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Primärprävention des Plötzlichen Herztods mit dem implantierbaren Kardioverter/Defibrillator

Zusammenfassung: Die Implantation eines automatischen Kardioverters/Defibrillators (ICD) zur sekundären Prophylaxe nach Kammerflimmern und bedrohlichen Kammertachykardien bei Patienten mit Koronarer Herzkrankheit ist ein gesichertes Verfahren. Auch für die primäre Prophylaxe – also bei Hochrisikopatienten, die noch keinen Herzstillstand erlitten haben – gibt es gute Evidenz für einen Nutzen. Eine neuere Untersuchung läßt nun vermuten, daß alle Patienten mit Zustand nach Myokardinfarkt und einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (EF) < 30% Nutzen von einem ICD haben. Diese Meinung ist rasch in die entsprechende Leitlinie der European Society of Cardiology aufgenommen worden. Gegen diese Bewertung gibt es jedoch erhebliche wissenschaftliche Bedenken. Sie wurden nicht berücksichtigt, als die Indikation für diese eingreifende und teure Operation erweitert wurde.

Es ist allgemein akzeptiert und durch mehrere Studien belegt, daß der ICD einer medikamentösen Therapie bei Patienten mit überlebtem Herz-Kreislauf-Stillstand und/oder anhaltenden Kammertachykardien überlegen ist (Sekundärprävention; 1-3). In den letzten Jahren wurden vier große Studien zu der Frage durchgeführt, ob der ICD anderen Therapieoptionen auch zur Primärprävention des PHT nach Myokardinfarkt überlegen ist. Die Studienergebnisse haben unmittelbar Eingang in die Therapieleitlinien der European Society of Cardiology gefunden. Die Indikation zur prophylaktischen Behandlung aller Patienten nach akutem Myokardinfarkt und mit einer EF < 30% ist dort mit einem hohen Grad an Evidenz bewertet worden. Allerdings ist der Stellenwert, der den einzelnen Studien beigemessen wurde, nur schwer nachzuvollziehen (4, 5).

In der folgenden Übersicht soll die Frage analysiert werden, in wie weit die ICD-Studien zur Primärprävention des Plötzlichen Herztods (PHT) die Therapie von Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Funktion auf dem Boden einer koronaren Herzkrankheit beeinflussen. Da die Studien zur Primärprävention des PHT im Design verschieden sind, sollen sie kurz dargestellt werden.

MADIT-Studie (6): Patienten qualifizierten sich für diese Studie, wenn sie eine EF < 35% hatten und im Langzeit-EKG nicht anhaltende Kammertachykardien dokumentiert werden konnten. Ein Myokardinfarkt mußte mindestens drei Wochen zurückliegen. Die Patienten wurden dann einer programmierten Kammerstimulation unterzogen. Waren dabei anhaltende Kammertachykardien oder Kammerflimmern zu induzieren, wurde versucht, ob das Auslösen dieser Arrhythmien durch Procainamid supprimierbar war. Konnten sie nicht supprimiert werden, stand der Patient potentiell für die Studie zur Verfügung. Randomisiert wurden insgesamt 196 Patienten, 95 Patienten zum ICD-Arm, 101 Patienten zum medikamentösen Arm. Im medikamentösen Arm wurde primär mit Amiodaron (Cordarex u.a.) behandelt. Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, da die Patienten im ICD-Arm einen deutlichen Überlebensvorteil hatten.

MADIT-II-Studie (7): Patienten qualifizierten sich für diese Studie, wenn sie eine EF < 30% und zumindest zu Beginn der Studie nicht anhaltende Kammertachykardien im Langzeit-EKG hatten. Später wurde dieses Kriterium jedoch nicht mehr angewendet, so daß alle Patienten mit Koronarer Herzkrankheit und EF < 30%, bei denen ein Myokardinfarkt mindestens einen Monat zurücklag, in die Studie eingeschlossen wurden. Die Studie wurde ebenfalls vorzeitig abgebrochen, nachdem sich zeigte, daß im medikamentös behandelten Arm signifikant mehr Patienten gestorben waren als im ICD-Arm.

CABG-Patch-Studie (8): In diese Studie wurden Patienten eingeschlossen, die eine EF < 40% und Spätpotentiale im signalgemittelten EKG hatten. Eine Bypass-Operation mußte bei diesen Patienten geplant sein. Die Patienten wurden intraoperativ randomisiert zum alleinigen bypasschirurgischen Eingriff oder zur zusätzlichen Implantation eines ICD. Während der Nachbeobachtung konnte kein Unterschied in der Letalität in beiden Gruppen festgestellt werden.

MUSTT-Studie (9): Ziel dieser Studie war es, zu untersuchen, ob eine elektrophysiologisch geführte antiarrhythmische Therapie der medikamentösen Standardtherapie bei Patienten mit Koronarer Herzkrankheit, eingeschränkter Pumpfunktion und nicht anhaltenden Kammertachykardien überlegen ist. Insgesamt konnte gezeigt werden, daß eine elektrophysiologisch kontrollierte Therapie einer Standardtherapie überlegen ist. Bei genauerer Analyse der elektrophysiologisch kontrollierten Therapiegruppe zeigte sich jedoch, daß der Effekt allein bei den Patienten mit ICD zu finden war. Die medikamentös eingestellten Patienten hatten keine bessere Prognose als die Patienten, die ohne elektrophysiologische Diagnostik eine Standardtherapie erhielten. Allerdings wurde in MUSTT nicht der Wert einer prophylaktischen ICD-Implantation untersucht, denn die Patienten im Elektrophysiologie-Arm wurden nicht randomisiert einer ICD-Therapie zugeteilt. Die Studie ist daher auch nicht geeignet, die Frage nach dem potentiellen Nutzen des ICD in der Primärprävention des PHT zu beantworten. Als Hinweis auf zusätzliche und vom Studienprotokoll nicht erfaßte Auswahlkriterien für die Implantation eines ICD kann der Befund interpretiert werden, daß die ICD-Implantation nicht nur die Zahl der Fälle des PHT, sondern auch die Letalität anderer Genese gesenkt hat.

Zusammenfassend konnten die MADIT-, MADIT-II- und MUSTT-Studien mit den erwähnten Einschränkungen zeigen, daß zur Primärprävention des PHT der ICD einer medikamentösen Therapie überlegen ist. Die CABG-Patch-Studie hat dagegen keinen Effekt des ICD auf die Gesamtletalität gefunden. Um diese Unterschiede besser verstehen zu können, ist eine differenzierte Analyse wichtiger Studienaspekte notwendig.

Unklare Studienpopulation: Die Population, aus der die Studienpatienten rekrutiert wurden, sind bei der MADIT-, MADIT-II- und der MUSTT-Studie unbekannt. Von der CABG-Patch-Studie ist bekannt, daß 21% der Gesamtpopulation (n = 1422) die Studienkriterien erfüllt haben. Die Population, aus der die Studienpatienten rekrutiert wurden, ist aber von enormer Bedeutung. Möglicherweise ist nur ein geringer Anteil der Patienten, welche die Einschlußkriterien erfüllt haben, auch tatsächlich in die Studie eingeschlossen worden, und möglicherweise haben die Studienzentren weitere, nicht im Protokoll enthaltene Kriterien für die Auswahl der Patienten angelegt. Die in der Studie gewonnenen Ergebnisse und Schlußfolgerungen könnten in diesem Fall nicht mehr auf die im Studienprotokoll beschriebene Patientenpopulation übertragen werden. Außerdem hängt die klinische Relevanz der Studien wesentlich davon ab, wie hoch der Anteil von Patienten nach Myokardinfarkt ist, die von einer prophylaktischen ICD-Implantation profitieren. Diese wichtigen Fragen sind für beide MADIT- und die MUSTT-Studie nicht beantwortet. Für eine über die Einschlußkriterien hinausgehende Selektion der Studienpopulation in der MADIT-Studie spricht z.B. die mittlere Länge der Salven mit 9±10 Schlägen (Kontroll-Gruppe) bzw. 10±9 Schlägen (ICD-Gruppe) und die sehr lange Rekrutierungszeit von > 5 Jahren in 32 Zentren, d.h., pro Zentrum wurde pro Jahr nur etwas mehr als ein Patient randomisiert!

Probleme der Begleittherapie: Betablocker, ACE-Hemmer und Statine verbessern die Prognose nach Myokardinfarkt (10-18). Gerade in der MADIT-Studie besteht ein auffälliges Ungleichgewicht im Einsatz dieser Medikamente in den Vergleichsgruppen. Betablocker wurden bei 27% der Patienten im ICD-Arm, aber nur bei 5% der Patienten im Kontroll-Arm verwendet; ACE-Hemmer wurden ebenfalls seltener im Kontroll-Arm eingesetzt (57% vs. 51%). Hingegen wurde Sotalol (Sotalex u.v.a.), ein Betablocker mit relevantem proarrhythmogenem Risiko (19), häufiger im Kontroll-Arm (9%) als im ICD-Arm (4%) verwendet. Die ”bessere” medikamentöse Therapie in der ICD-Gruppe spiegelt sich auch in den Todesursachen wieder. Die Zahl der Patienten, die einen PHT erlitten, wurde erwartungsgemäß durch den ICD reduziert. Genau so groß war jedoch der Unterschied in der Letalität der Patienten, die aus nicht rhythmogenen Gründen kardial starben. Die Daten der MADIT-Studie sind also unter dem Gesichtspunkt der unzureichenden medikamentösen Behandlung der zugrunde liegenden Herzkrankheit schwierig zu beurteilen. Ob sich aus der MADIT-Studie eine Klasse-I-Indikation für die prophylaktische ICD-Implantation ablesen läßt, erscheint fraglich. Auch in der CABG-Patch-Studie gab es eine ungleiche Verteilung der Medikamente.

Ischämie und PHT: Mehrere Untersuchungen belegen, daß bei ca. 50% aller Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand akute Koronarverschlüsse bestehen (20-22). Bei der Prävention des PHT kommt daher dem Vermeiden koronarer Ischämien große Bedeutung zu. Wiederholt konnte gezeigt werden, daß gerade bei Patienten mit eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion eine aortokoronare Bypass-Operation das Risiko für den PHT wesentlich senkt (23-25). In ICD-Studien wurde ebenfalls gefunden, daß die Wahrscheinlichkeit für einen ICD-Schock, bedingt durch eine anhaltende ventrikuläre Tachyarrhythmie, durch eine vorausgegangene aortokoronare Bypass-Operation deutlich gesenkt werden kann (26). Auch die Post-hoc-Analyse der AVID-Daten zeigt, daß eine Revaskularisation prognostisch günstig ist (27).

Im Zusammenhang mit den oben zitierten Studien können die Daten von CABG Patch folgendermaßen interpretiert werden: Die aortokoronare Bypass-Operation reduziert die Gesamtletalität so stark, daß eine zusätzliche ICD-Implantation, die nur das Risiko des PHT senken kann, die Gesamtletalität nicht mehr beeinflußt. Eine Analyse der Todesursachen in der CABG-Patch-Studie unterstützt diese Interpretation. Die ICD-Therapie senkt das Risiko für den PHT signifikant; gleichzeitig ist aber das Risiko für einen nicht-plötzlichen kardialen Tod erhöht, so daß prognostisch mit der zusätzlichen ICD-Implantation kein Gewinn erzielt wird (28). Eine wesentliche Frage zum Verständnis der MADIT-II-Daten ist, wie zum Zeitpunkt des Patienteneinschlusses eine Ischämie ausgeschlossen und wie mit neu aufgetretenen ischämischen Ereignissen umgegangen wurde. Hierzu fehlen leider die Daten. Da eine aortokoronare Bypass-Operation die Letalität gerade bei Patienten mit stark eingeschränkter linksventrikulärer Pumpfunktion senkt, kommt eine ICD-Implantation eigentlich nur bei den Patienten in Frage, die ausreichend koronar revaskularisiert sind oder nicht revaskularisiert werden können und eine stark eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion haben.

Möglicher Stellenwert der programmierten Kammerstimulation: Während in der MADIT-Studie drei Patienten einen ICD erhalten mußten, um einen Todesfall zu vermeiden, waren dies in der MADIT-II-Studie zehn Patienten, d.h. je unspezifischer das Eingangskriterium bei der Patientenselektion gewählt wird, umso mehr Patienten müssen behandelt werden, um einen Therapieeffekt zu erzielen. Die Selektion der Patienten erfolgte in MADIT anhand der programmierten Stimulation. Eine Subgruppen-Analyse der MUSTT-Daten weist ebenfalls darauf hin, daß Patienten mit induzierbaren ventrikulären Tachyarrhythmien ein höheres Risiko haben, an Herzrhythmusstörungen zu sterben (29).

Schlußfolgerung: Muß jeder Patient mit einer linksventrikulären EF < 30% einen ICD erhalten? Die MADIT-II-Daten scheinen ein solches Vorgehen zu stützen. Man sollte sich jedoch im Klaren sein, daß dann viele Patienten unnötigerweise einen ICD erhalten. Eine Patientenauswahl, die auch andere Parameter berücksichtigt und somit die Zahl unnötiger ICD-Implantationen senkt, erscheint bei den methodischen Schwächen der Studien angebracht. Dazu gehört z.B. eine optimale Ischämiediagnostik. Eine weitere Präzisierung der Indikation könnte über die programmierte Kammerstimulation erfolgen. Auch wegen der Morbidität, die mit einer ICD-Implantation verbunden ist, erscheint eine sehr breite Indikation für diese Therapie unverändert problematisch.

Leider wird in Studien das Verhältnis von Kosten zu Nutzen solcher Prophylaxen nicht eingehend genug untersucht. Häufig wird auch die Meinung vertreten, um solche Fragen hätten sich Ärzte nicht zu kümmern. Aber wer soll denn wie entscheiden, wofür das Geld im Gesundheitswesen ausgegeben wird, wenn sich die Ärzte davor drücken, Stellung zu nehmen. Nach unserer Meinung ist es keineswegs unethisch, sondern sogar ethisch zwingend geboten, auch ökonomische Aspekte vergleichend zu bedenken. Ein fachübergreifender Konsens sollte eigentlich möglich sein.

Literatur

  1. AVID = Antiarrhythmics Versus Implantable Defibrillator study: N. Engl. J. Med. 1997, 337, 1576; s.a. AMB 2001, 35, 57.
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