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Verlängerte Gerinnungszeiten bei leichtgewichtigen Patienten unter direkten oralen Antikoagulanzien

Rhythmologen von der Universität Tokio bemerkten bei einer Patientin, die wegen Vorhofflimmerns eine Katheterablation erhalten sollte und mit der üblichen Dosis Rivaroxaban antikoaguliert war, bei präoperativen Laborwerten eine aPTT (aktivierte partielle Thromboplastinzeit) > 100 Sek. (Normwert 24,5-39,7 Sek.). Sie konnten keinen Grund für diese exzessive Verlängerung erkennen und nahmen dies zum Anlass, nach der Häufigkeit und möglichen Ursachen solcher „exzessiven Verlängerungen“ von aPTT und PZ (Prothrombinzeit) bei Patienten mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) zu suchen (1).

Die beiden globalen Gerinnungs-Tests aPTT und PZ korrelieren bekannterweise schlecht mit den Serumkonzentrationen der DOAK bzw. deren antithrombotischer Aktivität. Daher werden sie für das Monitoring der Therapie als ungeeignet angesehen. Leider gibt es aber nach wie vor keine Routine-Gerinnungstests, die die Wirkung der DOAK optimal abbilden. Zur Abschätzung von Adhärenzproblemen (Nichteinnahme) und subtherapeutischen Dosierungen werden jedoch aPTT und PZ verwendet. Möglicherweise zeigen ja „exzessive Verlängerungen“ doch ein erhöhtes Blutungsrisiko an.

Methodik: Die klinisch tätigen Autoren analysierten retrospektiv die routinemäßig bestimmten Gerinnungswerte aPTT und PZ von 1.521 Patient(inn)en (65% Männer, mittleres Alter 66 ± 12 Jahre) mit nicht valvulärem Vorhofflimmern und DOAK-Behandlung, die in den zurückliegenden 5,5 Jahren an ihrem Zentrum behandelt worden waren. Apixaban hatten 34,8% erhalten, 29,4% Rivaroxaban, 27,2% Dabigatran und 8,6% Edoxaban. Bei 64% wurde die verordnete DOAK-Dosis nach Aktenlage als angemessen bewertet, bei 31% wurde die Dosis als zu gering eingeschätzt und bei 5% als zu hoch.

Ergebnisse: Als „exzessive Verlängerung“ von PZ bzw. aPTT wurde eine Verlängerung um > 2 Standardabweichungen definiert. Die absoluten Grenzwerte für diese Definition variierten etwas zwischen den vier DOAK. Sie betrugen für Dabigatran 16,8 bzw. 63,6 Sek., für Rivaroxaban 22,8 bzw. 59,4 Sek., für Apixaban 17,7 bzw. 48,2 Sek. und für Edoxaban 16,7 bzw. 50,0 Sek. Insgesamt überschritten 88 Patienten (5,8%) diese definitorischen Grenzen („exzessive Verlängerung“). Bei 53 von diesen Patienten wurde nach Ursachen hierfür gesucht. Bei 27% fanden sich Anti-Phospholipid-Antikörper, bei 8% ein spezieller Mangel von Gerinnungsfaktoren, 11% wurden mit einer zu hohen DOAK-Dosis behandelt, und 6% hatten eine Leberinsuffizienz. Bei knapp der Hälfte (48%) der Patienten mit stark verlängerter PZ oder aPTT wurde keine Ursache hierfür gefunden.

Eine multivariate Analyse ergab, dass 2 Faktoren unabhängig mit einer „exzessiven Verlängerung“ assoziiert waren: eine zu hohe Dosierung (Odds Ratio = OR: 2,29; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,17-4,50; p = 0,016) und ein Körpergewicht von ≤ 60 kg (OR: 2,12; CI: 1,20-3,72; p = 0,009).

In der Nachbeobachtungszeit (Median: 8,9 Monate; Spanne: 1 Tag bis 89 Monate) erlitten insgesamt 85 Patienten (5,6%) eine Blutungskomplikation, davon 24 (1,6%) eine Major-Blutung. Bei 16% der Patienten mit „exzessiver Verlängerung“ (14 von 88) kam es zu einer Blutung vs. 5% bei Patienten mit erwartbarer Verlängerung der aPTT bzw. PZ (71 von 1.433). Dieser Unterschied war signifikant (p = 0,0002) und weist nach Einschätzung der Autoren darauf hin, dass eine so definierte „exzessive Verlängerung“ ein Risikomarker für Blutungskomplikationen ist, der aus Sicherheitsgründen einer Reaktion bedarf. Sie schlagen vor, dass DOAK-Patienten mit stark verlängerter aPTT oder PZ bei einem Körpergewicht ≤ 60 kg eine reduzierte DOAK-Dosis erhalten sollten oder dass das DOAK sogar ganz abgesetzt wird. Außerdem sollten Patienten mit stark verlängerter aPTT oder PZ und normalem Gewicht und angemessener DOAK-Dosis auf spezielle Gerinnungsstörungen wie Anti-Phospholipid-Antikörper getestet werden.

Zurzeit ist Apixaban (Eliquis®) das einzige DOAK, bei dem das Körpergewicht für eine Dosisanpassung berücksichtigt ist. Gemäß der Fachinformation wird zur Antikoagulation bei nicht valvulärem Vorhofflimmern eine Dosisreduktion u.a. empfohlen bei mindestens zwei von folgenden drei Kriterien: Serum-Kreatinin ≥ 1,5 mg/dl (133 µmol/l), Alter ≥ 80 Jahre, Körpergewicht ≤ 60 kg (2).

Diskussion: Die Aussagekraft dieser durch öffentliche Gelder finanzierten Studie wird eingeschränkt nicht nur durch die Tatsache, dass sie aus nur einem Zentrum stammt und retrospektiv ist, sondern auch durch weitere Mängel. So wurden leider keine DOAK-Serumspiegel oder DOAK-spezifische Gerinnungstests (z.B. Ecarin Clotting Time für Dabigatran oder Anti-Xa-Aktivität für die drei Faktor-Xa Antagonisten) durchgeführt, was die Bedeutung des Befunds „exzessive Verlängerung“ klarer machen würde. Auch die ermittelten Grenzwerte sind zu hinterfragen, da weder die Zeit zwischen Einnahme des DOAK und dem Zeitpunkt des Gerinnungstests berücksichtigt werden konnte, noch die Einnahmetreue. Es ist einerseits möglich, dass ein Teil der verlängerten aPTT- und PZ-Werte auf Messungen unmittelbar nach Einnahme der DOAK zurückgehen (Spitzenspiegel), und andererseits, dass die Werte durch nicht adhärente Patienten nach unten verschoben wurden. Zudem ist fraglich, ob das an Japanern gewonnene Ergebnis aus Gründen der Pharmakogenetik auch auf Mitteleuropäer übertragbar ist.

Fazit: In einer retrospektiven Single-Center-Studie aus Tokio wurden bei 5,8% der Patienten, die in der Indikation nicht valvuläres Vorhofflimmern mit verschiedenen DOAK behandelt wurden, exzessiv verlängerte Gerinnungszeiten (aPTT und/oder PT) gefunden. Nach einer multivariaten Analyse war dies mit unangemessen hohen DOAK-Dosen und einem niedrigen Körpergewicht (≤ 60 kg) assoziiert. Patienten mit stark verlängerter aPTT und/oder PZ hatten dreimal häufiger Blutungskomplikationen als bei zu erwartenden Messwerten (16% vs. 5%). Die Autoren empfehlen, bei DOAK-Patienten mit stark verlängerter PZ oder aPTT und einem geringen Körpergewicht die DOAK-Dosis aus Sicherheitsgründen zu reduzieren und bei normalem Gewicht auf Gerinnungsstörungen zu testen – wie beispielsweise ein Anti-Phospholipid-Antikörper-Syndrom, bei dem der Einsatz von DOAK nicht empfohlen wird (3). Hinsichtlich der Dosierungen raten wir – beim derzeitigen Kenntnisstand – den Vorgaben in den Fachinformationen genau zu folgen und sie nicht zu reduzieren, falls nicht angezeigt.

Literatur

  1. Kawabata, M., et al.: Can. J. Cardiol.: 2019, 35, 736. Link zur Quelle
  2. Fachinformation Eliquis® 5 mg Filmtabletten. Stand Juli 2019. Link zur Quelle
  3. https://www.bfarm.de/SharedDocs/ Risikoinformationen/Pharmakovigilanz /DE/RHB/2019/rhb-doaks.html Link zur Quelle