Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf Arzneimittelwirkungen herrscht noch viel Unklarheit. Von vielen Arzneistoffen fehlen oder finden sich widersprüchliche Angaben in der Literatur.
Die Wirkung von Arzneimitteln kann durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme verstärkt oder abgeschwächt werden bzw. unbeeinflußt bleiben. Art und Umfang des Nahrungseinflusses auf die Bioverfügbarkeit, d.h. auf die Geschwindigkeit und das Ausmaß, mit der der Arzneistoff resorbiert wird oder am Ort der Wirkung vorliegt, hängt von seiner chemischen Struktur, der Dosis, der Formulierung, der Menge und Zusammensetzung der Nahrung und dem zeitlichen Abstand zwischen Arzneimitteleinnahme und Nahrungsaufnahme ab. Gleichzeitige Nahrungsaufnahme kann die Resorption und die Elimination eines Arzneistoffs beeinflussen.
Nahrungseinfluß auf die Arzneistofft-Resorption: Nahrung kann über folgende Mechanismen die Resorption eines Arzneistoffs beeinflussen:
- Verzögerung der Magenentleerung,
- Erhöhung des Magen-pH-Wertes,
- Wechselwirkung zwischen Arzneistoff und Nahrungsbestandteilen,
- vermehrte Gallesekretion.
Den größten Einfluß auf die Resorption hat die infolge der verringerten Magenmotilität bei Nahrungsaufnahme verzögerte Magenentleerung. Fettreiche sowie grobe Nahrung, heiße Mahlzeiten und hochvisköse Lösungen verzögern besonders stark; weniger verlangsamend wirken Eiweiße und Kohlenhydrate. Hierdurch gelangen Arzneistoffe langsamer zu den resorptionsaktiven Bereichen des Darms.
Nahrung bedingt in den ersten 60 bis 90 Minuten eine Erhöhung des pH-Wertes im Magen von nüchtern 1,5 bis 2,0 auf Werte zwischen 3 und 6. Eine solche pH-Erhöhung kann sich – in Abhängigkeit vom lonisationsgrad – unterschiedlich auf die Resorption, besonders von schwerlöslichen sauren oder basischen Arzneistoffen, auswirken.
Die physikalische oder chemische Stabilität mancher Arzneimittel kann durch einen Anstieg des Magen-pH verschlechtert werden. Insbesondere ist eine veränderte Arzneistoff-Freisetzung aus magensaftresistenten oder aus Retard-Arzneimitteln zu beachten. Die kontinuierliche Freisetzung aus vielen Retard-Zubereitungen während der Magen-Darm-Passage beruht auf dem pH-abhängigen Auflösungsprozeß der Hilfsstoffe, die dem Arzneimittel zugesetzt sind und die Retardierung bewirken.
Bei gleichzeitiger Nahrungsaufnahme kann es zur Adsorption sowie zur Komplex- oder Salzbildung zwischen Arzneistoff und Nahrungsbestandteilen kommen. Meist vermindern diese Wechselwirkungen die Resorption. Das klassische Beispiel ist die Eigenschaft der meisten Tetracycline, mit mehrwertigen Kationen, z.B. den Kalziumionen der Milch, schwerlösliche Komplexe zu bilden. Ballaststoffe, wie Pektine in kohlenhydratreicher Nahrung, können Arzneistoffe adsorbieren. Eisenpräparate bilden mit den Gerbstoffen im Tee schwerlösliche Komplexe.
Vielfach wirken sich die beschriebenen Nahrungseinflüsse nur verzögernd auf die Resorption aus, wobei die insgesamt resorbierte Arzneistoffmenge jedoch häufig unverändert bleibt.
Besondere Verhältnisse können bei fettreicher Nahrung vorliegen. Gleichzeitige Aufnahme lipophiler, schwerlöslicher Arzneistoffe kann zu erhöhter Bioverfügbarkeit führen. Griseofulvin z.B. wird bei Nüchterneinnahme unvollständig resorbiert. Fettreiche Nahrung hemmt die Magen-Darm-Motilität. Dadurch kann sich bereits im Magen eine größere Menge des lipophilen Griseofulvins im Fett der Nahrung lösen. Außerdem stimuliert fettreiche Nahrung die Produktion von Galleflüssigkeit. Gallensäuren fördern durch ihre benetzende Wirkung zusätzlich die Löslichkeit schwerlöslicher Arzneistoffe und erhöhen damit deren Resorption und Bioverfügbarkeit (s. Tab. 1 C).
Nahrungseinflüsse auf die Arzneistoff-Elimination: Die Eliminationskinetik kann durch Nahrung infolge pH-Änderung des Harns und Einfluß auf den Metabolismus des Arzneistoffs verändert werden.
Eiweißreiche Nahrung säuert den Urin an. Als Folge werden schwache Säuren – z.B. Nitrofurantoin, Salizylsäure und Sulfonamide – wegen verstärkter Reabsorption in den Tubuli der Niere langsamer ausgeschieden. Vorwiegend pflanzliche Nahrung ergibt einen mehr alkalischen Harn, und schwache Arzneistoffbasen – z.B. Amphetamin, Procain, Chinin und Chloroquin – werden in ihrer Ausscheidung gehemmt.
Über den Einfluß der Nahrung auf den Arzneistoff-Metabolismus liegen nur begrenzte Untersuchungen vor. Bei Arzneistoffen mit hohem „First pass“-Effekt ergibt sich teilweise eine erhöhte Bioverfügbarkeit, z.B. bei Propranolol, Metoprolol, Hydralazin. Die Leberenzyme werden durch die gleichzeitige Metabolisierung von Nahrungsbestandteilen so in Anspruch genommen, daß der Metabolismus des Arzneistoffs gehemmt wird.
Vereinzelt werden in der Literatur auch entgegengesetzte Effekte beschrieben, z.B. daß Nahrungsbestandteile die Aktivität von Leberenzymen steigern, was zu einer niedrigeren Bioverfügbarkeit führt.
Ein die Kinetik der Arzneistoff-Verteilung beeinflussender Effekt wurde bei gleichzeitiger Verabreichung von eiweißreicher Nahrung mit Levodopa gefunden. Hier kommt es zu einer geringeren Wirksamkeit, da infolge der Kompetition des Levodopa mit Nahrungs-Aminosäuren um das für die Überwindung der Blut-Hirn-Schranke verantwortliche Transportsystem weniger Arzneistoff in das Gehirn gelangt.
Bedeutung der Einnahmeflüssigkeit: Menge und Zusammensetzung der Einnahmeflüssigkeit können die Bioverfügbarkeit beeinflussen. Ein Arzneimittel sollte mit viel Flüssigkeit (150 bis 200 ml) eingenommen werden. Dies bedingt eine bessere Auflösung schwerlöslicher Arzneistoffe, einen schnelleren Transport in den Dünndarm und häufig eine bessere Verträglichkeit.
Die Zusammensetzung der Einnahmeflüssigkeit kann bedeutsam sein. Wasser ist indifferent. Bekannt sind die mit Milch und Milchprodukten auftretenden Probleme einiger Arzneistoffe. Die in Milch enthaltenen Kalziumionen bilden z.B. mit den meisten Tetracyclinen – außer Doxycyclin und Minocyclin – schwer resorbierbare Komplexe; daraus resultieren um 50 bis 80% niedrigere Serumspiegel. Zuckerreiche, osmotisch wirksame Getränke verzögern die Magenentleerung. Keinesfalls sollten säureinstabile Arzneistoffe, wie Ampicillin, Cloxacillin oder Erythromycin-Base mit Fruchtsäften eingenommen werden.
Für mehrere Arzneistoffe, wie Terfenadin, Triazolam, Ciclosporin, werden z.T. beträchtliche Erhöhungen der Bioverfügbarkeit bei Einnahme mit Grapefruitsaft gefunden. Hier muß vor unfreiwilligen Überdosierungen gewarnt werden. Mit Coca-Cola wurde eine erhöhte Bioverfügbarkeit z.B. von Ketoconazol und Riboflavin gefunden.
Die Vermeidung alkoholhaltiger Einnahmeflüssigkeiten sollte insbesondere wegen der vielfachen Wechselwirkungen mit Arzneistoffen selbstverständlich sein.
Folgerungen: Den schnellsten Wirkungseintritt und für den Patienten die beste Voraussetzung für eine standardisierte Einnahme und Wirkung bei chronischer Verabreichung ermöglicht die Nüchtern-Einnahme. Sie ist auch bei Arzneistoffen angezeigt, bei denen die Bioverfügbarkeit unter Nahrungsaufnahme abnimmt. In Tab. 1 A sind einige Arzneistoffe als Beispiele aufgeführt.
Eine nicht unerhebliche Zahl von Arzneistoffen kann – besonders bei chronischer Verabreichung – Magen-Darm-Unverträglichkeit, Erbrechen, Übelkeit oder unerwünschte Plasma-Spitzenkonzentrationen verursachen. Hier ist eine Einnahme während oder unmittelbar nach der Mahlzeit angezeigt. Dabei muß unter Umständen auch eine verringerte Bioverfügbarkeit in Kauf genommen werden (s. Tab. 1 B).
Einnahme einer besonders fettreichen Mahlzeit kann bei den in Tab. 1 C aufgeführten Arzneistoffen zu einer deutlich erhöhten Bioverfügbarkeit führen.
Viele Arzneistoffe können unabhängig von der Nahrungsaufnahme eingenommen werden (s. Tab. 1 D).
Um den noch vielfach mangelhaften Kenntnissen Rechnung zu tragen, aber den Nahrungseinfluß dennoch bei chronischer Verabreichung von Medikamenten so gering wie möglich zu halten, sollten Patienten angewiesen werden, Arzneimittel jeweils unter gleichen Bedingungen einzunehmen. Dazu gehören:
- je nach Vorschrift Nüchtern-Einnahme bzw. Einnahme mit/unmittelbar nach einer Mahlzeit,
- bei Nüchtern-Einnahme jeweils gleicher zeitlicher Abstand zur vorangegangenen oder nächsten Mahlzeit,
- sofern bekannt ist, daß Nahrung einer bestimmten Zusammensetzung die Arzneistoffkinetik erheblich beeinflussen kann, muß dies beachtet werden,
- es sollten jeweils die gleiche Einnahmeflüssigkeit und -menge (in der Regel Wasser) verwendet werden.
Die hierfür erforderlichen Hinweise sollten vermehrt und gut verständlich in den Gebrauchsinformationen bzw. Beipackzetteln aufgeführt sein.
Lesenswerte Literatur
1. Merkus, F.W.H.M.: Arzneimittel vor; während oder nach der Mahlzeit? Ein Leitfaden für Ärzte und Apotheker Wissenschaftl. Verlagsges. mbH, Stuttgart 1984.
2. Pfeifer, S.; Einfluß von Nahrung auf die Pharmakokinetik von Arzneistoffen. Pharmazie 1993, 48, 3.
3. Williams, L., et al.: The influence of food on the absorption and metabolism of drugs: an update. Eur. J. Drug Metab. Pharmacokin. 1996, 21, 201.
4. Ameer, B., und Weintraub, R.A.: Drug lnteractions with Grapefruit Juice. Clin. Pharmacokinet. 1997, 33, 103.