Aktuell wurden in zwei Artikeln im N. Engl. J. Med. die Ergebnisse zur Antikoagulation bei zwei unterschiedlichen Schweregraden von COVID-19 aus den großen, zu einer Plattform zusammengeschlossenen Studien publiziert: REMAP-CAP, ACTIV-4a und ATTACC (1, 2). Wir haben im Februar (3) und Juni (4) bereits über Zwischenergebnisse dieser Studien berichtet.
Die damals zentrale Schlussfolgerung bleibt auch nach der nun erfolgten Publikation der Studiendaten gültig: Bei moderat erkrankten (stationär aufgenommenen) Patienten (ME) scheint eine Antikoagulation mit Heparin in „therapeutischer“, also höherer Dosis vorteilhaft zu sein gegenüber einer („prophylaktischen“) Standard-Dosierung hinsichtlich der Prävention venöser und arterieller thromboembolischer COVID-19-Komplikationen, während dies bei schwer erkrankten (intensivpflichtigen) Patienten (SE) nicht der Fall ist. Der Patienteneinschluss wurde – wie berichtet – in beiden Armen nach vordefinierten Kriterien vorzeitig gestoppt: in der ME-Gruppe im Januar 2021 aufgrund des positiven Heparin-Effekts und in der SE-Gruppe bereits im Dezember 2020 aufgrund des negativen Effekts.
Hinsichtlich des adaptiven Designs und anderer methodischer Details der Studien verweisen wir auf unsere bisherigen Mitteilungen. In allen genannten Studien wurde randomisiert und kontrolliert, aber unverblindet eine Antikoagulation mit unfraktioniertem oder niedermolekularem Heparin in therapeutischer Dosierung (jeweils üblicher Standard zur Therapie der akuten venösen Thromboembolie) gegenüber einer pharmakologischen Thromboseprophylaxe nach dem jeweils üblichen Standard bei stationären COVID-19-Patienten verglichen.
Moderat Erkrankte (1): In der ME-Gruppe wurden nach dem vorzeitigen Studienabbruch 2.219 Patienten in die finale Analyse eingeschlossen. Den primären Endpunkt „Überleben bis zur Entlassung ohne Organunterstützung bis Tag 21“ erreichten 80,2% (939 von 1.171 Patienten) in der Hochdosis-Gruppe und 76,4% (801 von 1.048 Patienten) in der Standarddosis-Gruppe („adjusted Odds Ratio“ = OR: 1,27; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,03-1,58). Dieser (sehr moderate) positive Effekt der Heparinisierung in therapeutischer Dosierung fand sich auch bei verschiedenen sekundären Endpunkten (Überleben bis Entlassung, Intubation oder Tod, thrombotische Ereignisse); allerdings kam es doppelt so häufig zu schweren Blutungen (1,9% vs. 0,9%). Der Biomarker D-Dimer war, entgegen den Erwartungen der Autoren, nicht als differenzialtherapeutisches Kriterium geeignet. Höhere D-Dimer-Werte korrelierten zwar mit höheren absoluten Ereignisraten, nicht jedoch mit dem (relativen) positiven Effekt der hochdosierten Antikoagulation.
Schwer Erkrankte (2): In der SE-Gruppe wurden nach dem ebenfalls vorzeitigen Studienabbruch 1.098 Patienten in die finale Analyse eingeschlossen. Die mediane Zahl der Tage ohne Organunterstützung lag in der Hochdosis-Gruppe bei 1, in der Standarddosis-Gruppe bei 4; der Effekt auf das Überleben ohne Organunterstützung war jedoch nicht signifikant (OR: 0,83; CI: 0,67-1,03). Auch der Prozentsatz von Patienten, die bis zur Entlassung überlebten, war nicht unterschiedlich (62,7% vs. 64,5%; OR: 0,84; CI: 0,64-1,11). Die Rate schwerer Blutungen war – bei deutlich höherem absolutem Niveau als in der ME-Gruppe – unter Hochdosis-Antikoagulation erheblich höher (3,8% vs. 2,3%).
Diskussion: Zur Beantwortung der Frage, weshalb die höher dosierte Heparinisierung – entgegen den ursprünglichen Erwartungen – bei intensivpflichtigen COVID-19-Patienten netto weniger Vorteile bringt als bei den weniger schwer Erkrankten, gibt es weiterhin nur Hypothesen. Offensichtlich sind die infektionsassoziierten Inflammations- und Gerinnungskaskaden bei intensivpflichtigen Patienten bereits so weit fortgeschritten, dass der positive Heparin-Effekt zu gering ist, um den Erkrankungsverlauf entscheidend zu modifizieren; gleichzeitig ist bei diesen Patienten auch das Blutungsrisiko deutlich erhöht.
Der Autor eines begleitenden Editorials gibt zu bedenken, dass auch Unterschiede in den analysierten Patientenpopulationen eine Rolle spielen könnten (5): Die überwiegende Mehrheit der schwer erkrankten Patienten wurden in den Zentren der REMAP-CAP-Studie, nämlich in Großbritannien, eingeschlossen, während die Mehrzahl der moderat erkrankten in ATTAC und ACTIV-4a in Brasilien und den USA rekrutiert wurden. Hier könnten „geographisch“ bedingte Störfaktoren vorliegen (5). Ein weiterer Kritikpunkt ist die Heterogenität der Gruppe mit Standarddosis, in der je nach Studienzentrum sowie im zeitlichen Verlauf der Pandemie unterschiedliche Standards für die Antikoagulation (und auch andere COVID-19-Therapien) angewendet wurden. Danach wurde in der Analyse der Studienergebnisse nicht differenziert.
Für die Dosierung der Antikoagulation scheint es jedenfalls – ähnlich wie bei anderen COVID-19-Therapieansätzen (6) – im Krankheitsverlauf unterschiedliche Zeitfenster zu geben. Aufgrund zahlreicher weiterhin offener Fragen ist das Thema noch nicht abgeschlossen. Mehrere laufende Studien beschäftigen sich mit weiteren Aspekten, wie z.B. dem Stellenwert anderer antithrombotischer Arzneimittel sowie der Antikoagulation bei leichter erkrankten, ambulanten COVID-19-Patienten und bei Post-/Long-COVID-19-Patienten.
Fazit: Die Ergebnisse dreier großer „Plattformstudien“ zur Antikoagulation bei COVID-19 sind nun in zwei Artikeln hochrangig publiziert. Sie bestätigen vorläufig die damalige Schlussfolgerung, dass moderat erkrankte Patienten im Krankenhaus von einer höheren („therapeutischen“) Heparin-Dosis profitieren, während dies bei schwer erkrankten, intensivpflichtigen Patienten nicht der Fall zu sein scheint. Eine Reihe laufender Studien beschäftigt sich mit weiteren, noch offenen Fragen zu diesem Thema.
Literatur
- ATTACC, ACTIV-4a, and REMAP-CAP Investigators: N. Engl. J. Med. 2021, 385, 790. Link zur Quelle
- REMAP-CAP, ACTIV-4a, ATTACC Investigators: N. Engl. J. Med. 2021, 385, 777. Link zur Quelle
- AMB 2021, 55, 16. Link zur Quelle
- AMB 2021, 55, 51. Link zur Quelle
- AMB 2017, 51, 61. Link zur Quelle
- AMB 2021, 55, 68. Link zur Quelle