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Können therapeutische Ergebnisse großer internationaler Arzneimittelstudien auf Patienten in Mitteleuropa übertragen werden?

Zusammenfassung: Therapieempfehlungen orientieren sich zunehmend an den Ergebnissen der von pharmazeutischen Unternehmern (pU) finanzierten, internationalen, multizentrischen Studien. Am Beispiel neuerer Antidiabetika und des direkten oralen Antikoagulanz (DOAK) Apixaban lassen sich die Schwächen solcher Studien erkennen. Die Ergebnisse können nur eingeschränkt auf unsere Patienten übertragen werden, denn es gab starke regionale Unterschiede bei den Studienteilnehmern sowie bei den Studienergebnissen. Die statistische Signifikanz wird in den Studien mit Hilfe hoher Fallzahlen, meist in Kombination mit für die pU vorteilhaft erscheinenden zusammengesetzten Endpunkten und kurzen Laufzeiten erreicht. Außerdem bestehen eine erhebliche Abhängigkeit von den pU, eine hohe Fehleranfälligkeit (verschiedene Formen des Bias) und eine beträchtliche Manipulationsgefahr. Die Food and Drug Administration (FDA) konnte als US-amerikanische Aufsichtsbehörde in einzelnen Studienzentren Betrug nachweisen. Er wurde aber nicht regelhaft öffentlich gemacht. Da er zudem in der Publikation nicht mitgeteilt werden muss, besteht die Möglichkeit, dass verzerrte Ergebnisse publiziert werden.

Zulassungs- und Sicherheitsstudien für neue Medikamente werden in der Regel von den pU bezahlt, die auch maßgeblich die Studien gestalten sowie die Darstellung und Interpretation der Ergebnisse steuern (27). Durch industrienahe Meinungsbildner („key opinion leader“; vgl. 26) und gesponserte Fortbildungen gewinnen die pU die Deutungshoheit über ihre Studienergebnisse, sorgen für ihre Verankerung im Versorgungsalltag und sichern sich gute Verkaufszahlen.

Allein in Deutschland belegten 2019 Antithrombotika mit Nettokosten von 2,64 Mrd. € und Antidiabetika mit 2,60 Mrd. € die Plätze 3 und 4 der umsatzstärksten Arzneimittelgruppen nach Onkologika und Immunsuppressiva (1). Wie von uns 2017 thematisiert (2) hat sich (die Unart) durchgesetzt, dass randomisierte, kontrollierte Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Medikaments (z.B. DOAK, Antidiabetika, Cholesterinsenker, Onkologika) in vielen Studienzentren weltweit durchgeführt werden (s. Tab. 1). Das ist einerseits verständlich, da der Nachweis einer positiven therapeutischen Beeinflussung häufiger Zivilisationskrankheiten und Risikofaktoren sehr große Patientenzahlen erfordert. Nur so kann ein eventuell günstiger Therapieeffekt statistisch gesichert werden. Ob dieser dann auch klinisch relevant ist, bleibt kritisch abzuwägen. Andererseits führt eine Streuung der Patienten über viele Zentren, Ethnien und Gesundheitssysteme auch vermehrt zu Störfaktoren (Confounders), deren Bedeutung nach unserer Einschätzung noch unzureichend untersucht ist.

Müssen aber – außer vielleicht aus Gründern des Marketings oder der regionalen Zulassung – Studienteilnehmer weltweit in oft sehr kleinen Zentren rekrutiert und dadurch große geographische Unterschiede riskiert werden? Macht es Sinn, wenn beispielsweise in der Zulassungsstudie für Apixaban 3 Studienzentren in der Türkei mit insgesamt 6 Patienten vertreten sind (3)? Ein solches Vorgehen ist doch nur bei seltenen Erkrankungen zu rechtfertigen, wenn Alternativen fehlen, ausreichend Patienten zu rekrutieren.

Ein Vergleich statistisch unbearbeiteter, nicht adjustierter Rohdaten aus verschiedenen Studienzentren ist bei geringen Patientenzahlen nicht sinnvoll, und das gleiche gilt bei kleinteiliger Aufsplitterung auch für Ländervergleiche. Hier ist von verzerrenden Zufallseffekten auszugehen (4). Diese können in erheblichen regionalen Unterschieden begründet sein, z.B. bei den Patienten selbst (Genetik, Risikofaktoren), der Art und Weise der Behandlung, dem Zugang zum Gesundheitssystem, der Finanzierung der Leistungen, der Ausstattung und dem Training der Behandelnden oder der Erfassung und Dokumentation der Endpunktdaten. Daher sollten die Studienzentren in Ländern mit den größten Fallzahlen die geringsten Abweichungen vom jeweiligen nationalen Mittelwert haben, wenn es um Plausibilität und Verlässlichkeit geht.

Kontinentale Unterschiede bei den Ergebnissen großer Medikamentenstudien sind lange bekannt und letztlich offen für jegliche Interpretation. Wir haben beispielsweise über Ergebnisse der PLATO-Studie (Ticagrelor beim akuten Koronarsyndrom; 5) und der FOURIER-Studie (PCSK9-Hemmer Evolocumab bei koronarer Herzkrankheit; 6) berichtet. Bei der PLATO-Studie fand sich ein signifikanter Effekt in Europa, in Amerika dagegen nicht, in der FOURIER-Studie war es genau umgekehrt. Es muss nach Gründen für diese Unterschiede gesucht werden. Sie sind möglicherweise in genetischen Unterschieden der Studienteilnehmer, ihrem medizinischen, sozialen oder kulturellen Hintergrund oder im jeweiligen Gesundheitssystem zu finden. Ob also ein informierter europäischer Patient den Interpretationen der so gewonnenen Studienergebnisse für seine individuelle Therapieentscheidung folgen sollte, ist unsicher.

Übertragbarkeit von Studienergebnissen auf Patienten im Praxisalltag (Beispiel SGLT-2-Inhibitoren bei Diabetes mellitus): Schnell stellte sich heraus, dass die Gliflozine durch die erzeugte Glukosurie nicht nur den Blutzucker senken, sondern auch diuretisch wirken, ein oft günstiger Effekt bei Herzinsuffizienz. Die Sicherheitsstudien zu Empagliflozin (7), Canagliflozin (8) und Dapagliflozin (9, 10) verliefen zeitversetzt mit medianen Beobachtungszeiten zwischen 3,1 und 4,2 Jahren. Da der zuerst getestete Wirkstoff Empagliflozin auch gute Wirkung bei Herzinsuffizienz zeigte, wurde während der bereits laufenden Studie für das dritte Präparat Dapagliflozin der Studienendpunkt diesbezüglich angepasst, d.h. während eines laufenden Rennens wurde das Ziel verschoben – kein „faires sportliches Vorgehen“.

Empagliflozin wird in Deutschland beworben mit „38% relative Reduktion der kardiovaskulären Mortalität“ (28). Der eigentliche primäre Studienendpunkt war dies jedoch nicht, sondern eine Kombination aus nicht-tödlichem Myokardinfarkt, nicht-tödlichem Schlaganfall und kardiovaskulärem Tod. Die EMPA-REG-Studie wurde an 590 Zentren in 42 Ländern durchgeführt, das heißt mit durchschnittlich ca. 12 Patienten pro Studienzentrum (n = 7.020; vgl. Tab. 1). Für den primären Endpunkt ergab sich nur eine knappe Überlegenheit von Empagliflozin gegenüber Plazebo (Hazard Ratio = HR: 0,86; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,74-0,99; p = 0,04 für Überlegenheit). In Europa zeigte sich beim primären Endpunkt jedoch kein Vorteil (HR: 1,02; CI: 0,81-1,28). Auch war die in Deutschland beworbene deutliche Senkung der kardiovaskulären Mortalität bei den europäischen Teilnehmern nicht gegeben (HR: 0,72; CI: 0,51-1,01), dagegen bei den asiatischen sehr ausgeprägt (HR: 0,35; CI: 0,19-0,65). Kommuniziert wird vornehmlich aber nur das gemittelte weltweite Gesamtergebnis. Kritik an der undifferenzierten Darstellung der kardiovaskulären Todesfälle gab es schon bald nach der Veröffentlichung der EMPA-REG-Studie (29). Problematisch ist auch, dass insgesamt 590 Zentrumsleiter die Vorerkrankungen der eingeschlossenen Teilnehmer definieren mussten, was zu einer uneinheitlichen Klassifizierung der Patientengruppen geführt haben dürfte. So hatten zum Beispiel 95% der Patienten in der EMPA-REG-Studie eine antihypertensive Therapie, aber 56% kein Diuretikum und in den drei Sicherheitsstudien zu SGLT-2-Inhibitoren unterschied sich die Zahl kardiovaskulärer Todesfälle in den Plazebogruppen um den Faktor zwei (9).

Beispiel GLP-1-Rezeptor-Agonist Liraglutid (LEADER-Studie): Diese Sicherheitsstudie (Liraglutid oder Plazebo bei Patienten mit Typ-2-Diabetes zusätzlich zur Standardtherapie) wurde in 410 Studienzentren in 32 Ländern durchgeführt, das heißt durchschnittlich ca. 23 Patienten pro Zentrum bei einer medianen Beobachtungszeit von 3,8 Jahren (11). Das Studienergebnis wird – verkürzt – folgendermaßen kommentiert: „Substanz, für die eine Senkung der Sterblichkeit nachgewiesen worden ist“. Hier einige absolute Zahlen der Studienergebnisse: Der Unterschied in der Gesamtmortalität zwischen der Liraglutid- und der Plazebogruppe beträgt gerade einmal 66 Patienten bei einer Gesamtzahl von 9.340. Dabei wurden insgesamt 299 Patienten nicht ausgewertet. Es gab in der Liraglutid-Gruppe aufgrund von Nebenwirkungen 105 Studienabbrecher mehr, außerdem traten 8 gesicherte Pankreaskarzinome und 55 akute Gallenblasenentzündungen mehr auf. Diese schlechtere Verträglichkeit sollte klar benannt werden, denn für Patienten ist bei der Auswahl medikamentöser Behandlungsoptionen das Nebenwirkungsrisiko häufig ausschlaggebend (15).

Auch in der LEADER-Studie hatten die beteiligten Zentren sehr unterschiedliche Patientencharakteristika. So unterschieden sich die Studienteilnehmer Westeuropas erheblich von denen Osteuropas oder Russlands (16). Außerdem hatten < 10% der europäischen Teilnehmer bei Studieneinschluss die Zielvorgaben für die Einstellung von Blutzucker, Blutdruck und Blutfetten erreicht. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) spricht, bezogen auf die Gesamtergebnisse, von zusätzlichen erheblichen Einschränkungen hinsichtlich der Aussagekraft dieser Studie, u.a. aus folgendem Grund (17): Blutzucker- und Blutdrucksenkung waren in der Liraglutid-Gruppe deutlich stärker und somit auch die Behandlungsqualität.

Anmerkung zu den Gliptinen: In den letzten Jahren nahmen die Verordnungszahlen der systematisch kritisierten Sulfonylharnstoffe zu Gunsten der neueren Gliptine ab, angeblich wegen ihrer Vorteile. Erst jetzt, da Generika der Gliptine bald verfügbar sind und die Zeit der großen Gewinnmargen vorbei ist, zeigt eine internationale Vergleichsstudie mit den Ergebnissen von 607 Studienzentren in 43 Nationen und im Schnitt 10 Teilnehmern pro Zentrum keine Vorteile von Linagliptin gegenüber dem Sulfonylharnstoff Glimepirid (12).

Hohe Manipulationsgefahr am Beispiel des DOAK Apixaban: Auch die aufwendige, randomisierte, doppelblinde Zulassungsstudie ARISTOTLE (Apixaban bei Patienten mit Vorhofflimmern) mit einer medianen Beobachtungsphase von 1,8 Jahren ist von den pU finanziert und geplant worden (3). Sie wurde mit über 18.000 Probanden in 1.034 Studienzentren verteilt auf 39 Länder durchgeführt. Warum 45 Zentren nur einen Probanden und 138 Zentren maximal drei hatten, ist unverständlich. Hinzu kommen Mängel bei der Durchführung der Studie. Bei den ersten 5.000 Probanden sollte jede zweite Studienakte von den Organisatoren kontrolliert werden, daran anschließend nur jede fünfte. Bei maximal 8% der Medikamenteneinnahmen kam es zur Verwechslung der Prüfsubstanzen (18, 19, 20), und durch ein Rubbeletikett auf den Verpackungen der Medikamente war eine Entblindung für das Studienpersonal leicht möglich.

Ist eine generelle Skepsis gegenüber einer korrekten Studiendurchführung durch diese Tatsachen berechtigt? Die FDA hat bei 8 von 1.034 Studienzentren (das entspricht 0,77% der Studienzentren) zuvor angekündigte Kontrollbesuche durchgeführt. Bei einem dieser 8 Zentren in China mit 35 Probanden wurde ein schwerwiegender Betrugsverdacht geäußert. Würde, wie von der FDA gefordert, dieses Zentrum bei der Endauswertung der Studie nicht berücksichtigt, gäbe es bei der Sterblichkeit keinen Vorteil mehr für Apixaban gegenüber Warfarin (20). Die FDA forderte auch, die 24 chinesischen Studienzentren von der Gesamtauswertung auszuschließen, die von der gleichen Aufsichtsperson überwacht wurden wie das unter Betrugsverdacht stehende Zentrum. Wie schon in ähnlich gelagerten Fällen bei anderen Studien teilte die FDA ihre Bedenken und Forderungen zwar der Studienleitung mit (20), nicht aber der Öffentlichkeit. Letztlich gingen alle Studienzentren weiterhin in die Endauswertung ein. In der Präsentation der Studienergebnisse sowie in ihren Folgeauswertungen wurden diese Manipulationen nicht erwähnt. Die unkorrigierten Ergebnisse haben sogar Eingang in Leitlinien und bis 2017 in 22 Metaanalysen gefunden. Zehn dieser Metaanalysen hätten nach Ausschluss dieser Endauswertung zu anderen Ergebnissen geführt (21). Auch die Gutachter des IQWiG wussten bei ihrer Bewertung der Studienergebnisse nichts von den Vorwürfen (22), da sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht öffentlich bekannt waren.

Wie in fast allen dieser großen, weltweiten Studien mit DOAK fielen die Ergebnisse auch in ARISTOTLE regional sehr unterschiedlich aus. Der zusammengesetzte primäre Endpunkt aus ischämischem und hämorrhagischem Insult oder einer arteriellen Embolie trat bei den 7.343 Patienten aus Europa bei 75 Patienten unter Apixaban gegenüber 77 Patienten unter Warfarin ein. Nur in Asien bestand ein signifikanter Unterschied im primären Endpunkt zugunsten von Apixaban. Nach Ausschluss von 35 Patienten eines betrügerischen chinesischen Studienzentrums wäre der Vorteil von Apixaban hinsichtlich der Reduktion der Mortalität nicht mehr gegeben. Über 2.000 Patienten in jedem Studienarm, also mehr als ein Viertel aller Teilnehmer, setzten die Studienmedikation vorzeitig ab. Ob bzw. wie viele dieser Patienten am Ende der Studie noch lebten, war bei 180 Teilnehmern der Apixaban-Gruppe und bei 200 Teilnehmern der Warfarin-Gruppe nicht bekannt.

Weitere Fakten laden zu Spekulationen ein: Fast 10% der Studienteilnehmer wurden in Russland und 5% in der Ukraine untersucht. Im Jahr 2011, dem Jahr der Studienveröffentlichung, lag Russland mit 2,4 Punkten auf Platz 143 von 182 Ländern im Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) von „Transparency International“ und die Ukraine auf Platz 152 (zum Vergleich: Neuseeland lag mit 9,5 Punkten auf Platz 1, Deutschland mit 8,0 Punkten auf Platz 14; 23).

Der durchschnittliche CPI aller Teilnehmerländer, anteilig zu den eingeschlossenen Probanden, beträgt 5,4 Punkte. Über ein Viertel der teilnehmenden Probanden wurde an Testzentren in Ländern mit hoher wahrgenommener Korruption ausgewertet (CPI ≤ 3). Das sind meist arme Länder mit schlechtem Bildungsstandard und hohen (finanziellen) Zugangshürden zu Gesundheitseinrichtungen. Probanden sind hier leichter zu rekrutieren, da die Studienmedikation kostenfrei ist und die Akzeptanzschwelle, in eine juristisch und datenschutzrechtlich korrekte Patientenaufklärung einzuwilligen, wahrscheinlich niedriger liegt. Denkbar ist auch, dass Nebenwirkungen weniger wahrgenommen und berichtet werden oder dass die Studienmedikamente unter den herrschenden Armutsbedingungen auch an andere Familienmitglieder verteilt werden.

Wie wir 2017 berichtet haben (2), könnten Unregelmäßigkeiten auf Patientenebene auch das Ergebnis der TOPCAT-Studie (Wirksamkeit von Spironolacton bei Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion) beeinflusst haben (24, 25). Hier zeigte sich bei den Studienteilnehmern Nord- und Südamerikas eine signifikante Reduktion des kombinierten primären Endpunkts (kardiovaskulärer Tod, verhinderter Herzstillstand und Krankenhausaufnahme wegen Herzinsuffizienz), nicht jedoch bei den Teilnehmern aus Russland und Georgien. Dabei wurden offenbar nicht nur die Einschlusskriterien auf den beiden Kontinenten unterschiedlich interpretiert, sondern es unterschied sich auch die Adhärenz zur Studienmedikation. Eine Teilnehmerbefragung während der Studie ergab, dass sich der Anteil der Probanden, die zugaben, ihre Studienmedikation nicht eingenommen zu haben, zwischen den USA und Kanada im Vergleich zu Russland zwar nur geringfügig unterschied. In einer Stichprobe von Teilnehmern, die beteuert hatten, die Studienmedikation korrekt eingenommen zu haben, waren in Russland jedoch zehnmal häufiger (30% gegenüber 3%) keine Abbauprodukte des Spironolactons im Serum nachweisbar als in den USA und Kanada (25).

Statistische Korrekturmöglichkeiten: Manipulationen und Fehler auf Zentrumsebene lassen sich weitgehend vermeiden, wenn Ein- und Ausschlusskriterien exakt definiert sind, eine zentrale Randomisierung mit gleicher Verteilung zu Interventions- bzw. Kontroll-Gruppe pro Zentrum stattfindet, eine Mindestzahl von Probanden pro Zentrum vorgegeben und ein engmaschiges Monitoring der Zentren vorgenommen wird. Dies ist aber, wie ausgeführt, leider nicht immer der Fall. Bei der Datenauswertung durch die Studienleitung müssen bedeutsame Unterschiede zwischen den teilnehmenden Zentren analysiert werden. Dies lässt sich nicht nur an der Zahl der eingeschlossenen Patienten, sondern auch an der Zahl der erreichten Endpunkte pro Zentrum oder der Zahl vorzeitig ausgeschlossener oder „verlorengegangener“ Patienten erkennen. Dabei kann die Abweichung vom Mittelwert vergleichbarer Zentren oder vom erwarteten Ergebnis des Zentrums verwendet werden. Zentren mit auffälligen, unerklärlichen Ergebnissen können rückwirkend ausgeschlossen werden und/oder die Abweichungen der Sensitivitätsanalyse müssen berücksichtigt oder zumindest berichtet werden („adjustment for centre-effects“). Solch eine Adjustierung an zentrumsspezifische Effekte ist jedoch kompliziert. Häufig verwendete statistische Methoden umfassen Regressionsmodelle für fixierte oder für Zufallseffekte (fixed- oder random-effects regression models), generalisierte Schätzgleichungen (GEE), Mantel-Haenszel-Modell für binäre Ergebnisse und Cox-Regressionen (stratified Cox model) für die Zeit bis zum Endpunktereignis. Bei jedem dieser Tests kann das Ergebnis anders ausfallen. Daher sollte der jeweils angewendete Test in einem „Statistical Analysis Plan“ (SAP) prädefiniert und publiziert werden, um ein „Herumspielen“ am Ergebnis zu vermeiden.

Zwei Biostatistiker und Epidemiologen aus London und Philadelphia haben 2015 untersucht, wie häufig derartige Korrekturanalysen in Multizenterstudien angewendet werden (30). Dabei zeigte sich, dass in 28 der 206 untersuchten Studien gar keine Angaben über die Zahl der teilnehmenden Zentren gemacht wurden. Bei den übrigen 178 Studien betrug die mediane Zahl der teilnehmenden Zentren 20 (IQR: 8-70), und bei 30% waren > 50 Zentren beteiligt. Die Zahl der Patienten pro Zentrum betrug im Median 20, bei 27% der Studien lag der Median < 10 und bei 7% sogar < 5.

Weniger als ein Drittel (29%) der Studien berichtete über statistische Korrekturen hinsichtlich zentrumsspezifischer Effekte. Die Autoren sind davon überzeugt, dass bei konsequenter Anwendung solcher Tests (Random-Effects-Modelle und GEE) in vielen Studien andere Schlussfolgerungen hätten gezogen werden müssen.

Es bestehen aus unserer Sicht zu Recht erhebliche Zweifel, ob Ergebnisse, die aus von pU finanzierten multinationalen, mitunter auch multikontinentalen Studien mit teilweise sehr kleinen Studienzentren gewonnen werden, auf unsere Patienten in Mitteleuropa uneingeschränkt übertragbar sind, selbst wenn die Studien aufwändig randomisiert und doppelt verblindet sind. Die „principal investigators“ und die Gutachter solcher Studien müssen künftig viel mehr als bisher auf zentrumsspezifische Effekte bzw. Verzerrungen achten. Das unkritische Verbreiten derartig ungeprüfter Studienergebnisse durch Meinungsbildner mit Interessenkonflikten (vgl. 26) und die ebenso unkritische Berücksichtigung in Therapieleitlinien bergen die Gefahr von Fehlern und einer Therapie, die nicht der tatsächlich vorliegenden Evidenz für Wirksamkeit und Sicherheit bei neuen Arzneimitteln entspricht. Regelmäßig unter Einzelaspekten erscheinende Folgeauswertungen der so gewonnenen Studiendaten halten zwar das Thema im Bewusstsein der medizinischen Experten, machen aber die Datenbasis nicht verlässlicher. Eine von den ökonomischen Interessen der pU unabhängige Beweisführung über die Wirksamkeit und Sicherheit neuer Medikamente ist überfällig.

Literatur

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