Zusammenfassung: Ein systematisches Review zur Sekundärprävention thromboembolischer Ereignisse beim Antiphospholipid-Syndrom kommt zu dem Ergebnis, dass die Anwendung direkter oraler Antikoagulanzien (DOAK; besonders Rivaroxaban) mit einem höheren Risiko für erneute thromboembolische Ereignisse einhergeht als die von Vitamin-K-Antagonisten. Zugleich scheint das Risiko für schwerwiegende Blutungen mit DOAK erhöht zu sein. Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin, Phenprocumon) sind beim Antiphospholipid-Syndrom Mittel der ersten Wahl. DOAK sind in dieser Indikation aus Sicherheitsgründen relativ kontraindiziert und dürfen allenfalls in begründeten Einzelfällen verordnet werden. Ein gedankenloses Umstellen auf DOAK kann sogar fatale Folgen haben.
Das Antiphospholipid-Syndrom (APS) ist eine Autoimmunerkrankung, die mit vermehrten Thromboembolien (TE) und/oder einer erhöhten Schwangerschaftsmorbidität verläuft (Aborte, Frühgeburten, Präeklampsie, Plazentainsuffizienz). Eine seltene, besonders schwerwiegende Form ist das sog. „katastrophale APS“ (CAPS), welches durch multiple, meist mikrovaskuläre Thrombosen mit Multiorganversagen gekennzeichnet ist. Das APS tritt als primäre Erkrankung auf oder sekundär, z.B. beim systemischen Lupus erythematodes.
Beim APS sind dauerhaft Antiphospholipid-Antikörper (APA) nachweisbar, eine heterogene Gruppe von Autoantikörpern (AK) gegen Phospholipid-bindende Proteine: Anticardiolipin-AK, Anti-Beta2-Glykoprotein-1-AK und Lupus-Antikoagulans. APA können auch nur vorübergehend nachweisbar sein, z.B. im Rahmen einer Infektions- oder einer rheumatischen Erkrankung und auch durch Arzneimittel induziert werden (z.B. Phenytoin, Amoxicillin, orale Kontrazeptiva). Bei erhöhten APA-Titern sollte daher nach 3 Monaten ein Bestätigungstest erfolgen.
Die Diagnose eines APS erfolgt anhand der Sapporo-Kriterien, bei der klinische (TE, Schwangerschaftskomplikationen) und laborchemische Kriterien erfüllt sein müssen (2). Die APS-Prävalenz wird mit 17-50 pro 100.000 angegeben (1). Somit handelt es sich um eine seltene Erkrankung. In einer retrospektiven Analyse von Patienten ohne bekannte Autoimmunerkrankung waren bei Patientinnen nach Abort bei 9%, bei Patienten nach Schlaganfall bei 14%, nach Myokardinfarkt bei 11% und nach tiefer Venenthrombose bei 10% APA nachweisbar (3). Bei allen ätiologisch unklaren TE und bei Schwangerschaftskomplikationen sollte daher nach APA gesucht werden.
Die Penetranz der Erkrankung ist hoch: Unter 1.000 Personen mit primärem oder sekundärem APS fanden sich bei 32% eine tiefe Venenthrombose, 22% eine Thrombozytopenie, 20% eine Livedo reticularis, 13% ein Schlaganfall und 7% eine transiente ischämische Attacke (TIA), 9% eine oberflächliche Thrombophlebitis, 9% eine Lungenembolie und 8% ein Abort (2). Das höchste TE-Risiko haben Patienten mit Nachweis aller drei Auto-AK und/oder hohen AK-Titern („Hochrisiko-APA-Profil“) sowie nach arterieller TE (4).
Eine antithrombotische Primärprävention wird von der „European League Against Rheumatism“ (EULAR; 5) nur bei einem Hochrisiko-APA-Profil empfohlen, und zwar mit niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (Evidenzgrad 2a/Empfehlungsstärke B). Die Sekundärprävention nach TE (definiert erst das APS) soll mittels oraler Antikoagulation (OAK) erfolgen, und zwar mit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA; 1b/B). Die Ziel-INR soll zwischen 2 und 3 liegen und die Behandlung wegen der hohen Rezidivgefahr dauerhaft erfolgen (2b/B). Bei Schwangeren wird auf Heparin umgestellt.
Die Langzeitbehandlung mit VKA ist bei den oft jungen Patienten problematisch. So ist eine langjährige Behandlung mit VKA mit Kalzifizierungen von Gefäßen, Weichteilen und Herzklappen assoziiert (vgl. 6). Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK: Apixaban, Edoxaban, Dabigatran, Rivaroxaban) haben einige praktische Vorteile gegenüber VKA, z.B. weniger Arzneimittel- und Nahrungsmittelinteraktionen, ein schneller Wirkungseintritt und -verlust sowie seltenere Laborkontrollen. Daher sind DOAK auch für die Indikation APS interessant. Die EULAR rät jedoch speziell von der Anwendung von Rivaroxaban bei APS und hohem APA-Risiko ab (1b/B). Eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) mit 120 Patienten wurde 2018 vorzeitig abgebrochen, weil es im Rivaroxaban-Arm im Vergleich zu Warfarin vermehrt zu TE und Blutungen gekommen war (TRAPS-Studie: 19% vs. 3%; 7). Ausserdem gibt es mehrere Fallberichte, wonach es nach Umstellung von VKA auf DOAK (Rivaroxaban, Dabigatran) zu erneuten, teils dramatischen TE gekommen ist (13, 14).
In einem Rote-Hand-Brief wird die Anwendung von DOAK bei Hochrisikopatienten mit APS nicht empfohlen (8), und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) verpflichtete 2019 die Hersteller aller DOAK, eine entsprechende Warnung in die Fachinformationen aufzunehmen (9). Nach der EULAR sollen DOAK bei APS nur noch eingesetzt werden, wenn die Gerinnungshemmung mit VKA nicht verlässlich einstellbar ist oder Kontraindikationen für VKA bestehen (Expertenkonsens). Diese ablehnenden Empfehlungen werden durch ein aktuelles systematisches Review (SR) aus Portugal bestätigt (10).
Methodik: Die Autoren des SR suchten in 3 Datenbanken (MEDLINE, CENTRAL und „Web of Science“) nach RCT und retro- sowie prospektiven Beobachtungsstudien, in denen DOAK mit VKA bei erwachsenen Patienten mit APS verglichen wurden. Die Art des APS (primär vs. sekundär), der zuvor aufgetretenen TE (venös, arteriell, mikrovaskulär) und das APA-Risikoprofil waren für die Studienauswahl irrelevant. Als Endpunkte des SR wurden erneute TE, Blutungsereignisse sowie die Mortalität gewählt. Das SR folgte den Prinzipien von MOOSE und PRISMA, das Verzerrungsrisiko wurde an Hand des Cochrane Risk of Bias Tool (für RCT) und ROBINS-I-Tool (für Beobachtungsstudien) ermittelt.
Ergebnisse: Bei der primären Suche im März 2020 wurden 357 Publikationen gefunden, von denen 350 ausgeschlossen wurden, weil es sich um Duplikate oder Hintergrundartikel handelte, die Einschlusskriterien nicht erfüllt waren oder andere Medikamente bzw. andere Endpunkte verwendet wurden. Von den verbliebenen 7 Studien (Publikation zwischen 2016-2019) waren 3 offene RCT, eine Posthoc-Subgruppenanalyse von 3 RCT, 2 prospektive Kohortenstudien und eine retrospektive Kohortenstudie. Insgesamt gingen die Daten von 835 Patienten in das SR ein (64% Frauen, mittleres Alter 42-51 Jahre) mit 395 Probanden im Interventions- und 440 im Kontroll-Arm. In den Interventionsgruppen wurde überwiegend Rivaroxaban gegeben (n = 265), 75 erhielten Dabigatran, 43 Apixaban und 12 Edoxaban. In den Kontrollgruppen wurde meist Warfarin verordnet, in einer Studie war der verwendete VKA nicht definiert.
Die Nachbeobachtungszeit lag zwischen 210 Tagen und 60 Monaten. Es wurden 74 TE-Ereignisse registriert, d.h. knapp jede/r Zehnte hatte trotz OAK erneut eine TE, meist venöse Thrombosen. Mit DOAK wurden 43 TE registriert, davon 28 arterielle (7 Myokardinfarkte, 20 Schlaganfälle bzw. TIA). Mit VKA wurden 31 TE registriert, davon 13 arterielle (1 Herzinfarkt, 8 Schlaganfälle bzw. TIA). Das relative Risiko für eine TE war unter DOAK signifikant höher (RR: 1,69; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,09-2,62). Außerdem ging die Behandlung mit DOAK vermehrt mit schweren Blutungen (RR: 1,22; CI: 0,72-2,07) und mit einer höheren Mortalität einher (RR: 1,17; CI: 0,48-2,84).
In Subgruppenanalysen zeigte sich, dass in den Studien mit sog. „robuster Methodik“ (RCT bzw. Studien mit hoher APS-Diagnosesicherheit) das relative TE-Risiko mit DOAK noch höher (RR: 2,42 bzw. RR: 3,18) und dass besonders Rivaroxaban mit einem hohen TE-Risiko verbunden war (RR: 3,36). Erwähnenswert ist auch die Beobachtung, dass in den Studien mit hohem Anteil an dreifach Autoantikörper-positiven Patienten insgesamt mehr Blutungskomplikationen beobachtet wurden als in Studien mit einem geringeren Anteil von Patienten mit diesem APA-Risikoprofil.
Die „Risk of Bias“-Analyse ergab bei 3 Studien „einige Bedenken“ und in 4 Studien „schwerwiegende Bedenken“ bezüglich relevanter Verzerrungen. Die Sicherheit des Ergebnisses wird daher von den Autoren des SR als „sehr gering“ bewertet. Bevor der Stab über DOAK bei APS endgültig gebrochen wird, seien daher die Ergebnisse aus zwei laufenden RCT abzuwarten: ASTRO-APS mit Apixaban bei 200 APS-Patienten nach venöser TE (11) und RISAPS mit hochdosiertem Rivaroxaban (2 x 15 mg) bei 140 APS-Patienten nach Schlaganfall (12).
Anders als beim Vorhofflimmern sind DOAK beim APS also keine gleichwertige Alternative zu VKA. Es gibt viele mögliche Erklärungen hierfür. Die plausibelste liegt in der Pharmakodynamik. Antiphospholipid-Antikörper interagieren auf mehreren Ebenen mit der Blutgerinnung. Sie verzögern die Thrombinbildung, aktivieren Thrombozyten und beeinträchtigen die Fibrinolyse. VKA zielen auf mehrere Gerinnungsfaktoren (II, VII, IX, X, Protein C) ab, DOAK nur auf einen (Thrombin bzw. Faktor Xa). Daher könnten sie bei einem APS weniger wirksam sein. Ein Umstellen von VKA auf DOAK, beispielsweise auf Wunsch des Patienten oder weil DOAK praktischer zu handhaben sind, ist eine Abschwächung der Gerinnungshemmung und kann zumindest bei Hochrisiko-APS fatale Folgen haben.
Literatur
- Garcia, D., et al.: N. Engl. J. Med. 2018, 378, 2010. Link zur Quelle
- Radin, M., et al.: Arthritis Rheumatol. 2020, 72, 1774. Link zur Quelle
- Ruiz-Irastorza, G., et al.: Lancet 2010, 376, 1498. Link zur Quelle
- Andreoli, L., et al.: Arthritis Care Res. (Hoboken) 2013, 65, 1869. Link zur Quelle
- Tektonidou, M.G., et al.: Ann. Rheum. Dis. 2019, 78, 1296. Link zur Quelle
- AMB 2016, 50, 08. Link zur Quelle
- Pengo, V., et al. (TRAPS = Rivaroxaban in ThRombotic AntiPhospholipid Syndrome): Blood 2018, 132, 1365. Link zur Quelle
- https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/ DE/RHB/2019/rhb-doaks.html Link zur Quelle
- https://www.ema.europa.eu/en/documents/ prac-recommendation/prac-recommendations -signals-adopted-8-11- april-2019-prac-meeting_en.pdf Link zur Quelle
- Koval, N., et al.: RMD Open 2021, 7, e001678. Link zur Quelle
- ASTRO–APS = Apixaban for Secondary prevention of ThROmboembolism among patients with AntiphosPholipid Syndrome. Link zur Quelle
- RISAPS = RIvaroxaban für Schlaganfallpatienten mit AntiPhospholipid-Syndrom. Link zur Quelle
- Schaefer, J.K., et al.: Thromb. Haemost. 2014, 112, 947. Link zur Quelle
- Joshi, A., et al.: Clin. Med. Res. 2017, 15, 41. Link zur Quelle