Zusammenfassung: 13 der 29 im Jahr 2008 neu zugelassenen Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sind echte therapeutische Innovationen oder haben pharmakodynamische oder pharmakokinetische Vorteile. Bei 16 Substanzen ist kein Zusatznutzen zu erkennen. Damit unterscheidet sich die Charakteristik der Neuzulassungen 2008 nicht wesentlich von der des Vorjahres. Einige der neuen Substanzen werden den in der Praxis tätigen Ärztinnen und Ärzten kaum begegnen, weil sie nur für sehr spezielle Indikationen zugelassen sind, andere werden sich möglicherweise nicht durchsetzen, weil sie trotz höherer Preise keinen Zusatznutzen haben. Trotzdem geben wir eine vollständige tabellarische Übersicht. Wie in den Vorjahren ist das Hauptproblem mehrerer neuer Wirkstoffe das ungünstige Kosten-Nutzen-Verhältnis, sofern dies überhaupt zum Zeitpunkt der Zulassung einzuschätzen ist.
Im Jahr 2008 wurden 29 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen zugelassen. Der Arzneiverordnungs-Report 2009 berichtet darüber (1). Wir geben wie in jedem Jahr unseren Lesern eine kurze zusammenfassende tabellarische Übersicht mit den wichtigsten Informationen über die Neuzulassungen (Wirkstoff, Warenzeichen, Gruppenzugehörigkeit, Indikation(en), kurze Bewertung und Preis in Deutschland (s. Tab. 1). Einige Neuzulassungen haben wir im ARZNEIMITTELBRIEF bereits besprochen (s. Literaturverzeichnis), andere erschienen uns für die Praxis nicht so interessant, wieder andere sind bereits in den ersten Monaten nach der Zulassung mehr als 10 000 mal verordnet worden (Tafluprost, Melatonin, Fluticasonfuroat).
Die Zahl der jährlich neu zugelassenen Wirkstoffe ist in den letzten Jahren etwa gleich geblieben (2007 = 31, 2006 = 27). In unserer Tabelle ist für jedes Arzneimittel, wie im Arzneiverordnungs-Report üblich, die Zugehörigkeit zu der Bewertungsgruppe nach Fricke und Schwabe angegeben: A = innovative Struktur mit therapeutischer Relevanz; B = Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Eigenschaften; C = Analogpräparat mit keinen oder nur geringen Unterschieden; D = nicht ausreichend gesichertes Wirkprinzip oder unklarer therapeutischer Stellenwert. Bei der Zuordnung der neuen Wirkstoffe zu diesen Bewertungsgruppen hat sich im Vergleich zu 2007 auch nichts wesentlich verändert: A 2007/2008: 10/7; B 2007/2008: 4/6; C 2007/2008: 16/15; D 2007/2008: 0/1.
Die Hälfte der neuen Wirkstoffe hat keinen zusätzlichen therapeutischen Nutzen (Bewertungsgruppe C, Analogpräparate, Me-too-Präparate), aber meist einen höheren Preis als die bereits vorhandenen. Die drei neuen Präparate, die unmittelbar nach der Zulassung am häufigsten verordnet wurden (s.o.), gehörten bemerkenswerter Weise zur Bewertungsgruppe C! Ärzte und Patienten sind also nach wie vor der Meinung, dass neuere Medikamente besser sind als ältere und auch einen höheren Preis rechtfertigen. Vielleicht wird die hohe Meinung über die neuen Präparate sogar durch den höheren Preis gestärkt. Der Preis hat Plazebo-Wirkung (2)!
Der Gesamtumsatz der Analogpräparate, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherungen verordnet wurden, ist in den letzten Jahren gleich geblieben: 5 Mrd. €. Hier errechnet sich für 2008 in Deutschland ein besonders hohes Einsparpotenzial von etwa 1,7 Mrd. €, wenn statt der Analogpräparate Generika mit vergleichbarer Wirkung verordnet worden wären. Die drei Präparategruppen mit den höchsten Einsparpotenzialen waren 2008 Opioidanalgetika (362 Mio. €), atypische Neuroleptika (254 Mio. €) und Statine (203 Mio. €). Es liegt an den verschreibenden Ärzten, diesen Schatz zu heben. Neue Analogpräparate sollten speziell auch deswegen nicht verordnet werden, weil ihr Risikoprofil noch nicht ausreichend bekannt sein kann!
Nur sieben innovative Präparate haben therapeutische Relevanz in einer speziellen Indikation (Bewertungsgruppe A), vier haben eine bessere Pharmakokinetik oder -dynamik, (Bewertungsgruppe B). Sie fallen durch besonders hohe Preise auf (s. Tab. 1). Der Patentschutz bewahrt sie in ihrem speziellen Indikationsbereich vor Mitbewerbern. Das kann bei der Preisfestsetzung von den Herstellern ausgenutzt werden. In Deutschland wird nämlich der Preis der Arzneimittel noch ohne jede Möglichkeit einer kontrollierenden Einflussnahme nach eigenem Ermessen der Hersteller festgelegt (3). Zwar ist seit 2007 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) durch das Wettbewerbsstärkungsgesetz beauftragt, die Angemessenheit der Preise zu untersuchen, jedoch gibt es über die anzuwendende Methodik noch keine Entscheidung. Es ist aber dringend erforderlich, die Preise der Arzneimittel in Beziehung zu setzen zu ihrem therapeutischen Nutzen und auch ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis in den jeweiligen Indikationsgruppen zu vergleichen, um eine vernünftige Zuordnung der Ressourcen sicherzustellen. Die hohen Preise neuer und nicht immer innovativer Arzneimittel belasten die Etats über Jahre. Der Umsatz der 30 umsatzstärksten in den letzten zehn Jahren neu zugelassenen Arzneimittel hat 2008, wie auch in den Vorjahren, um etwa 12% zugenommen (der gesamte Umsatz nur um 5,3%). Der Zuwachs war besonders stark bei onkologischen Präparaten (+14,6%) und bei Immuntherapeutika (+17,6%). Die vermehrte Verordnung von Neueinführungen erklärt etwa 70% des Kostenanstiegs auf dem Arzneimittelmarkt (802 von 1367 Mio. €). Eine valide Bewertung des Nutzens ist bei den meisten onkologischen Präparaten und Immuntherapeutika zum Zeitpunkt der Zulassung derzeit nicht möglich. Eine kontrollierte und dokumentierte Einführung dieser medikamentösen Innovationen im Rahmen unabhängiger klinischer Studien sowie die Überprüfung ihrer Wirksamkeit und Sicherheit bei weniger stark selektierten Patientenkollektiven als in Zulassungsstudien wären ein wichtiger Schritt, um die zum Zeitpunkt der Zulassung noch offenen, patientenrelevanten Fragen schneller als derzeit zu beantworten. Nur auf diesem Weg wird es mittelfristig möglich sein, Einsparpotenziale zu erkennen und gleichzeitig die Qualität der Arzneimitteltherapie zu verbessern.
Im Jahre 2008 sind einige wichtige Patente ausgelaufen und daher neue Generika auf den Markt gekommen (Clopidogrel, Eprosartan, Nebivolol, Fluvastatin, Tolperison). Die Verordnung von Generika hat in Deutschland erneut zugenommen. 85,1% der als Generika verordnungsfähigen Arzneimittel wurden auch als Generika verordnet. Das sind 68,5% der Verordnungen des Gesamtmarkts. Österreich liegt deutlich dahinter: der Marktanteil liegt insgesamt bei ca. 20% und bei den generikafähigen Arzneimitteln um 40% mit starken regionalen Unterschieden. Durch die Verordnung von Generika, d.h. durch eine medizinisch und wirtschaftlich rationale Verordnungsweise, haben die Ärzte in Deutschland nach den Berechnungen des Arzneiverordnungs-Reports im Jahr 2008 etwa 7,7 Mrd. € für die Versicherten eingespart. Weitere Einsparungen (ca. 1,1 Mrd. €) wären allerdings möglich gewesen, wäre das jeweils preisgünstigste Generikum verordnet worden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass im internationalen Vergleich die Abgabepreise der Generika-Hersteller in Deutschland relativ hoch sind.
Die Ausgaben für Arzneimittel, ohne Impfkosten, haben im Jahr 2008 im Vergleich zu 2007 um 5,3% auf 29,23 Mrd. € zugenommen und liegen damit über dem Zuwachs der Gesamtausgaben im Gesundheitswesen (um 4,3% auf 160,76 Mrd. €). Die Zuwachsraten sind höher als in allen anderen großen Versorgungssegmenten: Krankenhaus +3,5% auf 52,6 Mrd. €; ärztliche Behandlung +5,0% auf 24,3 Mrd. €; zahnärztliche Behandlung +2,6% auf 11,0 Mrd. €. Ein Teil der höheren Ausgaben im Arzneimittelbereich ist darauf zurückzuführen, dass ein höherer medizinischer Bedarf mehr Verordnungen (im Generika-Bereich) notwendig machte. Die Zahl der DDD-Verordnungen von Generika hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, im Jahr 2008 um 11,0%. Die DDD-Verordnungen patentgeschützter Arzneimittel haben dagegen um 4,5% abgenommen. Dennoch ist in beiden Bereichen, auch wenn sie sich gegenläufig entwickeln, der Umsatz gestiegen (Generika: +596 Mio. €, Nichtgenerika: +774 Mio. €). Das bedeutet, die Tagestherapiekosten der Nichtgenerika haben deutlich zugelegt. Ist das berechtigt? Die Prüfung der Angemessenheit der Arzneimittelpreise und der Wirtschaftlichkeit der Pharmakotherapie durch das IQWiG ist dringend überfällig.
Literatur
- Schwabe, U., und Paffrath, D.: Arzneiverordnungs-Report 2009. Springer Medizin Verlag, Heidelberg 2009.
- AMB 2008, 42, 47b. Link zur Quelle
- AMB 2008, 42, 65. Link zur Quelle
- AMB 2008, 42, 73. Link zur Quelle
- AMB 2008, 42, 09. Link zur Quelle
- AMB 2009, 43, 22. Link zur Quelle
- AMB 2008, 42, 96. Link zur Quelle
- AMB 2009, 43, 65. Link zur Quelle
- AMB 2008, 42, 76. Link zur Quelle
- AMB 2007, 41, 50. Link zur Quelle
- AMB 2005, 39, 75. Link zur Quelle