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Leserbrief – COMPASS-Studie: ASS plus direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) bei stabiler Koronarer Herzkrankheit?

Frage von Dr. H. aus S.: >> Ein männlicher Patient, 77 Jahre alt, hatte vor 20 Jahren eine koronare 3-Gefäß-Bypass-Operation. Aktuell war er im Krankenhaus wegen einer kardialen Dekompensation. Laut aktuellem Herzkatheterbefund sind ein Venenbypass und ein Nativgefäß verschlossen, und es gibt keine sinnvolle Interventionsmöglichkeit. Weitere kardiale Diagnosen sind paroxysmales Vorhofflimmern und ischämische Kardiomyopathie (LVEF: 45%). Kardiovaskuläre Risikofaktoren sind ein Diabetes mellitus Typ 2, Hyperlipidämie, Hypertonie und Übergewicht (BMI 30 kg/m2). Der Patient wurde mit folgender Medikation entlassen: Rivaroxaban 20 mg/d und neu ASS 100 mg/d mit Verweis auf die COMPASS-Studie. Zudem erhielt er noch: Bisoprolol 2,5 mg/d, Ezetimib/Atorvastatin 10/40 mg/d, Candesartan 16 mg/d, und Ranolazin 2 x 500 mg/d. Der Patient hatte vor der Krankenhausbehandlung als antikoagulatorische Medikation nur Rivaroxaban wegen seines Vorhofflimmerns. Ist die zusätzliche Verordnung von ASS mit Verweis auf die COMPASS-Studie korrekt? >>

Antwort: >> Die COMPASS-Studie (1) ist eine von Bayer gesponserte prospektive, doppelblinde, randomisierte kontrollierte Studie, die an über 27.000 Patienten mit stabiler atherosklerotischer Gefäßkrankheit (Koronare Herzkrankheit, zerebrale und periphere arterielle Verschlusskrankheit) drei verschiedene antithrombotische Regime hinsichtlich der kardiovaskulären Ereignisraten untersuchte: 1. niedrig dosiertes Rivaroxaban (Riva; 2 x 2,5 mg/d) plus ASS (n = 9.152), 2. Riva allein (2 x 5 mg/d; n = 9.117) oder 3. ASS allein (n = 9.126).

Die Patienten mussten ≥ 65 Jahre alt sein oder auch jünger, wenn in einem weiteren Gefäßareal eine Atherosklerose dokumentiert war oder mindestens zwei klinische Risikofaktoren vorlagen (aktives Rauchen, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, Schlaganfall). Zu den Ausschlusskriterien zählten u.a. ein hohes Blutungsrisiko und die Notwendigkeit einer dualen Plättchenhemmung oder einer oralen Antikoagulation (OAK).

Der geschilderte Patient wäre also wegen der notwendigen OAK bei paroxysmalem Vorhofflimmern (CHA₂DS₂-VASc-Score: 6 Punkte) gar nicht in die COMPASS-Studie eingeschlossen worden. Daher ist die gegebene Begründung für die doppelte gerinnungshemmende Therapie (Riva plus ASS) nicht korrekt.

Das Ergebnis der COMPASS-Studie (mittleres Patientenalter 68,2 Jahre, 21,8% Frauen, 31% der Patienten aus Europa, 90% KHK, mittlere Nachbeobachtung 23 Monate) war hinsichtlich des primären Endpunkts – zusammengesetzt aus kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall oder nicht fatalem Myokardinfarkt – signifikant günstiger für die Kombinationsbehandlung Riva plus ASS: 4,1% vs. 4,9% (nur Riva) vs. 5,4% (nur ASS). Die „Number needed to treat“ (NNT) von Riva plus ASS gegenüber ASS allein beträgt demnach 75 über zwei Jahre. Ein statistisch bedeutsamer Vorteil auf die Gesamtletalität ergab sich nicht (3,4% vs. 4,0% vs. 4,1%). Diesem Nutzen stehen jedoch, wie zu erwarten, signifikant mehr Blutungen gegenüber. Die Rate klinisch bedeutsamer „Major Blutungen“ betrug für Riva plus ASS 3,1%, für Riva allein 2,8% und für ASS allein 1,9%. Die „Number needed to harm“ (NNH) von Riva plus ASS gegenüber ASS allein beträgt 85 über zwei Jahre.

Die Autoren der COMPASS-Studie – die meisten von ihnen mit einer Vielzahl von finanziellen Interessenkonflikten – errechnen einen signifikanten Netto-Nutzen für die Kombination von Rivaroxaban und ASS. Und obwohl der Kommentator Eugene Braunwald die Studie als „An important step for thrombocardiology“ einschätzt (4), überzeugen uns diese Daten angesichts der vermehrten Blutungen nicht in diesem Maße, und sie sind auch bislang nicht in den Behandlungsleitlinien berücksichtigt. Anzumerken ist allerdings, dass Riva 2,5 mg/d in Kombination mit ASS allein oder mit ASS plus Clopidogrel oder Ticlopidin „zur Prophylaxe atherothrombotischer Ereignisse nach einem Akuten Koronarsyndrom (ACS) mit erhöhten kardialen Biomarkern“ zugelassen ist (2).

Bei dem geschilderten Patienten wurde wahrscheinlich die kardiale Dekompensation als Akutes Koronarsyndrom (ACS) bewertet. In diesem Fall kann die Intensivierung einer zuvor bestehenden OAK mit einem oder zwei Thrombozytenfunktionshemmern durchaus sinnvoll sein. Die Herzinfarkt-Leitlinien der europäischen kardiologischen Gesellschaft von 2015 empfehlen bei ACS-Patienten, die konservativ behandelt werden, eine „duale Therapie“ für 12 Monate (3). Die duale Therapie besteht aus einem OAK plus einem Plättchenhemmer. Nach den 12 Monaten ist dann wieder eine alleinige OAK ausreichend (Empfehlungsgrad: IIa, Evidenzgrad C).

Folgt man dieser Empfehlung, wäre noch zu überlegen, ob nicht aus Sicherheitsgründen bei dem 77-jährigen Patienten die Riva-Dosis auf 15 mg/d reduziert werden sollte. Die Leitlinien empfehlen bei einer Kombinationsbehandlung, die niedrigste wirksame OAK-Dosis zu verwenden (3). <<

Literatur

  1. Eikelboom, J.W., et al. (COMPASS = Cardiovascular OutcoMes for People using Anticoagulation Strategies): N. Engl. J. Med. 2017, 377, 1319. Link zur Quelle
  2. Fachinformation Rivaroxaban 2,5mg. Link zur Quelle (Zugriff 2.3.2018).
  3. Roffi, M., et al.: Eur. Heart J. 2016, 37, 267. Link zur Quelle
  4. Braunwald, E.: N. Engl. J. Med. 2017, 377, 1387. Link zur Quelle