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Leserbrief : Vorhofflimmern: Heparine zur Überbrückung einer Pause der oralen Thromboembolie-Prophylaxe (Bridging)?

Frage von R.V aus N.: >> In unserer Klinik wird zur Thromboembolie-Prophylaxe bei Vorhofflimmern mittels niedermolekularem und evtl. auch unfraktioniertem Heparin eine einmal tägliche, gewichtsadaptierte Dosis empfohlen. Jedoch erschließt sich mir nicht der Sinn dieser Dosierung, da eine mögliche Thromboembolie doch nur durch eine zweimal tägliche, gewichtsadaptierte Dosierung „verhindert“ werden kann. In den Fachinformationen finde ich dazu keine Antwort. Dort werden nur Lungenembolie, tiefe Beinvenenthrombose, Akutes Koronarsyndrom und Thromboseprophylaxe erwähnt. <<

Antwort: >> Tatsächlich ist Vorhofflimmern (VHF) keine zugelassene Indikation für eine Thromboembolie-Prophylaxe mit unfraktioniertem Heparin (UFH) oder niedermolekularem Heparin (NMH). Dennoch ist die Praxis der perioperativen Unterbrechung einer oralen Dauerantikoaguation (OAK) mit überlappender Überbrückung durch eine parenterale Antikoagulation mittels UFH oder NMH („Bridging“) weit verbreitet. Evidenz für ein solches Routinevorgehen gibt es nicht: Die bisher einzige randomisierte kontrollierte Studie, die vor zwei Jahren publizierte BRIDGE-Studie, bestätigte die Erfahrungen aus früheren, nicht-kontrollierten Untersuchungen, dass eine Pause der OAK (Vitamin-K-Antagonisten = VKA) mit Bridging zu höheren perioperativen Blutungsraten, nicht aber zu einer Reduktion thromboembolischer Ereignisse führt im Vergleich zu einer OAK-Pause ohne Bridging (1, 2). Die aktuellen europäischen Leitlinien der kardiologischen und kardiochirurgischen Fachgesellschaften (ESC/EACTS) zur Behandlung von VHF stellen mit Hinweis auf die BRIDGE-Studie lediglich mit einem Satz fest, dass „ein Bridging nicht vorteilhaft zu sein scheint“ (3). Andere Leitlinien nationaler Fachgesellschaften (USA, Kanada) geben etwas differenziertere, an Thromboembolie- und Blutungsrisko ausgerichtete Empfehlungen (4, 5).

Ein kürzlich publizierter Expertenkonsens des American College of Cardiology (ACC) befasst sich ausführlich mit diesem Thema und stellt sehr spezifizierte Algorithmen zur Entscheidungsfindung vor (6). Dabei werden individuelles Thrombose- und Blutungsrisiko, Art und Blutungsrisiko des geplanten operativen Eingriffs, Art des Antikoagulans (Vitamin-K-, direkter Thrombin- oder Faktor-Xa-Inhibitor), Gerinnungsstatus, Nierenfunktion, Unverträglichkeiten/Allergien und klinische Einschätzung einbezogen und in detaillierten Flowcharts grafisch dargestellt. Fünf wesentliche Entscheidungsebenen werden dabei unterschieden, deren Grundzüge wir auszugsweise wiedergeben:

  1. Muss pausiert werden?
  2. Ab wann muss pausiert werden?
  3. Muss überbrückt werden?
  4. Wie sollte überbrückt werden?
  5. Wie wird wieder begonnen?

Ad 1 und 2: Muss bei OAK überhaupt pausiert werden? Ist das periprozedurale Blutungsrisko insgesamt als niedrig einzuschätzen, so kann – bei vorbestehender OAK mit VKA – der Eingriff ohne OAK-Pause durchgeführt werden. Damit entfällt die Frage nach einer Bridging-Strategie (s. Tab. 1). Dem ACC-Expertenkonsens ist als Supplement ein gemeinsam mit 17 anderen US-amerikanischen Fachgesellschaften zusammengestellter Katalog beigefügt, in dem invasive Eingriffe unterschiedlichster Disziplinen in vier Blutungsrisiko-Kategorien (niedrig – intermediär – hoch – unklar) klassifiziert werden. Dies ist eine gute Orientierung, sie darf jedoch nicht die auf den jeweiligen Patienten bezogene Absprache mit dem Operateur ersetzen. Zusätzlich sind patientenseitige Faktoren zu berücksichtigen, wie z.B. Blutungsanamnese oder antithrombozytäre Begleitmedikation.

Neue orale Antikoagulanzien (NOAK) können aufgrund ihrer Pharmakokinetik in der Regel problemlos gezielt und möglichst kurzzeitig periprozedural pausiert werden. Eingriffe, bei denen keine NOAK-Pause erwünscht ist (z.B. bei höherem Thromboembolierisiko) sollten auf Situationen mit sehr niedrigem, „klinisch nicht relevantem“ Blutungsrisiko beschränkt bleiben (und dann möglichst in der „Talsohle“ zwischen zwei NAOK-Einzeldosen durchgeführt werden).

Ad 3: Muss im Falle einer pausierten OAK (VKA oder NOAK) ein parenterales Bridging erfolgen? Besteht ein „niedriges“ Thromboembolierisiko (nach CHA2DS2-VASc-Score; vgl. 7), so ist die parenterale Überbrückung einer pausierten OAK mit VKA nicht erforderlich. Bei „intermediärem“ Thromboembolierisiko und Z. n. thromboembolischem Ereignis sowie bei „hohem“ Thromboembolie-Risiko wird ein Bridging hingegen grundsätzlich empfohlen (Ausnahme: extrem hohes Blutungsrisiko, z.B. intrakranielle Blutung in den drei Monaten zuvor). Stets muss nach klinischer Beurteilung individuell entschieden und das Risiko Blutung vs. Thromboembolie sorgfältig abgewogen werden (s. Tab. 1). Bei NOAK ist eine parenterale Überbrückung aufgrund der bereits erwähnten theoretisch guten periprozeduralen Steuerbarkeit generell nicht indiziert.

Ad 4 und 5: Wie sollte das parenterale Bridging einer pausierten OAK erfolgen? Die Wahl zwischen UFH i.v. (aPTT-gesteuert) oder NMH s.c. (nach Körpergewicht/Nierenfunktion) soll „nach klinischer Beurteilung“ entschieden werden. Beides ist grundsätzlich in therapeutischer Dosierung zu verabreichen. UFH sollte mindestens vier Stunden präoperativ pausiert werden, NMH bei zweimal täglicher Gabe mindestens 12 Stunden präoperativ. Nur im Falle gleichzeitig hoher Thromboembolie- und Blutungsrisiken sollten „individualisierte“ Strategien angewendet werden, wie z.B. niedrigere Dosierungen oder eine Beschränkung auf die postoperative Phase.

Zu bedenken ist, dass der ACC-Expertenkonsens nur für elektive Prozeduren und „nicht-valvuläres“ VHF gelten. Dieses ist definiert als VHF ohne rheumatisch entstandenes Mitralvitium, ohne mechanische oder biologische Mitralklappenprothese und ohne Mitralklappenrekonstruktion. Auch für andere OAK- bzw. NOAK-Indikationen wie Venenthrombose, Lungenembolie und mechanische Herzklappen gelten die Empfehlungen wegen der unterschiedlichen Thromboembolierisiken nicht. Ebenso gelten bei Notfällen (Blutungen, akute Operationen, Verletzungen) unter OAK/NOAK sowie bei OAK während Schwangerschaft und Geburt andere Richtlinien. <<

Literatur

  1. Douketis,J.D., et al. (BRIDGE = Bridging anticoagulation in patients who Requiretemporary Interruption of warfarin therapy for an elective invasiveproceDure or surGEry): N. Engl. J. Med. 2015, 373, 823. Link zur Quelle
  2. AMB2015, 49, 75. Link zur Quelle
  3. Kirchhof, P., etal.: Eur. HeartJ. 2016, 37, 2893. Link zur Quelle
  4. Douketis,J.D., etal.: Chest 2012, 141 (2. Suppl.), e326S. Erratum: Chest 2012, 141, 1129. Link zur Quelle
  5. Macle,L., et al.: Can. J. Cardiol. 2016, 32, 1170. Link zur Quelle
  6. Doherty,J.U., et al.: J.Am. Coll. Cardiol. 2017, 69, 871. Link zur Quelle
  7. AMB2012, 46, 17. Link zur Quelle

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