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Leserbrief: Neue orale Antikoagulanzien oder Vitamin-K-Antagonisten?

Prof. Dr. E.F. aus P. schreibt (stark gekürzt): >> Die Ergebnisse der Metaanalyse von C.T. Ruff et al. (1) zur Verordnung der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) bei Vorhofflimmern werden in Tab. 3 Ihres Artikels (2) hervorragend in die Praxis übersetzt. Daneben sollte aber auch die 2012 publizierte Metaanalyse von C.S. Miller et al. (3) berücksichtigt werden. Sie enthält nämlich eine wichtige Zusatzinformation: die Rate der Therapieabbrüche bei Behandlung mit NOAK in den Zulassungsstudien. Sie betrug bei Dabigatran 21,2% (RE-LY), bei Rivaroxaban 23,7% (ROCKET AF) und bei Apixaban 25,3% (ARISTOTLE). Auch zu Edoxaban (ENGAGE AF) sind Daten zur Abbruchrate veröffentlicht (4). Bei 34,4% bzw.33% (60 mg/d bzw. 30 mg/d) der Patienten wurde die Therapie vorzeitig und dauerhaft abgebrochen. Diese Zahlen halte ich für klinisch so relevant, dass wir sie bei einer Umstellung eines Patienten auf ein NOAK bei der Aufklärung erörtern.

Im Übrigen scheinen die Hersteller von ihrer bei Markteinführung der NOAK strikt eingenommenen „No monitoring“-Empfehlung immer mehr abzurücken. So teilte mir der Hersteller von Dabigatran (Pradaxa®) mit, dass sich „bei einer Bestimmung der Thrombinzeit in verdünnten Plasmaproben gezeigt hat, dass das Blutungsrisiko erhöht ist, wenn der Dabigatran-Talspiegel (10-16 Stunden nach der vorhergehenden Dosis) bei einer Dosis von zweimal täglich 150 mg > 200 ng/ml liegt“ (5). Damit empfiehlt doch Boehringer, dass man bei Dabigatran unterhalb eines Plasmaspiegels von 200 ng/ml bleiben sollte und bestätigt somit indirekt, dass ein Monitoring wichtig ist. <<

Antwort: >> Sie sprechen zwei sehr wichtige Punkte an. Therapie-Abbrüche bei NOAK liegen, wie von Ihnen zitiert, in den Zulassungsstudien zwischen 21% und 34,4%. Nun werden Studienpatienten in aller Regel sehr gut aufgeklärt, regelmäßig überwacht und eng betreut. In der „realen Welt“ dürfte die Abbruchrate aus vielen Gründen höher sein. Die häufigsten Gründe für den Therapieabbruch waren in der ENGAGE-AF-Studie: unerwünschte Ereignisse (UAE) oder der Verdacht auf ein UAE (15-17%) und die Entscheidung des klinischen Prüfers (5%) oder des Patienten (7,5%). Dies zeigt schon, wie wichtig das Vertrauen in ein Arzneimittel ist bzw. wie rasch Zweifel an der Sicherheit zu Therapieabbrüchen führen können. Die Abbruchrate bei Vitamin-K-Antagonisten (VKA) war in den vier zitierten Studien ähnlich hoch (zwischen 16% und 32%). Praktisch gesehen gibt es jedoch einen wichtigen Unterschied: Therapieabbrüche oder grobe Einnahmefehler sind bei VKA an den INR-Werten zu erkennen, bei NOAK ohne entsprechende Kontrollen nicht. Unseres Wissens gibt es derzeit nur wenige Daten zur Therapieadhärenz unter NOAK, wie will man sie auch gewinnen? Nach einer retrospektiven Untersuchung aus dem Veterans Affairs System in den USA hatten 27,8% der Patienten über einen medianen Zeitraum von 244 Tagen an weniger als 80% der Tage das verordnete Dabigatran eingenommen (= Non-Adhärenz abgeschätzt an Hand der eingelösten Rezepte). Erwartungsgemäß war die Non-Adhärenz signifikant mit einer höheren Schlaganfall- und Todesrate assoziiert (kombinierter Endpunkt: Hazard ratio: 1,13 pro 10% nicht abgedeckte Tage; 95%-Konfidenzintervall: 1,07-1,19; 6). Einige Autoren prophezeien sogar bei Dauerbehandlung mit NOAK eine Non-Adhärenz von bis zu 50%, ähnlich wie bei Statinen oder Antihypertensiva (7). Die regelmäßige Kontrolle des INR-Werts bei den VKA könnte sich auch in dieser Hinsicht als Vorteil erweisen, weil solche Kontrollen zu einer höheren Adhärenz führen können. Die European Heart Rhythm Association (EHRA) empfiehlt übrigens, bei Patienten mit unsicherer Adhärenz bei Therapie mit NOAK auf VKA zu wechseln (8).

Der zweite Punkt knüpft an den ersten an. Es wird immer klarer, dass wir bei allen oralen Gerinnungshemmern Tests benötigen, nicht nur um die Therapieadhärenz zu überwachen und möglicherweise zu steigern, sondern in erster Linie, um die Patienten vor Über- oder Unterdosierung zu schützen. Das Argument, dass die NOAK einen Vorteil haben, weil Gerinnungstests unnötig seien, erweist sich immer mehr als Marketing. Das Verschweigen wichtiger Untersuchungsergebnisse zur Anpassung der Dosierung von NOAK (z.B. Dabigatran; 9), worauf kürzlich auch im BMJ nochmals hingewiesen wurde, halten wir für ein unethisches, die Sicherheit der Patienten gefährdendes Verhalten (10). Ärzte, die Patienten mit Gerinnungshemmern über Jahre behandeln, schätzen die VKA deshalb, weil sie die Patienten wegen der INR-Messungen regelmäßig sehen. Aus pharmakologischer Sicht und aus Gründen der Therapiesicherheit ist ein Sichtflug einem Blindflug stets vorzuziehen, insbesondere wenn sich potenziell tödliche oder invalidisierende Nebenwirkungen einstellen können. <<

Literatur

  1. Ruff,C.T., et al.: Lancet 2014, 383, 955. Link zur Quelle
  2. AMB2014, 48, 41. Link zur Quelle
  3. Miller,C.S., et al.: Am. J. Cardiol. 2012, 110, 453. Link zur Quelle
  4. Giugliano, R.P., et al. (ENGAGE AF-TIMI 48 = Effectiveanticoagulation with Factor Xa – Next Generation in Atrial Fibrillation- Thrombolysis In Myocardial Infarction 48): N. Engl.J. Med. 2013, 369, 2093 (Suppl. Appendix 4). Link zur Quelle
  5. BoehringerIngelheim, persönl. Mitteilung (22.5.2014).
  6. Shore,S., et al.: Am Heart J. 2014, 167, 810. Link zur Quelle
  7. tenCate, H.: Thromb. J. 2013, 11,8. Link zur Quelle
  8. Heidbuchel, H.,et al.: Eur.Heart J. 2013, 34, 2094. Link zur Quelle