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Hormonersatz-Therapie („HRT”) nach dem Sturm

Zusammenfassung: Seit Veröffentlichung der amerikanischen Women’s-Health-Initiative (WHI)-Studien und der britischen Million-Women (MWS)-Studie wurden die Empfehlungen zur Behandlung von Frauen mit klimakterischen Beschwerden geändert, was zu heftigen Abwehrreaktionen der generellen „HRT”-Befürworter geführt hat. Die WHI-Studien haben gezeigt, dass in ihren untersuchten Kollektiven – anders als in älteren epidemiologischen Studien – die „HRT” nicht vor Herzinfarkten und Schlaganfällen schützt, sondern deren Inzidenz eher erhöht. Außerdem nahm bei kombinierter Einnahme von Östrogenen und Gestagenen, nicht jedoch von Östrogenen allein, das Risiko für Mammakarzinom zu. Nach Ergebnissen der MWS erhöhen auch Östrogene allein das Risiko für Mammakarzinom leicht. Bei Frauen > 60 Jahre ist die Inzidenz fast aller Erkrankungen, deren Relatives Risiko durch Östrogene erhöht wird, höher als bei Frauen im früh-postmenopausalen Alter. Das absolute Risiko, durch die „HRT” eine UAW zu erleiden, ist bei älteren Frauen höher als bei jüngeren.

Eine „HRT” sollte jetzt nur noch für eine begrenzte Zeit bei peri-/post-menopausalen Frauen mit starken klimakterischen Beschwerden durchgeführt werden, wenn keine Kontraindikationen vorliegen und die Frau dies nach Aufklärung über die Risiken wünscht. Eine Langzeittherapie mit Östrogenen zur Behandlung einer Osteoporose ist nur noch selten bei Unverträglichkeit anderer Therapeutika indiziert. Östrogene sollen nicht mehr zur Verhütung anderer Alterserkrankungen verordnet werden. Statt oder nach einer systemischen „HRT” ist eine lokale Therapie zur Verhinderung von Beschwerden im Bereich von Vagina und Vulva mit Östriol weitgehend frei von UAW. Es werden praktische Hinweise gegeben für alternative Therapien bei Hitzewallungen und für das Ausschleichen der „HRT”, um nach deren Beendigung das Wiederauftreten klimakterischer Beschwerden zu verhindern.

Wir haben in den letzten Jahren oft über neue klinische Studien und die sich ändernden Empfehlungen zur so genannten Hormonersatz-Therapie („HRT”) bei Frauen im Klimakterium berichtet. Wir setzen den Begriff HRT in Anführungszeichen, da es sich nicht um eine typische Ersatztherapie, wie z.B. mit L-Thyroxin bei der Hypothyreose handelt (1). Bis zur Jahrtausendwende wurde von Gynäkologen und anderen Ärzten die peri- und postmenopausale Östrogen/(Gestagen)-Anwendung vielen Frauen auch ohne wesentliche klimakterische Beschwerden empfohlen, weil mehrere epidemiologische (Fall/Kontroll- und Kohorten-) Studien dafür sprachen, dass diese Therapien vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Morbus Alzheimer, Alterung von Haut und Haaren, Osteoporose etc. schützen. Dass die „HRT” ein erhöhtes Thromboembolie- und möglicherweise Brustkrebs-Risiko zur Folge hat, wurde schon seit einigen Jahrzehnten vermutet (1).

Um diese Ergebnisse mit einer kontrollierten Studie zu überprüfen, wurde in den USA aus Steuermitteln eine umfangreiche prospektive, doppeltblinde, randomisierte Studie (Women’s Health Initiative = WHI) finanziert. Sie wurde nach etwas mehr als fünf Jahren bei Frauen, die Östrogene plus Gestagene (Ö+G) eingenommen hatten, wegen eines statistisch signifikant erhöhten Brustkrebsrisikos (2) und bei Frauen ohne Uterus, die nur Östrogene eingenommen hatten, nach knapp sieben Jahren wegen eines signifikant erhöhten Schlaganfallrisikos (3) vorzeitig abgebrochen. Bei Frauen mit Ö+G-Einnahme war zudem bei Studienende die Inzidenz von Myokardinfarkten und Schlaganfällen leicht, aber signifikant, erhöht, so dass die eigentliche Fragestellung der Studie (schützen diese Hormone vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen?) negativ beantwortet war (2). Wie in unserem Leitartikel vom März 2001 (1) ausgeführt, sind die Diskrepanzen zwischen Ergebnissen von epidemiologischen Studien, besonders der amerikanischen Nurses’ Health Study, und den WHI-Studien, vermutlich in erster Linie auf einen „healthy user bias” in Kohortenstudien zurückzuführen, d.h. auf die später ermittelte Tatsache, dass Frauen, die (freiwillig, nicht randomisiert) Hormone einnahmen, a priori gesünder waren und gesundheitsbewusster lebten als die Frauen der Kontroll-Gruppe.

Die WHI-Studien und die kurz danach in Großbritannien publizierte MWS, letztere beschränkt auf die Beziehung zwischen „HRT” und Inzidenz von Mamma- und Endometrium-Karzinomen (4, 5), haben einen Paradigmenwechsel hinsichtlich der Empfehlungen zur „HRT” eingeleitet, nicht ohne zuvor zu einem Sturm der Entrüstung auf Seiten der universalen „HRT”-Befürworter geführt zu haben. Hiermit ist das Wort „Sturm” im Titel des Artikels erklärt.

An beiden erwähnten großen Studien ist zum Teil berechtigte Kritik geäußert worden. Hauptproblem der WHI-Studien ist das relativ hohe Alter der Frauen bei Studienbeginn (ca. 63 Jahre). Inzwischen liegen aber zu den meisten Endpunkten der WHI-Studie separate und in der Tendenz gleiche Ergebnisse für die Altersgruppe von 50-59 Jahre vor, die für die Hauptindikation der „HRT”, nämlich klimakterische Beschwerden (Hitzewallungen und starkes Schwitzen), fast ausschließlich relevant ist. Hauptproblem der MWS war die Tatsache, dass das Ausfüllen von Erhebungsbögen zu früherer oder aktueller „HRT” bei Frauen, die zum Mammografie-Screening gingen, freiwillig war, so dass möglicherweise mehr Frauen, die um die Folgen ihrer „HRT” besorgt waren, die Fragebögen ausfüllten als solche, die keine „HRT” durchführten. Ergebnis dieser Studie war ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs nach „HRT”, mehr bei Anwendung von Ö+G als von Östrogenen allein. Auch Tibolon (Liviella®) war mit einem leicht erhöhten Brustkrebsrisiko belastet (4). Transdermales Östrogen (evtl. plus Gestagen) wurde nicht getrennt untersucht. Das Risiko für Endometrium-Karzinom war nur bei der alleinigen Einnahme von Östrogenen (ohne Gestagen) erhöht. Eine solche Therapie ist aber schon seit vielen Jahren bei Frauen mit vorhandenem Uterus kontraindiziert. Für Einzelheiten verweisen wir auf unsere weitgehend lückenlosen Kurzreferate der Studien im AMB (siehe Literaturverzeichnis).

Eine sehr wichtige Studie hinsichtlich des Risikos venöser Thromboembolien wurde im Jahr 2003 von Scarabin et al. (6) in Frankreich veröffentlicht. In ihrer multizentrischen Fall/Kontroll-Studie ergab es sich, dass die orale „HRT”, nicht aber die transdermale, das Risiko erhöht. Zwar handelte es sich nicht um eine prospektive randomisierte Untersuchung, jedoch entsprach das Relative Risiko (RR) für eine Thrombose bei Frauen unter oraler „HRT” mit 3,5 im Vergleich mit Nicht-Anwenderinnen den in kontrollierten Studien gefundenen Ergebnissen. Demgegenüber war das RR bei transdermaler Anwendung von Östrogenen oder Ö+G mit 0,9 nicht erhöht. Eine Überprüfung dieses Ergebnisses durch eine prospektive randomisierte Studie wäre sehr wichtig. Da auch für die Entstehung von Herzinfarkten und Schlaganfällen die prothrombotische Wirkung oral zugeführter Östrogene, die im First-pass-Effekt durch die Leber die Synthese verschiedener Gerinnungsfaktoren steigern, von Bedeutung ist, besteht die Hoffnung, dass transdermal zugeführte Östrogene (Pflaster, Gele) auch auf der arteriellen Gefäßseite zu weniger UAW führen als orale „HRT”-Präparate.

Tab. 1 fasst semiquantitativ die Ergebnisse der Studien zusammen, die den Paradigmenwechsel zur „HRT”-Indikation herbeigeführt haben, mit Gültigkeit auch für Frauen zwischen 50 und 59 Jahren. Die Plus- oder Minuszeichen beziehen sich auf Steigerung oder Abnahme relativer Risiken. Die absoluten Risiken, die eine oder andere UAW zu erleiden, sind sehr unterschiedlich. So ist zu bedenken, dass z.B. die Inzidenz des Endometriumkarzinoms in Kontroll-Gruppen viel geringer ist als die des Mammakarzinoms. Die absoluten Risiken der verschiedenen UAW sind z.T. auch stark altersabhängig, was wir am Beispiel der WHI-Studienergebnisse zu venösen Thromboembolien ausgeführt haben (7). Das absolute Risiko für eine Thrombose ist bei 50-59-jährigen Frauen der Kontroll-Gruppe etwa 80 pro 100000 Jahre, bei 70-79-Jährigen aber 250 pro 100000 Jahre. Bei gleich bleibendem Relativen Risiko von ca. 2,1 unter Anwendung oraler Ö+G zur „HRT” steigt das absolute Risiko bei den jüngeren Frauen um ca. 88 Thrombosen pro 100000 Jahre, bei den älteren aber um ca. 275 pro 100000 Jahre (7). Da die Inzidenz der meisten anderen in den Studien untersuchten Endpunkte (auch die des Mammakarzinoms) ebenfalls altersabhängig höher ist, ergibt sich schon hieraus das Gebot großer Zurückhaltung bei der Verordnung einer „HRT” bei älteren Frauen.

Insgesamt resultiert aus den Studien der letzten Jahre als wichtigste Erkenntnis, dass die „HRT”, speziell die orale mit konjugierten equinen Östrogenen (CEE) und Medroxyprogesteronacetat (MPA), nicht vor Herz/Kreislauf-Erkrankungen schützt, sondern das Risiko eher erhöht. In der WHI-Studie überwogen auch bei jüngeren Frauen die Risiken den Nutzen. Hieraus ergibt sich die Forderung, eine „HRT” nur noch bei Frauen im Klimakterium und in der frühen Postmenopause durchzuführen, wenn sie unter erheblichen klimakterischen Beschwerden leiden und sie diese Therapie nach Aufklärung über die Risiken wünschen. Weiterhin wird gefordert, die Therapie so kurz wie möglich und mit der niedrigsten wirksamen Hormondosis durchzuführen (8). Eine Östrogen-Langzeittherapie zur Behandlung einer Osteoporose oder zur Prophylaxe bei erheblichem Osteoporose-Risiko ist hiernach nur noch in seltenen Fällen indiziert, wenn andere Therapiemaßnahmen nicht in Frage kommen, und wenn die Patientin nach Aufklärung über die Risiken diese Therapie wünscht.

Im Folgenden soll zu einzelnen Aspekten der neuen Richtlinien Stellung genommen werden.

1. Behandlung von starken klimakterischen Beschwerden (Hitzewallungen und Schwitzen): Bei manchen Frauen sind diese Beschwerden so ausgeprägt, dass sie trotz sorgfältiger Aufklärung über die Risiken einer „HRT” eine solche wünschen. Differenzialdiagnostisch sind bei starken Hitzewallungen, manchmal mit starken Blutdruckschwankungen, ein Phäochromozytom oder ein anderer neuroendokriner Tumor sowie eine Hyperthyreose auszuschließen. Auch sollten familiäre und berufliche Faktoren berücksichtigt werden, die möglicherweise die Beschwerden verstärken. Vor Therapiebeginn sind das individuelle Thrombose- und Brustkrebsrisiko (Familien- und Eigenanamnese, körperliche Untersuchung) zu ermitteln. Bei Frauen mit sehr starken Beschwerden ist es nicht sinnvoll, die Therapie mit der kleinsten verfügbaren Dosis einer speziellen „HRT”-Form zu beginnen, da die Latenz zwischen Therapiebeginn und Nachlassen der Beschwerden zu groß wird. In dieser Situation ist es besser, initial eine mittlere oder hohe Dosis zu wählen und nach Besserung der Beschwerden diejenige niedrigere Dosis zu ermitteln, mit der die Beschwerden gut erträglich sind. Wir raten grundsätzlich dazu, die möglichen Vorteile der transdermalen Hormonapplikation zu nutzen, da durch Umgehen des First-pass-Effekts in der Leber die Syntheseinduktion vieler Proteine, die zu UAW führen können, vermieden wird. Sowohl die Östrogen-Therapie allein als auch die zyklisch-kombinierte mit Gestagenen oder die kontinuierlich-kombinierte sind transdermal möglich.

2. Dauer und Beendigung der „HRT”: Die Dauer der Therapie sollte in der Regel zwei bis drei Jahre, maximal fünf Jahre, nicht überschreiten. Nach 1-2 Jahren kann bereits versucht werden, die „HRT” auf die niedrigste mögliche Dosis zu senken. Das gelingt nicht immer, sollte aber angestrebt werden. Wenn bei einer niedrigen Dosis nur noch selten oder keine Hitzewallungen mehr auftreten, kann auch auf eine Dosierung jeden zweiten, später jeden dritten Tag übergegangen werden. Plötzliches Absetzen der „HRT” bei mittlerer oder hoher Dosierung ist unbedingt zu vermeiden, da die Hitzewallungen dann wieder verstärkt auftreten können und die Patientin den Eindruck gewinnt, dass sie von dieser Behandlung nicht wieder loskommt. Eine besondere kontinuierliche Form des Ausschleichens der „HRT” ist bei Verordnung von Östrogen-Gelen möglich, denn die tägliche Dosis kann stufenlos reduziert werden. Mit Gestagenen kombinierte Gele gibt es nicht. Man kann jedoch ein Gestagen (auch das oral zu verabreichende natürliche mikronisierte Progesteron = Utrogest®) parallel zu dem Gel anwenden, entweder in kontinuierlicher Kombination oder für 10-12 Tage pro Monat zyklisch. In letzterem Fall erfolgt meist eine monatliche uterine Blutung. Auf diese Weise lässt sich bei den meisten Frauen ein Wiederauftreten der Hitzewallungen nach Beendigung der „HRT” vermeiden oder minimieren. Diese Empfehlung ist aber nicht evidenzbasiert.

3. Prophylaxe der urogenitalen Atrophie: Da bald oder einige Jahre nach der Menopause Zeichen der Atrophie an Vagina und Vulva auftreten, kann Frauen, die keine systemische „HRT” benötigen oder wünschen, ohne große Bedenken die lokale intravaginale Anwendung von Östriol-Zäpfchen oder -Ovula, evtl. kombiniert mit einer Östriol-Creme für das äußere Genitale, verordnet werden. Die lokalen Wirkungen dieses systemisch nur schwach wirkenden Östrogens sind mit denen einer systemischen „HRT” vergleichbar (8). Mit systemischen UAW ist nicht zu rechnen. Östriol ist, systemisch angewendet, nicht wirksam gegen Hitzewallungen, obwohl solche Präparate auf dem Markt sind. Auch gibt es hormonfreie Cremes oder Gleitmittel, mit denen Dyspareunien vermindert werden können. Die lokale Therapie kann auch Frauen nach Beendigung der systemischen „HRT” empfohlen werden. Ob die systemische oder lokale Östrogentherapie die Häufigkeit von Harnwegsinfekten, die auch von der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs abhängt, mindert, ist umstritten (8). Eine vorbestehende Harninkontinenz wird durch eine „HRT” mit Östrogenen bzw. Ö+G verschlechtert (9).

4. Alternativen zur systemischen „HRT” bei Frauen mit starken klimakterischen Beschwerden und Kontraindikationen oder Bedenken gegen systemische „HRT”: Für Frauen mit starken Hitzewallungen, die von Patientin und Arzt als behandlungsbedürftig angesehen werden, bei denen aber Kontraindikationen bestehen (z.B. Mammakarzinom, Thrombophilie, hohes KHK-Risiko) oder die diese Therapie ablehnen, gibt es einige alternative Therapien, die aber den Östrogenen nicht gleichwertig und nicht zugelassen (Off label use) sind. Wie kürzlich mitgeteilt, verminderte das Epilepsie- und Migränemittel Gabapentin in einer Dosis von dreimal 300 mg/d Hitzewallungen bei Frauen mit Mammakarzinom signifikant besser als Plazebo (10). Auch Antidepressiva vom Typ der selektiven Serotonin- oder Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI, SNRI) haben einen gewissen dämpfenden Effekt auf Hitzewallungen, die durch zentralnervöse Impulse über das ZNS ausgelöst werden. Clonidin, ein überwiegend im ZNS wirkender alpha-1-adrenerger Stimulator, der den Sympathikustonus senkt, ist aufgrund einer Metaanalyse ebenfalls wirksam (11). Alle genannten Substanzen sind für die Behandlung von Hitzewallungen nicht zugelassen. Hinsichtlich SSRI und SNRI kann bei zusätzlicher depressiver Symptomatik ein Therapieversuch unter Beteiligung eines Psychiaters an der Behandlung gemacht werden (8, 11, 12).

Wir raten von der Anwendung so genannter pflanzlicher Östrogene (Phyto-Östrogene, Isoflavone) ab, da fast alle bisher durchgeführten kontrollierten Studien keine Linderung klimakterischer Beschwerden ergaben. Einen fraglich positiven Effekt ergab eine Metaanalyse zu Isoflavonen aus Sojabohnen (11). Extrakte aus der Traubensilberkerze (Cimicifuga; Remifemin® u.a.), die, wenn überhaupt, nur einen schwach positiven Effekt auf Hitzewallungen haben (13), sind wegen mehrfach dokumentierter Leber- und Muskelschäden nicht unbedenklich (14, 15). Die verschiedenen Ingredienzien der pflanzlichen Präparate haben zum Teil in bestimmten Organsystemen schwache östrogene, in anderen antiöstrogene Wirkungen, und ihre UAW und Interaktionen mit anderen Medikamenten sind nicht ausreichend untersucht (8, 11, 12). Unspezifische Maßnahmen, wie das Tragen leichter Kleidung und verminderter Konsum von Kaffee und Nikotin sind ebenfalls anzuraten.

5. Östrogene zur Behandlung der Osteoporose und zur Prävention von Kolonkarzinomen? Es ist unumstritten, dass Östrogene den postmenopausalen Mineralsalzverlust der Knochen, der allerdings schon vor der Menopause bei noch normalen Serum-Östrogen-Werten beginnt (16), aufhalten, die Knochendichte verbessern und Frakturen vermindern können. Bei Frauen, die wegen starker Hitzewallungen Östrogene anwenden, ist dieser Effekt willkommen. Um die zukünftige Frakturrate zu senken, müssten früh-postmenopausale Frauen auch ohne behandlungsbedürftige klimakterische Beschwerden die Östrogene deutlich länger einnehmen als es für die Behandlung von Hitzewallungen erforderlich ist. Die Inzidenz der bei älteren Frauen häufigen Schenkelhalsfrakturen nimmt erst nach dem 70. Lebensjahr deutlich zu. Da eine Anwendung von Ö+G (bei vorhandenem Uterus) für etwa fünf Jahre das Risiko für Mammakarzinom um ca. 25% steigert (Relatives Risiko um 1,25) und die Inzidenz von Herzinfarkt und Schlaganfall ebenfalls zunimmt (2), ist die Langzeiteinnahme von Ö+G aus osteoprotektiven Gründen nicht anzuraten, es sei denn, es gibt bei manifester Osteoporose oder hochgradigem Frakturrisiko keine therapeutischen Alternativen (Bisphosphonate, Parathormon-Derivate, evtl. Strontium-Ranelat).

Ö+G verminderte in der WHI-Studie das Risiko, am Kolonkarzinom zu erkranken, nicht jedoch Östrogene allein. Der Unterschied kann nicht erklärt werden. Es erscheint jedoch unsinnig, wegen des diesbezüglichen protektiven Effektes von Ö+G über viele Jahre Hormone einzunehmen. Patientinnen mit erhöhtem Risiko für Kolonkarzinom sollten regelmäßig in individuell festzusetzenden Abständen Kolonoskopien durchführen lassen.

6. „HRT” und „Lebensqualität”: Bei kritischer Indikation zur „HRT”, d.h. bei stärkeren klimakterischen Beschwerden für einen begrenzten Zeitraum und bei Wahl der angemessenen „HRT“-Methode und -Dosis, bessert sich die „Lebensqualität“ der Patientinnen innerhalb weniger Wochen bis Monate durch Abnahme dieser Beschwerden deutlich. In der WHI-Studie wurde aber unter verschiedenen erfragten Aspekten der „Lebensqualität“ bei Frauen zwischen 50 und 59 Jahren außer ggf. Besserung von Hitzewallungen nur die Schlafqualität etwas verbessert. Die WHI-Studie war allerdings zur Beurteilung des Effekts der „HRT“ auf Hitzewallungen etc. nicht geeignet, da starke Beschwerden dieser Art ein Ausschlusskriterium waren. Ohne diese Maßnahme wäre die doppeltblinde Studie (kontinuierlich-kombinierte Ö+G-Einnahme versus Plazebo bei Frauen mit intaktem Uterus) schnell entblindet worden, denn der Effekt von „HRT“ auf Hitzewallungen etc. galt als unstrittig. Bei allen Frauen zusammen (50-79 Jahre bei Studienbeginn) erbrachte die “ HRT“ mit Ö+G nach drei Jahren keinerlei Vorteile gegenüber Plazebo hinsichtlich allgemeiner Gesundheit, körperlicher Leistungsfähigkeit und Energie, Müdigkeit, sozialen Aktivitäten und sexueller Zufriedenheit (17). Hinsichtlich kognitiver Leistungen schnitten Frauen über 65 Jahre, die Ö+G genommen hatten, eher schlechter ab als solche, die in der Plazebo-Gruppe waren (18).

Perspektiven: Die WHI-Studie mit einer seit vielen Jahren eingeführten „HRT“-Methode (CEE oder CEE+MPA oral) war ein wichtiger Meilenstein in der Erforschung der Effekte dieser Hormone auf die Gesundheit postmenopausaler Frauen. In Europa werden zurzeit die meisten Frauen, die eine „HRT“ benötigen und wünschen (die Zurückhaltung der Frauen ist in erfreulicher Weise gestiegen), mit oralem Östradiol (mikronisiert oder als Valerat) mit oder ohne Gestagen (meist andere als MPA) behandelt. Ob sich das Risikoprofil dieser Präparate von denen der WHI-Präparate (CEE+MPA) unterscheidet, ist nicht bekannt. Für die transdermale Applikation von Östradiol (ggf. mit einem niedrig dosierten progestagen wirkenden 19-Nortestosteron-Derivat) ist ein niedrigeres thromboembolisches Risiko sehr wahrscheinlich. Bei der transdermalen Östradiol-Anwendung steigt, wie bei der ovariellen Sekretion von Östradiol, dieses Steroid im Serum an, während es bei oraler Anwendung von Östradiol und CEE aufgrund des „First-pass“-Effekts durch die Leber zusätzlich zu einem massiven Anstieg von Östron und Östronsulfat kommt. Auch unterbleibt bei transdermaler Anwendung der Anstieg von Gerinnungsfaktoren und anderen hepatogenen Proteinen, wie Angiotensinogen, wie er nach oraler Gabe von Kontrazeptiva und „HRT“-Präparaten beobachtet wird.

Ideal wäre, auch bei der „HRT“ für nur wenige Jahre, die Entwicklung eines selektiven Östrogenrezeptor-Modulators, der im Gehirn, wo die Hitzewallungen generiert werden, und im Knochen östrogen, an der Mamma und am Uterus antiöstrogen wirkt und in der Leber und an Blutgefäßen neutral ist. In den USA wird eine neue Studie geplant, die „Kronos Early Estrogen Prevention Study“, eine randomisierte Fünf-Jahres-Studie, mit der der Effekt einer niedrig dosierten oralen bzw. transdermalen Östradiol-Therapie bei früh-postmenopausalen Frauen auf die Progression arteriosklerotischer Manifestationen untersucht werden soll. Man hat sich von dem Wunsch einer „Protektion“ offenbar noch nicht verabschiedet (19).

Literatur

  1. AMB 2001, 35, 17.
  2. Rossouw, J.E. (WHI = Women’s Health Initiative): JAMA 2002, 288, 321; s.a. AMB 2002, 36, 68.
  3. Anderson, G.L. (WHI = Women’s Health Initiative): JAMA 2004, 291, 1701; s.a. AMB 2004, 38, 37.
  4. Beral, V. (MWS = Million Women Study): Lancet 2003, 362, 419; s.a. AMB 2003, 37, 77b.
  5. Beral, V., et al. (MWS = Million Women Study): Lancet 2005, 365, 1543; s.a. AMB 2005, 39, 53b.
  6. Scarabin, P.Y., et al.: (ESTHER = EStrogen and THromboEmbolism Risk study) Lancet 2003, 362, 428; s.a. AMB 2003, 37, 77a.
  7. Cushman, M., et al. (WHI = Women’s Health Initiative): JAMA 2004, 292, 1573; s.a. AMB 2004, 38, 85b.
  8. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Arzneiverordnungen in der Praxis (AVP) 2003, 30, Sonderheft 2 (Therapieempfehlungen).
  9. Prescrire Int.: 2006, 15, 137.
  10. Pandya, K.J., et al.: Lancet 2005, 366, 818; s.a. AMB 2006, 40, 5.
  11. Nelson, H.D., et al.: JAMA 2006, 295, 2057.
  12. Tice, J.A., und Grady, D.: JAMA 2006, 295, 2076.
  13. Pockaj, B.A., et al. (NCCTG = North Central Cancer Treatment Group trial N01CC1): J. Clin. Oncol. 2006, 24, 2836.
  14. www.emea.eu.int/pdfs/human/hmpc/26925906en.pdf
  15. Minciullo, P.L., et al.: Phytomedicine 2006, 13, 115.
  16. Ebeling, P.R.: J. Clin. Endocrinol. Metab. 2006, 91, 1669.
  17. Hays, J., et al. (WHI = Women’s Health Initiative): N. Engl. J. Med. 2003, 348, 1839.
  18. Espeland, M.A. (WHIMS = Women’s Health Initiative Memory Study): JAMA 2004, 291, 2959.
  19. Manson, J.E., et al.: Menopause 2006, 13, 139.

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