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Wichtige unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen in der Kardiologie

Zusammenfassung: Polymorbidität führt zwangsläufig zur Polypharmakotherapie. Dem Arzt müssen daher nicht nur die Wirkungen und Nebenwirkungen der einzelnen Medikamente bekannt sein, sondern auch ihre wichtigsten unerwünschten Wechselwirkungen. Wechselwirkungen sind besonders dann zu erwarten, wenn Arzneimittel in den selben Regelkreis eingreifen oder dieselben Resorptions- und Abbauwege haben. Solche Medikamente sollten nicht gleichzeitig angewandt werden, vor allem wenn bedrohliche Nebenwirkungen (z.B. Rhabdomyolyse oder Herzrhythmusstörungen) zu erwarten sind. Auch „Naturstoffe“ (Johanniskraut, Grapefruitsaft) können wirksam in den Arzneimittelmetabolismus eingreifen. Die Gefahren unerwünschter Arzneimittelwechselwirkungen unterstreichen den Grundsatz: so wenig Medikamente wie möglich. Ein weggelassenes Medikament verhindert möglicherweise viele Arzneimittelinteraktionen.

Das mittlere Lebensalter von Krankenhauspatienten mit Herz-/Kreislauf-Erkrankungen ist etwa 70 Jahre. Häufig leiden diese Patienten an mehreren Krankheiten gleichzeitig. Polypharmakotherapie ist daher die Regel. Es ist zu erwarten, daß häufig verordnete Medikamente auch häufig gemeinsam verordnet bzw. eingenommen werden. Je größer die Zahl der Medikamente, desto größer die Zahl möglicher Wechselwirkungen: werden zwei Medikamente gleichzeitig gegeben, ist nur eine Wechselwirkung möglich. Bei drei Medikamenten sind es drei, bei vier sind es sechs, bei fünf sind es zehn. Der Anstieg ist hyperbolisch. Die Tab. 1 zeigt als wahrscheinlich repräsentatives Beispiel die Häufigkeit von Medikation und Komedikation von 100 konsekutiven Patienten bei Entlassung aus der kardiopulmologischen Abteilung des Städt. Krankenhauses Reinickendorf im Jahre 1998 (9). Azetylsalizylsäure (ASS), ACE-Hemmer und Thiazide waren die häufigsten Kombinationspartner. Fast immer wurden die Medikamente gemeinsam mit anderen verordnet.

In einer Übersicht über 39 Studien, in die insgesamt 62480 Krankenhauspatienten eingingen, gibt Lazarou in 15,1% Nebenwirkungen an, 6,7% ernste und 0,3% tödliche. Daraus wird errechnet, daß in den USA jährlich 106000 Menschen an Arzneimittelnebenwirkungen im Krankenhaus sterben (1). Nach einer Beobachtung in Frankreich wurden 10,9% der Patienten einer gemischt chirurgisch-internistischen Intensivstation wegen Arzneimittelnebenwirkungen aufgenommen (Herzrhythmusstörungen bei Hypo- oder Hyperkaliämie, akutes Nierenversagen, Dehydration, Blutungen, Herzinsuffizienz usw.; 2). Arzneimittel sind also nicht nur Heilmittel, sondern auch ein wichtiger krankmachender Faktor.

Häufig sind es unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen, die zur klinisch relevanten Komplikation führen, z.B. Antikoagulanzien plus nichtsteroidale Antirheumatika, Diuretika plus Digitalis. Bei unerwünschten Wechselwirkungen werden Wirkungen und/oder Nebenwirkungen einer Substanz quantitativ oder qualitativ verändert, indem eine zweite Substanz die Resorption, Verteilung, Eiweißbindung, Stoffwechsel oder Ausscheidung beeinflußt oder aber in Synergismus bzw. Antagonismus am Rezeptor oder Regelkreis eingreift. Es ist unmöglich, hier auf alle klinisch bedeutsamen Wechselwirkungen systematisch einzugehen. Einige Beispiele sollen aber dazu dienen, auf ein Problem aufmerksam zu machen, das in der Praxis der Pharmakotherapie häufig unzureichend beachtet wird.

Azetylsalizylsäure plus ACE-Hemmer:
Die wichtigste unerwünschte Wechselwirkung der ACE-Hemmer ist (die Verstärkung der) Hyperkaliämie bei gleichzeitiger Gabe von kaliumsparenden Diuretika (3). Auch bei Kombination von ACE-Hemmern mit nichtsteroidalen Antirheumatika und mit Co-trimoxazol ist die gefahr der Hyperkaliämie erhöht. Nichtsteroidale Antirheumatika können auch die Wirkung der ACE-Hemmer verringern. ACE-Hemmer hemmen nicht nur die Umwandlung von Angiotensin I in Angiotensin II, sondern auch den Abbau von Bradykinin. Dies ist für ihre antihypertensive Wirkung mitverantwortlich, denn Bradykinin steigert die Konzentration vasodilatierender Prostaglandine. ASS und andere nichtsteroidale Antirheumatika hemmen die Synthese der Prostaglandine und damit auch die Wirkung der ACE-Hemmer. In einer Untersuchung von Hall (4) waren die Wirkungen von 10 mg Enalapril nach Gabe von 350 mg ASS nicht mehr nachweisbar. In einer Untersuchung von Spaulding (5) wurde nach einer Kombinationstherapie von Enalapril plus Ticlopidin der systemische Gefäßwiderstand signifikant gesenkt. In der Kombination Enalapril plus ASS war die Senkung nicht signifikant. Andere Untersucher kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen (6, 7, 8). Heumann (9) konnte nachweisen, daß auch mit der heute zur Hemmung der Thrombozytenaggregation üblichen Dosis von 100 mg ASS die ACE-Hemmer-Wirkung eingeschränkt wird: bei 25 Patienten mit Herzinsuffizienz und/oder Hypertonie sank unter der Therapie mit Fosinopril der mittlere arterielle Druck von 96 auf 90 mmHg. Nach Zugabe von ASS stieg der Mitteldruck um 2 mmHg, d.h. ein Drittel der Wirkung wurde aufgehoben. Zwar war die Wirkungsabschwächung in einer anderen Patientengruppe weniger deutlich, bei der zuerst ASS und dann der ACE-Hemmer gegeben wurde. Insgesamt ist dies aber zusammen mit den übrigen Hinweisen in der Literatur eine Bestätigung dafür, daß ASS und ACE-Hemmer keine idealen Kombinationspartner sind.

Digoxin plus Johanniskraut-Präparate:
Die häufigsten Interaktionen, die zu einer stärkeren Digitaliswirkung führen können, sind die mit Ciclosporin, Chinidin, Erythromycin und Amiodaron sowie das erhöhte Arrhythmierisiko bei Hypokaliämie durch Diuretika. Substanzen, welche die Wirkung der Herzglykoside abschwächen können, sind Colestyramin, Neomycin, Rifampicin und andere (3). Daß auch Phytopharmaka – in der Öffentlichkeit häufig für frei von Nebenwirkungen und Interaktionen gehalten – unerwünschte Wechselwirkungen mit Arzneimitteln haben können, zeigt eine sehr sorgfältige Studie einer Arbeitsgruppe der Charité in Berlin: die gleichzeitige Gabe eines Johanniskraut-Präparats plus Digoxin senkte signifikant die maximalen und minimalen Digoxin-Plasmakonzentrationen (am 1. und am 10. Tag der Komedikation gemessen; 10). „Naturprodukte“ sind also keineswegs harmlos, wie manche glauben oder glauben machen wollen. Sie müssen bei der Differentialdiagnose von Arzneimittelneben- und -wechselwirkungen durchaus mitbedacht werden. Dies gilt z.B. auch für Grapefruitsaft, der die Bioverfügbarkeit von Terfenadin, Triazolam und Ciclosporin erhöhen kann (Tab. 3; Übersicht bei 17).

Interaktionen mit Sildenafil: Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind 17 bedrohliche Zwischenfälle nach Gebrauch von Sildenafil (Viagra) bekannt geworden. Fast immer wurden zusätzlich noch andere Medikamente eingenommen. Sildenafil wird über Enzyme des Zytochrom-P450-Systems (CYP450) abgebaut. Bei Einnahme von Medikamenten, die ebenfalls diesen Abbauweg haben, erhöht sich dessen Plasmakonzentration. Darüber hinaus kommt es bei gleichzeitiger Einnahme dieses Phosphodiesterase-Hemmstoffs mit Nitraten oft zur deutlichen Blutdrucksenkung, die bei herzkranken Patienten bedrohlich werden kann (19). Daher ist das BfArM jetzt aufgefordert worden, ein Überprüfungsverfahren einzuleiten (11). Das Institut verfolgt in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft seit langem die Häufigkeit von Meldungen über Nebenwirkungen.

Wechselwirkungen mit Statinen: Die klinisch wichtigste Interaktion der Statine ist die mit Phenprocoumon (Marcumar). Es kann zu einer Verlängerung der Prothrombinzeit kommen (3). Eine bekannte Nebenwirkung ist außerdem die Rhabdomyolyse bzw. das Myositis-Syndrom. Es tritt abhängig von der Konzentration der Statine im Blut auf; diese ist wiederum abhängig von der oral verabreichten Dosis, der Resorptionsquote und dem Metabolismus beim ersten Darm- und Leberdurchgang. Änderungen der Pharmakokinetik haben also Einfluß auf die Wirkkonzentration. Eine Übersicht bringt Tab. 2. Der Abbau der Statine geschieht durch CYP450 (12, 13, 14). Es handelt sich um Oxygenasen, die in einer ersten Phase des Arzneimittelabbaus funktionelle Gruppen (z.B. OH-Gruppen) in das Molekül einbringen. Dadurch wird dieses polarisiert und für die Konjugation mit Säuren und für den weiteren Abbau vorbereitet. Beim Menschen sind 17 CYP450-Isoenzyme bekannt; die wichtigsten sind in Tab. 3 aufgeführt zusammen mit den Substraten, die sie verstoffwechseln und mit den Stoffen, durch die sie in ihrer Aktivität gehemmt oder induziert werden können (16). Ob eine Substanz Substrat oder Hemmstoff ist, hängt u.a. von ihrer Affinität zum Enzym ab. Je höher die Affinität, desto größer ist die Belegung des Enzymsystems und desto geringer ist die Restaktivität, die zur Metabolisierung anderer Substanzen zur Verfügung steht. In dieser Situation werden sie initial in geringerem Maße metabolisiert und finden sich infolge dieser Interaktion in höherer Konzentration im Blut. Die Abbauleistung hängt aber nicht nur von der Affinität des Substrats zum Enzym ab, sondern auch von der Geschwindigkeit des Umsatzes am Enzym, von der Konzentration der Substrate am Enzym und schließlich auch von der Durchblutung der Leber. Es existiert also ein kompliziertes System von Abhängigkeiten, das die Vorhersage einer Medikamentenkonzentration im Blut besonders dann schwierig macht, wenn gleichzeitig eingenommene Stoffe über dasselbe Zytochrom-System abgebaut werden. Je höher der von den CYP450 bei Darm- und Leberpassage verstoffwechselte Anteil, je niedriger also die Bioverfügbarkeit der Originalsubstanz, desto wahrscheinlicher ist der Einfluß von anderen Zytochrom-Substraten oder -Hemmstoffen. So wurden speziell unter Lovastatin (Mevinacor) und Simvastatin (Denan, Zocor) Rhabdomyolysen beobachtet bei gleichzeitiger Einnahme von Erythromycin oder Gemfibrozil (Gevilon). Mibefradil, ein Kalziumantagonist, wurde vom Markt genommen wegen Interaktionen von Simvastatin und Lovastatin mit den CYP450-Isoenzymen 3A4 und 2D6 (s.a. 20).

Sicher sind die unerwünschten Wechselwirkungen, die in die Produktinformation eingehen, nur die Spitze vom Eisberg. Es ist also wichtig, nicht nur die Nebenwirkungen, sondern auch die Abbauwege von Medikamenten zu kennen, speziell wenn bedrohliche Nebenwirkungen, wie Rhabdomyolyse oder Verlängerung der QT-Zeit, durch Interaktionen mit anderen Arzneimitteln möglich oder häufiger sind.

Verlängerung der QT-Zeit als Arzneimittelwechselwirkung: Viele Medikamente führen zu einer Verlängerung der QT-Zeit (15; 18; Übersicht s. Tab. 4), was von ungeübten EKG-Befundern leicht übersehen wird. Dies ist jedoch sehr gefährlich, denn es kann zu einer charakteristischen, polymorphen, ventrikulären Tachykardie kommen, die nicht selten in Kammerflimmern übergeht: Torsade des Pointes (s.a. 18). Diese Rhythmusstörung wurde z.B. auch als Nebenwirkung von Mibefradil erkannt und war mitverantwortlich dafür, daß diese Substanz vom Markt genommen wurde. Die in Tab. 4 aufgeführten Medikamente werden überwiegend über die Isoenzyme 2D6 und 3A4 von CYP450 abgebaut. Sie dürfen also nicht miteinander kombiniert oder mit anderen Medikamenten gemeinsam gegeben werden, die ebenfalls über diese Zytochrome abgebaut werden. Es drohen plötzliche Todesfälle, die dann möglicherweise nicht einmal als Arzneimittelnebenwirkungen erkannt werden. Die Dunkelziffer ist hier sicher groß. Wenn z.B. ein Patient mit einer gastrointestinalen Infektion gleichzeitig mit einem Makrolid und Cisaprid behandelt wird und plötzlich stirbt, könnte eine Herzrhythmusstörung auf dem Boden einer QT-Zeit-Verlängerung dahinterstecken, die wiederum auf eine Arzneimittelwechselwirkung zurückzuführen ist.

Literatur

1. Lazarou, J., et al.: JAMA 1998, 279, 1200.
2. Darchy, B., et al.: Arch. Intern. Med.1999 159, 71.
3. Müller-Oerlinghausen, B., Lasek, R., Düppenbecker, H., Munter, K.-H.: Handbuch der unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Urban & Fischer, München 1999.
4. Hall, D., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 1992, 20, 1549.
5. Spaudling, C., et al.: Circulation 1998, 98, 757.
6. Baur, L.H., et al.: Br. Heart J. 1995, 73, 227.
7. Bhagat, K., et al.: Circulation 1995, 92, 2113.
8. Evans, M.A., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 1995, 25, 1445.
9. Heumann, E.: Die Interaktion von niedrigdosierter Acetylsalicylsäure und ACE-Hemmern. Promotion Freie Universität Berlin 1999.
10. Johne, A., et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 1999, 66, 338.
11. Focus vom 17.1.2000. S. 15.
12. Fuhr, U.: Med. Klinik 1999, 94, 120.
13. Pauli-Magnus, L., und Eichelbaum, M.: Arzneimitteltherapie 1998, 11, 343.
14. Bertz, R.J., und Grannemann, G.R.: Clin. Pharmacokinet. 1997, 32, 210.
15. Tan, H.L., et al.: Ann. Intern. Med. 1995, 122, 701.
16. Arzneiverordnungen. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Deutscher Ärzte Verlag. Köln 2000. 19. Aufl., S. 851.
17. AMB 1997, 31, 89.
18. AMB 1992, 26, 6; 1993, 27, 62; 1995, 29,32; 1997, 31, 32a und 55b.
19. AMB 1998, 32, 44.
20. AMB 1998, 32, 56a.

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