Kriterien für eine Reduktion der Dosierung von direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) bei Behandlung von Patienten mit Vorhofflimmern (Vofli) umfassen hohes Alter, geringes Körpergewicht, Niereninsuffizienz und Interaktionsrisiken mit der Komedikation. Neben Unterschieden zwischen den zugelassenen DOAK (Dabigatran = D; Rivaroxaban = R; Apixaban = A; Edoxaban = E) gibt es weltweit – abhängig von den zuständigen Zulassungsbehörden und teilweise auch je nach nationalen Richtlinien – voneinander abweichende Dosierungsempfehlungen (insbesondere für D, R, E). Nicht selten entstehen dadurch im klinischen Alltag Unklarheiten und Unsicherheiten hinsichtlich der korrekten bzw. der individuellen Situation angemessenen Dosierung. Eine aktuell publizierte Arbeit befasst sich mit den Auswirkungen „nicht empfohlener“ Dosierungen auf klinische Endpunkte über einen Zeitraum von zwei Jahren (1).
Es wurden dazu Daten aus der prospektiven GARFIELD-AF-Studie ausgewertet, einer internationalen, multizentrischen Beobachtungsstudie für Schlaganfallprävention von Patienten mit neu diagnostiziertem Vofli. Die Studie rekrutierte in fünf Kohorten insgesamt 52.080 Patienten aus über 1.000 Zentren in 35 Ländern weltweit (Nord- und Südamerika, Europa, Afrika, Asien-Pazifik-Raum). Für die vorliegende Analyse wurden nur Patienten aus den Kohorten 3 bis 5 herangezogen (bei den ersten beiden Kohorten wurde nicht nach einzelnen Wirkstoffen unterschieden). In diese wurden von 2013 bis 2016 34.926 Patienten eingeschlossen; von diesen erhielten 10.426 ein DOAK (R: 43%; A: 32%; D: 23%; E: 3%).
Der Großteil der Patienten (72,9%) erhielt nach Beurteilung durch die Studienzentren die DOAK in der jeweils indizierten Dosierung; 23,2% waren dabei unterdosiert und 3,8% überdosiert. Eine Unterdosierung war mit einer signifikant höheren Gesamtmortalität assoziiert (adjusted Hazard Ratio = aHR: 1,25; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,04-1,50). Diese war ursächlich bedingt durch Herzversagen und Myokardinfarkte, dagegen traten Schlaganfälle und arterielle Embolien nicht häufiger auf (aHR: 0,92; CI: 0,62-1,37). Schwere Blutungen waren bei Unterdosierung erwartungsgemäß signifikant seltener (aHR: 0,50; CI: 0,28-0,88). Bei den (wenigen) Patienten mit Überdosierung gab es bei keinem dieser Endpunkte signifikante Unterschiede.
Die weitaus meisten DOAK-Unterdosierungen fanden sich in asiatischen und südamerikanischen Ländern (> 30% aller DOAK-Patienten unterdosiert; Ausnahmen: Argentinien bzw. Singapur: < 20%), während in Nordamerika und Europa der Anteil deutlich niedriger lag (Deutschland, Frankreich, Spanien: 20-30%; alle anderen: < 20%). Im GARFIELD-AF-Register waren die älteren DOAK D und R weniger von der Unterdosierung betroffen als die jüngeren A und E. Die Daten für E sind allerdings aufgrund der wenigen (nur 3% der Population) und nahezu ausschließlich in Japan eingeschlossenen Patienten nur eingeschränkt zu verwerten.
Die Autoren betonen die Bedeutung einer ausreichenden Dosierung entsprechend den speziellen Empfehlungen für das jeweilige DOAK und warnen vor einer Dosisreduktion aus (unbegründeter) Angst vor Nebenwirkungen. Eine Erklärung, weshalb eine DOAK-Unterdosierung zwar mit einer höheren Mortalität, aber wider Erwarten und entgegen den Ergebnissen mehrerer kleinerer Studien (2, 3) nicht mit vermehrten Schlaganfällen verbunden war, bleiben sie in der Diskussion jedoch schuldig. Auch in einem Editorial wird auf diesen wichtigen Aspekt nicht eingegangen – im Gegenteil: Im Schlusssatz wird die DOAK-Unterdosierung pauschal mit einem Bruch des Hippokratischen Eides verglichen (4).
Kommentatoren warnen hingegen davor, von einer Assoziation reiner Registerdaten auf eine Kausalität zu schließen und verweisen auf einen – auch aus unserer Sicht – wesentlich näher liegenden potenziellen Störfaktor (5): Als stärkste „Prädiktoren“ für eine DOAK-Unterdosierung zeigten sich in der GARFIELD-AF-Analyse zusätzlich zu den auch in den Zulassungen angeführten Kriterien für eine Dosisreduktion (Alter, Körpergewicht, Nierenfunktion) folgende zusätzlichen Parameter: akutes Koronarsyndrom, antianginöse Therapie, koronare oder periphere Gefäßerkrankung, vorangegangener Schlaganfall, Diabetes, weibliches Geschlecht sowie – siehe oben – nicht-kaukasische Ethnizität. Die DOAK-Unterdosierung ist somit sehr wahrscheinlich (auch) ein Marker für das Gesamtrisiko in dieser Population und nicht als kausal für die damit assoziierte erhöhte Mortalität anzusehen. Im Gegenteil: Dass diese weder mit einer signifikant erhöhten Schlaganfallrate noch mit einer signifikant erhöhten Blutungsrate einhergeht, kann durchaus auch als Hinweis auf die Korrektheit der von den behandelnden Ärzten getroffenen Entscheidung einer individuellen Dosisreduktion gesehen werden, auch wenn sie formal einer „Off-label“-Anwendung entspricht.
Die GARFIELD-AF-Studie wird zwar als unabhängige akademische Forschungsinitiative mit Sponsoring durch das Britische Thrombosis Research Institute (TRI) geführt, allerdings scheint auch der pharmazeutische Unternehmer Bayer (Hersteller von Rivaroxaban) als „Collaborator“ beteiligt zu sein (6).
Fazit: Eine aktuell publizierte Analyse von Daten aus einem weltweiten prospektiven Register von Patienten mit Vorhofflimmern zeigt, dass eine DOAK-Therapie in einer niedrigeren als der empfohlenen Dosierung mit einer erhöhten Mortalität assoziiert ist. Ein kausaler Zusammenhang ist daraus allerdings nicht abzuleiten: Ischämien (Schlaganfall, arterielle Embolie) waren bei diesen Patienten im Vergleich zu Patienten mit empfohlener korrekter Dosierung nicht signifikant häufiger und Blutungen signifikant seltener. Die Assoziation dürfte Ausdruck des erhöhten Gesamtrisikos in dieser Patientengruppe sein.
Literatur
- Camm, A.J., et al. (GARFIELD-AF = Global Anticoagulant Registry in the FIELD–Atrial Fibrillation): J. Am. Coll. Cardiol. 2020, 76, 1425. Link zur Quelle
- Yao, X., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2017, 69, 2779. Link zur Quelle
- Arbel, R., et al.: Am. J. Med. 2019, 132, 847. Link zur Quelle
- Naccarelli, G.V.: J. Am. Coll. Cardiol. 2020, 76, 1437. Link zur Quelle
- https://www.medscape.com/viewarticle/937989 Link zur Quelle
- https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01090362 Link zur Quelle