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Unterschiede zwischen den direkten oralen Antikoagulanzien: große Registerstudien, aber weiterhin kein „Head-to-Head“-Vergleich [CME]

Zusammenfassung

Eine sehr große multinationale bevölkerungsbasierte Beobachtungsstudie, die erstmals alle vier zugelassenen direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) hinsichtlich ihres gastrointestinalen Blutungsrisikos vergleicht, bestätigt die Hinweise aus früheren Beobachtungsstudien, dass Apixaban möglicherweise ein geringeres gastrointestinales Blutungsrisiko als andere DOAK hat. Hinsichtlich anderer Sicherheits- und Effektivitätsendpunkte zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Apixaban ist derzeit das am meisten verschriebene DOAK. Eine klare Empfehlung könnte jedoch nur auf Basis kontrollierter randomisierter Vergleichsstudien gegeben werden, die (noch) ausstehen.

Vor etwa 15 Jahren kamen die ersten – damals noch „neuen“ – Direkten Oralen Antikoagulanzien (DOAK) auf den Markt. Zugelassenes Anwendungsgebiet war bei allen Wirkstoffen zunächst die postoperative Thromboseprophylaxe nach orthopädischen Eingriffen, da für diese Fragestellung Studien mit verhältnismäßig kleinen Patientenzahlen und kurzen Nachbeobachtungszeiten ausreichend sind. Dann kam die Therapie und Sekundärprävention von venösen Thrombosen und Thromboembolien und schließlich die arterielle Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern. Das leitete schließlich den heutigen, sehr weit verbreiteten Einsatz von DOAK in die Wege. Vergleichssubstanzen in den Zulassungsstudien waren dementsprechend initial niedermolekulare Heparine, dann Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Wir haben diese Entwicklung bis heute in zahlreichen Artikeln zu unterschiedlichen Aspekten kritisch begleitet und dabei unter anderem auch Studien gefordert, die die Eigenschaften und Nebenwirkungen der verschiedenen DOAK direkt gegeneinander vergleichen (z.B. [1]).

Systematische, direkte „Head-to-Head“-Vergleiche in großen randomisierten kontrollierten Studien (RCT) liegen bis heute nicht vor. Dies ist nicht unerwartet, da die Forschungsschwerpunkte der pharmazeutischen Unternehmer (pU) in der – nur teilweise erfolgreichen – Erschließung weiterer (Nischen-)Indikationen und Märkte für ihre eigenen Substanzen liegen, wie z.B. stabile koronare Herzkrankheit, Herzklappen-Ersatz, Antiphospholipid-Syndrom sowie Indikationen in der Pädiatrie. Es existieren aus den vergangenen Jahren jedoch inzwischen mehrere bevölkerungsbasierte Beobachtungsstudien, in denen verschiedene DOAK bei Vorhofflimmern untersucht wurden (z.B. [2], [3], [4]) sowie eine große Metaanalyse [5]. In diesen scheint sich ein Vorteil von Apixaban gegenüber Rivaroxaban und Dabigatran im Hinblick auf gastrointestinale (GI) Blutungen abzuzeichnen. Das als letztes DOAK zugelassene Edoxaban war in diesen Analysen nicht enthalten. Diese Ergebnisse werden nun auch durch die bislang aufwändigste Analyse dieser Art im Wesentlichen bestätigt [6]. Sie wurde von Pharmazeuten der Universität Hongkong initiiert; relevante Interessenkonflikte sind nicht erkennbar.

Methodik: Während sich bisherige Beobachtungsstudien auf einzelne nationale Datenbanken beschränkten, nützt die vorliegende Studie fünf verschiedene Gesundheitsregister mit insgesamt etwa 221 Mio. Patienten aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA. Es wurden die Daten von Patienten analysiert, denen erstmalig ein DOAK (Apixaban = A, Rivaroxaban = R, Dabigatran = D oder Edoxaban = E) bei neu diagnostiziertem Vorhofflimmern verschrieben wurde. Mittels „Propensity Scoring“ wurden Patientencharakteristika aufeinander abgestimmt und das Risiko für GI-Blutungen in den Gruppen D, R, A und E verglichen.

Ergebnisse: Es wurden Daten von 527.226 Patienten analysiert, denen von 2010 bis 2019 ein DOAK verschrieben wurde. Die Anteile der dabei eingesetzten Antikogulanzien waren sehr unterschiedlich, nämlich A: 53,3%, R: 32,7%, D: 11,6% und E: 2,4%. Die medianen Nachbeobachtungszeiten variierten in den Datensätzen und DOAK-Gruppen zwischen 1,4 und 4,4 Jahren. Apixaban zeigte sich gegenüber den anderen DOAK mit einer Hazard Ratio = HR von 0,72-0,81 signifikant überlegen im Hinblick auf das GI-Blutungsrisiko (s. Tab. 1).

Hinsichtlich ischämischer Schlaganfälle, systemischer Thromboembolien, intrazerebraler Blutungen und der Gesamtmortalität ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den DOAK. In den Subgruppen mit Patienten > 80 Jahre (n = 101.397) ergaben sich ähnliche Ergebnisse für GI-Blutungen und andere klinische Endpunkte. Ebenso zeigten sich bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz (n = 71.430; für A vs. R sowie A vs. D) sowie bei reduzierter DOAK-Dosis (für A vs. R) signifikant günstigere Effekte von A hinsichtlich des GI-Blutungsrisikos: HR jeweils um 0,70.

Diskussion: Die Ergebnisse dieser sehr großen multinationalen Analyse liegen im Trend bisheriger Beobachtungsstudien und liefern weitere Hinweise, dass Apixaban möglicherweise ein geringeres GI-Blutungsrisiko als andere DOAK hat. Ob sich daraus eine generelle Empfehlung für eine Bevorzugung von Apixaban ableiten lässt, wird von Kommentatoren noch kontrovers beurteilt. Für die Behandlung von Patienten mit einem bekannt erhöhten GI-Blutungsrisiko könnten die Ergebnisse dieser retrospektiven Beobachtungsstudie möglicherweise in künftige Leitlinien eingehen (mit Evidenzlevel B oder C). In der klinischen Praxis ist Apixaban in Deutschland (vgl. Tab. 2) und wohl auch international das am häufigsten verschriebene DOAK, wie die Ausgangsdaten der vorliegenden Studie mit einem Apixaban-Anteil von 53,3% zeigen.

Die Studie beruht auf mehreren sehr großen und internationalen Datenbanken, schließt erstmals alle vier zugelassenen DOAK ein und untersucht auch Subgruppen, die sonst häufig unterrepräsentiert sind, wie Patienten > 80 Jahre und Patienten mit Niereninsuffizienz. Alle Beobachtungsstudien haben per se jedoch methodische Einschränkungen, und Störfaktoren können nicht restlos ausgeschlossen werden, wie auch die Autoren selbstkritisch anmerken. Klarheit könnten nur „Head-to-Head“-Vergleiche der DOAK in RCT bringen. Die derzeit laufende COBRRA-AF-Studie [7] der Universität Ottawa vergleicht randomisiert und partiell verblindet („open label, blinded endpoint“) Apixaban mit Rivaroxaban bei geplanten 3.000 Patienten. Ergebnisse sind nicht vor 2027 zu erwarten.

Tabelle 1
DOAK im Vergleich (nach [6]). Hazard Ratios für GI-Blutungen (95%-Konfidenzintervall)

Tabelle 2
Verordnungen und Kosten von DOAK in Deutschland 2021 (nach [8])

Literatur

  1. AMB 2011, 45, 73. (Link zur Quelle)
  2. Abraham, N.S., et al.: Gastroenterology 2017, 152, 1014. (Link zur Quelle)
  3. Fralick, M., et al.: Ann. Intern. Med. 2020, 172, 463. (Link zur Quelle)
  4. Ingason, A.B., et al.: Ann. Intern. Med. 2021, 174, 1493. (Link zur Quelle)
  5. Menichelli, D., et al.: Eur. Heart J. Cardiovasc. Pharmacother. 2021, 7(Fl1), f11. (Link zur Quelle)
  6. Lau, W.C.Y., et al.: Ann. Intern. Med. 2022. (Link zur Quelle)
  7. COBRRA AF = COmparison of Bleeding Risk between Rivaroxaban and Apixaban in patients with Atrial Fibrillation. (Link zur Quelle)
  8. Wille, H.: Gerinnungsstörungen. In: Ludwig, W.-D., Mühlbauer, B., Seifert, R.: Arzneiverordnungs-Report 2022. Springer-Verlag Berlin, im Druck.