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Pharmakokinetische Arzneimittelinteraktionen mit direkten oralen Antikoagulanzien [CME]

Zusammenfassung

Der Metabolismus der direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) kann durch andere Arzneimittel beeinflusst und dadurch ihre Wirksamkeit verstärkt oder abschwächt werden. Mögliche Folgen sind Blutungen oder nicht vermiedene Thromboembolien. Derartige Interaktionen betreffen beispielsweise Amiodaron und die Kalziumantagonisten Verapamil und Diltiazem, aber auch einige Nahrungsmittel. Da bei der Therapie mit DOAK die Stärke der Gerinnungshemmung üblicherweise nicht gemessen wird, ist eine erhöhte klinische Aufmerksamkeit geboten, besonders, wenn weitere Arzneimittel verordnet werden. Bei jeder Verordnung von DOAK sollte – zu Beginn bzw. bei neuer Verordnung anderer Arzneimittel – neben dem klinischen Monitoring auch eine Prüfung auf mögliche Arzneimittelinteraktionen erfolgen.

Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) haben in ihrem Metabolismus zwei kritische Schnittstellen mit anderen Arzneimitteln: zum einen am Effluxtransporter P-Glykoprotein (PGP) in Zellen des Gastrointestinaltrakts, der Leber und den proximalen Nierentubuli und zum anderen am hepatozellulären Cytochrom P450 3A4 (CYP3A4).

Der direkte Thrombin-(Faktor IIa)-Inhibitor Dabigatran und der Faktor Xa-Antagonist Edoxaban sind Substrate von PGP, und die beiden Faktor Xa-Antagonisten Apixaban und Rivaroxaban sind sowohl Substrate von PGP als auch von CYP3A4 (s. Tab. 1). Hemmstoffe von PGP und/oder CYP3A4 können die Plasmaspiegel von DOAK erhöhen und somit das Blutungsrisiko unter der Antikoagulation erhöhen. Andererseits können starke Induktoren von PGP und CYP3A4, wie beispielsweise Rifampicin oder Carbamazepin, die Plasmaspiegel von DOAK senken. Dadurch kann das Therapieziel – Vermeiden von Thromboembolien – verfehlt werden.

Die European Heart Rhythm Association (EHRA) rät in dem lesenswerten „Practical Guide on the Use of Non-Vitamin K Antagonist Oral Anticoagulants in Patients with Atrial Fibrillation“ generell von einer Kombination von DOAK mit starken Inhibitoren oder Induktoren von PGP und/oder CYP3A4 ab bzw. zu Vorsicht und einem intensiveren Monitoring der Therapie [1].

Zu den PGP-Inhibitoren zählen Antiarrhythmika, wie Amiodaron, Dronedaron, Propafenon, und die Nicht-Dihydropyridin-Kalziumantagonisten Verapamil und Diltiazem, die bei Vorhofflimmern häufiger gemeinsam mit DOAK verordnet werden. Die gleichzeitige Einnahme des PGP-Inhibitors Amiodaron führt zu höheren Plasmaspiegeln von Dabigatran (+12 bis +60%) und von Edoxaban (+40%) und Verapamil, ein Inhibitor von PGP und CYP3A4, erhöht die Plasmaspiegel von Dabigatran um 12-180%, von Edoxaban um 53% und von Rivaroxaban um 40% [1]. Weitere Medikamente und Nahrungsmittel mit pharmakokinetischem Interaktionspotenzial auf der Ebene von PGP und CYP3A4 sind in Tab. 2 dargestellt. Zu den starken CYP3A4-Inhibitoren zählt auch Ritonavir, das als „pharmakokinetischer Booster“ in dem bei einer akuten SARS-CoV2-Infektion zuletzt vermehrt eingesetzten Paxlovid® enthalten ist (vgl. [2]). Die klinische Bedeutung vieler anderer pharmakokinetischer Interaktionen ist jedoch häufig unklar.

Wissenschaftler aus den Niederlanden und Belgien haben daher eine Metaanalyse zu diesem Thema durchgeführt [3]. Sie suchten nach Studien bei Patienten mit Vorhofflimmern, in denen die Wirksamkeit von DOAK geprüft wurde und aus denen zu entnehmen war, ob sie gleichzeitig mit Inhibitoren oder Induktoren von PGP und/oder CYP3A4 behandelt wurden, oder nicht (Kontrollen). Endpunkte dieser Metaanalyse waren schwere Blutungen (intrakranielle Blutungen und/oder gastrointestinale Blutungen) als Hinweis auf eine Wirkverstärkung sowie thromboembolische Ereignisse (Schlaganfall, systemische Embolie) als Hinweis auf eine unzureichende antikoagulatorische Wirkung. Zudem wurde die Gesamtmortalität ausgewertet.

Nach der Primärsuche in Pubmed und Embase, dem Titel- und Abstract-Screening und dem Lesen von 54 Publikationen im Volltext verblieben 15 geeignete Studien für die Metaanalyse: Posthoc-Analysen von 10 randomisierten kontrollierten Studien und 5 nicht-interventionelle Kohortenstudien. Für die Risikoberechnung wurden die Daten von 21.711 Personen mit DOAK plus PGP und/oder CYP3A4-Inhibitoren verglichen mit 306.421 Personen mit DOAK ohne diese Inhibitoren.

Ergebnisse: In dem Beobachtungszeitraum der Studien war die gleichzeitige Anwendung von PGP- und/oder CYP3A4-

Inhibitoren und DOAK mit einem signifikant höheren Risiko für klinisch bedeutsame Blutungen assoziiert (Relatives Risiko = RR: 1,10; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,01-1,19). Es fand sich auch eine Assoziation mit einer höheren Gesamtsterblichkeit (RR: 1,14; CI: 1,05-1,23). Dagegen gab es keine signifikanten Unterschiede der beiden Gruppen bei intrakraniellen Blutungen (RR: 0,89; CI: 0,68-1,15), gastrointestinalen Blutungen (RR: 1,09; CI: 0,91-1,30) und bei thromboembolischen Ereignissen (RR: 0,88; CI: 0,77-1,01).

Unter den genauer untersuchten Wirkstoffen Amiodaron, Verapamil und Diltiazem war die gleichzeitige Anwendung von Amiodaron mit einer signifikant höheren Gesamtsterblichkeit assoziiert (RR: 1,21). Allerdings könnte es sich bei diesen Patienten um eine „kränkere“ Subpopulation handeln, weil Amiodaron bei Vorhofflimmern oft erst spät im Krankheitsverlauf eingesetzt wird. Unter gleichzeitiger Behandlung mit Amiodaron fand sich jedoch kein erhöhtes Blutungsrisiko (RR: 0,92 für Major-Blutungen; CI: 0,80-1,07).

Anders waren die Ergebnisse bei den Kalziumantagonisten (PGP-Inhibitoren) Verapamil und Diltiazem. Deren Einnahme war mit einem signifikant höheren Risiko für schwere Blutungen (RR: 1,64, CI: 1,31-2,06) und auch für intrakraniale Blutungen assoziiert (RR: 1,66), nicht aber für gastrointestinale Blutungen (RR: 1,14) oder für eine höhere Gesamtmortalität (RR: 1,01).

Bei der Interpretation dieser Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass die interagierenden Arzneimittel durchschnittlich 12-32 Monate gemeinsam mit den DOAK eingenommen wurden. Das Risiko könnte bei längerer Einnahme und im Kontext weiterer Medikamente noch höher sein.

Nur eine Studie untersuchte die Risiken einer Komedikation mit PGP und/oder CYP3A4-Induktoren (meist Antikonvulsiva) mit DOAK. Hierbei ergaben sich keine Hinweise auf eine relevante Erhöhung des Thromboembolie- bzw. Schlaganfallrisikos. Allerdings waren die Patientenzahlen zu gering, um hieraus einen Beweis zu führen.

Die Autoren mahnen in der Diskussion zur Vorsicht bei gleichzeitiger Anwendung von DOAK und Arzneimitteln, die PGP- und/oder CYP3A4 hemmen. Aus Sicherheitsgründen sollte über Therapiealternativen nachgedacht werden, beispielsweise ein anderes Antiarrhythmikum oder ein Antikoagulans mit geringerem Interaktionspotenzial. Wenn eine solche Kombination aber nicht zu vermeiden ist, sollten die Patienten wenigstens engmaschiger überwacht werden. Zu diesem Monitoring gehören nach der EHRA u.a. bei jeder Visite Fragen nach Nebenwirkungen und Blutungen, auch Bagatellblutungen, und die Überlegung, wie diese verhindert werden können. Zudem werden regelmäßige Blutkontrollen empfohlen (Nieren-, Leberfunktionsparameter und Blutbild), mindestens einmal jährlich, bei Personen ≥ 75 Jahren und Gebrechlichen sogar alle 4 Monate [1].

Hierzu zählt auch eine routinemäßige Überprüfung von Arzneimittelinteraktionen. Solch eine Prüfung mit einer etablierten Software (Lexicomp® Drug Interactions) ergab beispielsweise für Amiodaron eine Warnung hinsichtlich Dabigatran und Edoxaban auf Level C (Therapiemonitoring empfohlen) und mit Apixaban und Rivaroxaban auf Level B (keine Maßnahmen erforderlich). Für Verapamil ergab die Überprüfung eine Warnung hinsichtlich Edoxaban und Rivaroxaban auf Level D (Therapieänderung erwägen) und mit Dabigatran und Apixaban auf Level C. Auch die Eingabe von bestimmten Nahrungsmitteln (s. Tab. 2) führte in diesem Programm zu Warnungen auf verschiedenen Levels. So soll beispielsweise die Kombination von Dabigatran und grünem Tee völlig vermieden werden (Level X, Interaktion auf Ebene von PGP).

Das empfohlene Therapiemonitoring ist in erster Linie klinisch zu verstehen (s.o.), da spezifische Labortests bei DOAK-Behandlung nach wie vor problematisch sind. Die üblichen Gerinnungstests wie Prothrombinzeit (PT), aktivierte Prothrombinzeit (aPTT) oder die aktivierte Gerinnungszeit (ACT) erlauben keine Beurteilung der gerinnungshemmenden Wirkung, und zuverlässige „Point of Care Tests“ von DOAK-Plasmaspiegeln sind nicht verfügbar. Bei der Bestimmung von Plasmaspiegeln sind wichtige Aspekte zu beachten, wie die Modalitäten der Blutabnahme (beim Labor erkundigen) und die zeitlichen Abstände zwischen Einnahme des DOAK und dem Spitzen- bzw. Talspiegel (s. Tab. 1). Die EHRA empfiehlt daher, Spiegelbestimmungen nur unter Anleitung von Gerinnungsexperten durchzuführen.

Wenn Nebenwirkungen, Blutungen oder kritische Interaktionen auffallen, ist zu überlegen, ob das gewählte DOAK weiterhin noch das richtige für den betreffenden Patienten ist bzw. ob die Dosierung noch angemessen ist. Dosisreduktionen sollten nur innerhalb der in den Fachinformationen genannten Dosierungsspanne erfolgen (1).

Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass schwerwiegende Blutungen unter DOAK unbedingt an die Aufsichtsbehörden gemeldet werden sollten (in Deutschland BfArM, in Österreich AGES), um Risiken im Kontext anderer Medikamente erkennen zu können.

Literatur

  1. Steffel, J., et al.: Europace 2021, 23, 1612. (Link zur Quelle)
  2. AMB 2022, 56, 24DB01. (Link zur Quelle)
  3. Grymonprez, M., et al.: Br. J. Clin. Pharmacol. 2022, Feb. 8. https://bpspubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/bcp.15265 (Link zur Quelle)