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Vorhofflimmern: Dauerhafte Antikoagulation nicht immer indiziert

Die aktuellen Leitlinien der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft (ESC) von 2016 (1) empfehlen bei dokumentiertem Vorhofflimmern (VHF) – gleich ob paroxysmal, persistierend oder permanent – abhängig vom Thromboembolierisiko (ermittelt nach dem CHA2DS2-VASc-Score; vgl. 2) die Einleitung einer unbefristeten oralen Antikoagulation. Obwohl die Leitlinien die verschiedenen Pathomechanismen von VHF herausstreichen, unterschiedliche klinische Typen von VHF erwähnen und insgesamt ein „integriertes“ VHF-Management unter Einbeziehung des Patienten empfehlen, werden potenzielle Ursachen oder Auslöser von VHF in der Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation grundsätzlich nicht berücksichtigt. Ein im klinischen Alltag besonders häufiges Phänomen wird nur am Rande erwähnt: Patienten, die infolge akuter kardialer oder extrakardialer Auslöser (z.B. Akutes Koronarsyndrom, Sepsis, akute pulmonale Erkrankungen, postoperativ, Hyperthyreose, Alkoholkonsum) erstmalig und transient Episoden von VHF entwickeln. Die Nutzen-Risiko-Relation einer Dauerantikoagulation bei dieser Patientengruppe ist nicht klar, denn es gab bislang nur sehr wenige systematische Daten, die sich vor allem auf das akute Koronarsyndrom (ACS) beschränkten. Eine nun publizierte kanadische Beobachtungsstudie legt nahe, dass bei solchen Patienten auf eine Dauerantikoagulation verzichtet werden kann, auch wenn diese nach CHA2DS2-VASc eigentlich indiziert wäre (3).

Methodik: In einer retrospektiven Kohortenstudie wurden Patienten aus der Quebec Hospital Discharge Database der Jahre 1993-2015 identifiziert, bei denen es während eines Aufenthalts wegen eines akuten Koronarsyndroms (ACS), einer akuten Lungenerkrankung (LE) oder einer Sepsis erstmalig zu passagerem VHF gekommen war. Als primäre Endpunkte wurden Schlaganfall (inkl. TIA) und Blutungsereignisse definiert, die ebenfalls aus einer Datenbank der Provinz Quebec erhoben wurden.

Ergebnisse: Die untersuchte Kohorte bestand aus 2.304 Patienten (ACS 36%, LE 60%, Sepsis 4%; mittleres Alter um 78 Jahre), die häufig Komorbiditäten, einen hohen CHA2DS2-VASc-Score (≥ 2 bei etwa zwei Dritteln aller Patienten) und ein hohes Blutungsrisiko hatten (HAS-BLED ≥ 3 bei etwa der Hälfte; vgl. 2). Eine Antikoagulation erhielten bei Entlassung 38,4%, 34,1% bzw. 27,7% der Patienten mit ACS, LE bzw. Sepsis, wobei der Anteil neuer oraler Antikoagulanzien niedrig war (3,5% Rivaroxaban oder Dabigatran). Die Ergebnisse der Endpunkte sind in Tab. 1 wiedergegeben. In keiner der drei Gruppen unterschied sich die Häufigkeit von Schlaganfällen mit vs. ohne Dauerantikoagulation signifikant (auch nicht nach Adjustierung für die CHA2DS2-VASc-Komponenten). Blutungen waren (nach Adjustierung für die HAS-BLED-Komponenten) unter Dauerantikoagulation signifikant häufiger in der LE-Gruppe, in den anderen beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich (trotz häufiger antithrombozytärer Begleittherapien in der ACS-Gruppe).

Diskussion: Die Studie deutet darauf hin, dass Patienten, die infolge akuter Erkrankungen erstmalig und transient Episoden von VHF haben, grundsätzlich nicht von einer Dauerantikoagulation profitieren. Die Autoren weisen darauf hin, dass das ermittelte Schlaganfallrisiko niedriger war als in anderen VHF-Studien, das Blutungsrisiko jedoch höher, sodass bei dieser Patientengruppe offenbar von anderen Risikolevels auszugehen ist. Möglicherweise war die Studie nicht ausreichend „gepowert“ (Patientenzahl zu gering), um einen Vorteil der Antikoagulation erkennen zu können. Die Ergebnisse scheinen aber die geübte Praxis zu bestätigen, die Indikation zur Antikoagulation bei diesen meist multimorbiden und älteren Patienten nach individuellen Gesichtspunkten zu stellen. Prospektive randomisierte kontrollierte Studien wären zur Bestätigung notwendig.

Limitationen der Studie liegen naturgemäß in ihrem retrospektiven Design und der Basierung auf rein administrativen Daten, was zwangsläufig zu Ungenauigkeiten in der Kohortendefinition und in der Erfassung der Endpunkte führt. Der geringe Anteil an neuen oralen Antikoagulanzien spiegelt nicht das aktuelle Verordnungsverhalten wider.

Fazit: Erstmalige und transiente Episoden von Vorhofflimmern, ausgelöst durch akute kardiale oder extrakardiale Ereignisse, sind im klinischen Alltag häufig. Zu Vor- und Nachteilen einer Antikoagulation in dieser Situation gibt es kaum Studiendaten. Eine retrospektive Kohortenstudie scheint nun zu bestätigen, dass diese Patienten a priori ein geringeres Risiko für Schlaganfall haben als andere Patienten mit Vorhofflimmern und damit möglicherweise keinen oder einen kleineren Vorteil durch eine Antikoagulation. Über die Indikation zur Dauerantikoagulation sollte daher in dieser Situation individuell entschieden und diese auch dann zurückhaltend gestellt werden, wenn sie nach gängigen Kriterien (CHA2DS2-VASc-Score) gegeben wäre. Dies trifft unseres Erachtens allerdings nicht auf Patienten zu mit hoher Wahrscheinlichkeit für Rezidive von Vorhofflimmern (z.B. bei ausgeprägten strukturellen Veränderungen am Herzen oder Mitralvitien) und gleichzeitig niedrigem Blutungsrisiko.

Literatur

  1. Kirchhof, P., et al.: Eur. Heart J. 2016, 37, 2893. Link zur Quelle
  2. AMB 2012, 46, 17. Link zur Quelle
  3. Quon, M.J., et al.: JACC Clin. Electrophysiol. 2017. In press. Link zur Quelle

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