwünschte Ereignisse (UAE: 3,8% bzw. 3,6%).

Das durchschnittliche LDL-C betrug nach Intention to treat (ITT) nach 4, 12 und 48 Monaten mit Alirocumab 40, 48 und 66 mg/dl und mit Plazebo 93, 96 und 103 mg/dl. Alirocumab senkte gegenüber der konventionellen Therapie das LDL-C zusätzlich um 54-62%. Der Anstieg des LDL-C über 2 Jahre wird durch Studienabbrecher und Reduktion der Statin-Dosis durch die behandelnden Ärzte erklärt. Auch andere Lipoproteine wurden durch Alirocumab deutlich gesenkt: Apolipoprotein B: -50%; Lipoprotein(a): -25%; und TG: -13%. Über Non-Responder wird nichts berichtet.

Die klinischen Ergebnisse sind in Tab. 1 wiedergegeben. Der PEP wurde signifikant seltener mit Alirocumab erreicht, die absolute Risikoreduktion betrug jedoch nur 1,6% über 2,8 Jahre. Die hieraus berechnete Number Needed to Treat (NNT) beträgt 62,5 pro 2,8 Jahre bzw. 175 pro 1 Jahr. Der Unterschied zwischen den beiden Behandlungsarmen ist in den Kaplan-Meier-Kurven nur mit einer Lupe erkennbar. Die von den Autoren im Ergebnisteil vorgenommene 4-Jahres-Projektion nach Kaplan-Meier kommt dann zu einer NNT von 49. Das sind jedoch unzulässige Schätzungen, denn sie beruhen nur auf einem Bruchteil der eingeschlossenen Patienten. Vermutlich werden aber genau diese Werte bald in den Hochglanzbroschüren präsentiert.

Die Autoren schreiben, dass sich der Vorteil von Alirocumab in allen prädefinierten Subgruppen ergibt. Ein genauer Blick auf die Analysen zeigt jedoch, dass einige Subgruppen wie Asiaten (Hazard Ratio = HR: 1,14), Frauen (HR: 0,91), Westeuropäer (HR: 0,9) und Patienten, deren Indexereignis > 6 Monate zurücklag (HR: 0,9), keinen oder einen deutlich geringeren positiven Effekt haben und dass die Konfidenzintervalle zu weit sind, um von einem statistisch gesicherten Vorteil sprechen zu können. Bei Patienten mit einem Ausgangs-LDL-C von 80-100 mg/dl waren auffälligerweise sogar keine Effekte nachweisbar (HR: 0,96). Am meisten scheinen Patienten mit einem Ausgangs-LDL-C > 100 mg/dl zu profitieren (HR: 0,76) sowie Patienten aus Nordamerika (HR: 0,78) – wie übrigens auch schon in der FOURIER-Studie mit Evolocumab (5). Leider werden keine Informationen über die Korrelation zwischen den erreichten LDL-C-Werten und der Reduktion des Risikos gegeben. Das wäre wichtig, um die These „the lower the better“ zu entkräften.

Die Häufigkeit von UAE war in beiden Gruppen etwa gleich (s. Tab. 1), nur lokale Reaktionen an der Injektionsstelle waren bei Alirocumab häufiger (3,8% vs. 2,1%; p < 0,001). Diese führten jedoch nur bei 26 Patienten zum Studienabbruch. Neurokognitive Ereignisse oder ein neu aufgetretener Diabetes waren in beiden Gruppen gleich häufig, wobei für die Bewertung dieser wichtigen Sicherheitsendpunkte die 2,8-jährige NB bei Patienten im Alter um 60 Jahre viel zu kurz sein dürfte.

Diskussion: PCSK9-Hemmer scheinen bei Hochrisikopatienten mit suboptimalen LDL-C-Werten trotz intensivierter bzw. maximal tolerierter Statin-Dosis die Prognose minimal zu verbessern. Der Effekt, gemessen am Ausmaß der zusätzlichen LDL-C-Senkung (-54 bis -62%) ist enttäuschend gering und beträgt bei Westeuropäern gerade einmal -10% über 2,8 Jahre (relative Risikoreduktion). Ein günstiger Einfluss auf die kardiovaskuläre Letalität wurde nicht nachgewiesen, die Gesamtletalität sinkt nur geringfügig mit einer NNT von 166 über 2,8 Jahre Behandlung. Vieles ist zudem noch ungeklärt: Warum war in der ODYSSEY-OUTCOMES-Studie überhaupt kein Effekt bei Patienten mit einem Ausgangs-LDL-C von 80-100 mg/dl nachzuweisen? Wie können die teilweise erheblichen regionalen Unterschiede hinsichtlich der Wirksamkeit erklärt werden? Wie sieht wohl das Gesamtergebnis aus, wenn die chinesischen Patienten eine längere NB haben? Gibt es überhaupt noch einen messbaren Unterschied, wenn zusätzlich gegebener PCSK9-Hemmer nicht gegen Plazebo, sondern gegen zusätzliches Ezetimib getestet wird? Gilt der Marketing-Slogan „the lower the better“ tatsächlich für alle oder nur für nordamerikanische Männer mit weißer Hautfarbe, die 4 Wochen zuvor einen Myokardinfarkt hatten?

Auch die Langzeitsicherheit der PCSK-9-Hemmer ist weiterhin unklar. Die Befürchtung, dass kognitive Störungen und Diabetes auftreten, kann mit dieser Studie nicht ausgeräumt werden. Mit PCSK-9-Hemmern behandelte Patienten müssen daher unbedingt in Registern nachverfolgt werden.

Fazit: Die ODYSSEY OUTCOMES-Studie weist an knapp 19.000 Patienten mit einem bis zu einem Jahr zurückliegenden Akuten Koronarsyndrom statistisch signifikante, aber klinisch geringe Effekte nach durch eine zusätzliche Behandlung mit Alirocumab zur maximal tolerierten Statin-Dosis und LDL-C-Zielwerten von 25-50 mg/dl. In Relation zur erzielten zusätzlichen LDL-C-Senkung und zum hohen Preis der PCSK9-Hemmer sind die erzielten klinischen Effekte enttäuschend. Die kardiovaskuläre Letalität wird innerhalb von 2,8 Jahren Behandlung überhaupt nicht und die Gesamtletalität nur geringfügig verbessert (NNT: 166). Zudem scheinen bestimmte Subgruppen keinen (Patienten mit Ausgangs-LDL-C von 80-100 mg/dl, Asiaten) und andere kaum einen Nutzen von den extrem niedrigen LDL-C-Werten zu haben (Frauen, Westeuropäer). Da nach wie vor Daten zur Langzeitsicherheit dieser neuen Substanzgruppe fehlen, lässt sich die Nutzen-Risiko-Relation weiterhin nicht verlässlich beurteilen. Daher ist der von Fachverbänden geforderte „breite Zugang“ zu diesen Arzneimitteln nicht vertretbar.

Literatur

  1. Arzneiverordnung in der Praxis 2016, 43, 158. Link zur Quelle
  2. Schwartz, G.G., et al. (ODYSSEY OUTCOMES = Evaluation of cardiovascular outcomes after an acute coronary syndrome during treatment with alirocumab): N. Engl. J. Med. 2018, 379, 2097. Link zur Quelle
  3. AMB 2017, 51, 72DB01 Link zur Quelle . AMB 2016, 50, 48 Link zur Quelle . AMB 2015, 49, 30 Link zur Quelle . AMB 2015, 49, 88DB01. Link zur Quelle
  4. Einecke, D.: Webseite der DGK und BNK (11.3.2018). Link zur Quelle (Zugriff am 28.11.2018).
  5. Sabatine, M.S., et al. (FOURIER = Further cardiovascular OUtcomes Research with PCSK9 Inhibition in subjects with Elevated Risk): N. Engl. J. Med. 2017, 376, 1713. Link zur Quelle Vgl. AMB 2018, 52, 08 Link zur Quelle . AMB 2017, 51, 33. Link zur Quelle

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